Archivbild: Regionalliga: BFC Dynamo vs Energie Cottbus Berlin, 04.05.2024 Das Spiel wird wegen mangelnder Sicherheit unterbrochen und die Polizei betritt das Spielfeld.(Quelle: IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Luciano L)

Brandenburg Berlin Interview mit Fanforscher Harald Lange zu den Ausschreitungen in der Regionalliga Nordost

Stand: 07.05.2024 06:03 Uhr

155 Polizisten wurden bei der Partie BFC Dynamo gegen Energie Cottbus verletzt. Der Fanforscher Harald Lange beobachtet schon länger, dass sich das Verhältnis zwischen Polizei und Fans über alle Ligen hinweg verschlechtert. Er fordert Dialog statt Stadionverboten.

rbb|24: Herr Lange, würden Sie die Ausschreitungen bei diesem Spiel in der Regionalliga Nordost als extrem bezeichnen?
 
Harald Lange: Ja, wenn man die Ereignisse vergleicht, dann ist da ein Gewaltexzess zu beobachten gewesen, der in negativer Hinsicht seinesgleichen sucht. Man kann das mit den Vorfällen 2021 bei Dynamo Dresden vergleichen, dort hat es eine ähnliche, leicht höhere Anzahl an Verletzten gegeben. Wenn man sich dann jetzt gleichzeitig die ersten Auswertungen des Spiels anschaut, dann bemerkt man relativ schnell, dass die Schuldfrage allen möglichen Gruppen zugeschoben wird und dass sich viele Aussagen widersprechen. Man merkt, dass mit Blick auf die Atmosphäre im nordostdeutschen Fußball an diesem Wochenende einiges im Argen liegt.

BFC-Fans verbrennen im Spiel gegen Energie Cottbus auf der Tribüne Schals von anderen Vereinen (Quelle: IMAGO / Fotostand)
Innensenatorin verurteilt Vorfälle beim Spiel BFC Dynamo gegen Energie Cottbus

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Das heißt, nicht nur die Gewalt ist ein Problem, sondern auch die Kommunikation der Vereine?
 
Mit Blick auf das Gewaltthema wissen wir, wo die Ursachen letztlich liegen. In den Fangruppen, in Rivalitäten, in der Dramaturgie von Hochrisikospielen, dann aber auch in der Strategie von Polizei und anderen Ordnungshütern. Das betrifft die Einsatzstrategie, mit wie viel Druck geht man vor, wie offen lässt man das Ganze. Das ist immer eine schwierige Aufgabe und es gibt keine Rezepte, wie man das am besten macht.
 
Wir müssen aber auch die Vereine in die Pflicht nehmen und auf die Sicherheitskonzepte im Stadion schauen. Wir müssen beobachten, wie sich Trainer, Offizielle und die Mannschaft verhalten, um die Stimmung nochmal aufzuheizen. Nur so kann man die Atmosphäre ein Stück weit wieder befrieden.

Professor Dr. Harald Lange(Quelle: privat)

Dr. Harald Lange

Beobachten Sie, dass sich Auseinandersetzungen dieser Art in letzter Zeit über alle Ligen hinweg häufen?
 
Im letzten halben Jahr gibt es eine auffällige Häufung von solchen Zwischenfällen, insbesondere in der 1. und 2. Bundesliga, aber auch im Bereich des Amateurfußballs.
 
Wobei man aber ganz grundsätzlich sagen muss, dass die Verantwortlichen beim DFB, der DFL, den Vereinen, den Sicherheitsbehörden und so weiter seit vielen Jahren gerade in der Hinsicht einen ganz ausgezeichneten Job machen.
 
Mit Blick auf die Fußballspiele in unserem Land haben wir es mit einem Ereignis zu tun, was hoch emotionalisiert ist und was enorm viele Menschen zur gleichen Zeit an einen sehr eng begrenzten Raum führt. Daran gemessen, passiert wenig. Grundsätzlich ist ein Stadionbesuch in Deutschland sehr sicher und deshalb fallen solche Beispiele, wie jetzt zuletzt am Wochenende in Berlin, immer besonders negativ auf.

Gibt es Anhaltspunkte, woran das liegt, dass das jetzt gerade wieder mehr wird?
 
Es gibt keine belastbaren Zahlen in dem Sinne. Wir können aber aus unseren Beobachtungen schließen, dass wir seit mehr als einem halben Jahr eine sehr starke Auseinandersetzung zwischen Fans und Polizei haben. Über alle Ligen hinweg. Da gibt es immer wieder Rangeleien, immer wieder Übergriffe von beiden Seiten. Das Verhältnis zwischen Fans und Polizei liegt richtig im Argen. Aus meiner Sicht müssen wir atmosphärisch etwas tun und an einer Harmonisierung arbeiten. Das wird leider nicht gemacht. Deshalb schaukelt sich das immer weiter hoch mit der für mich schrecklichen Konsequenz, dass das Image von Polizei aus Fansicht immer schlechter wird.
 
Der Polizist wird nicht mehr als Freund und Helfer wahrgenommen, sondern mehr und mehr als Gegner und Gegenspieler. Der Respekt gegenüber Polizeibeamten schwindet. Das ist für mich ein alarmierendes Signal. Das kann man den Fans auch nicht per Knopfdruck einimpfen oder einfach so abverlangen. Da muss man auch daran arbeiten, dass man sich diesen Respekt wieder verdient. Das heißt, wir müssen alle Fälle von Grenzüberschreitungen, sowohl von den Fans, aber auch von der Polizei gegenüber Fans, sorgfältig dokumentieren. Wir müssen alles seriös und neutral aufarbeiten.

Schon vorab war klar, dass es ein Hochrisikospiel ist. Die Polizei war mit etwa 1.000 Polizisten vor Ort. Hat diese hohe Polizeipräsenz zur Eskalation beigetragen?
 
Ich würde von Anfang an andere Maßnahmen empfehlen. Die Polizei sollte erst dann ins Spiel kommen, wenn wir keine anderen Möglichkeiten mehr haben. Also erst dann, wenn wir die Gruppen mit viel Aufgebot auseinanderhalten müssen und wenn wir nur noch ordnend eingreifen können.
 
Am Anfang steht für mich ein Verständigungsprozess. Das heißt, wir haben eine Fußballatmosphäre, eine Fußballkultur, in der wir natürlich in jedem Bundesland Rivalitäten haben, sogenannte Lokalderbys, wo es dann immer wieder hochkocht.
 
Das ist etwas enorm Herausforderndes. Aber es lässt sich prinzipiell machen. Wir sollten uns davor schützen, zu früh pauschale Schlussfolgerungen herauszuziehen, die dann auf der einen Seite die gesamte Fankultur, auf der anderen Seite die Polizei und Polizeieinsatztechniken grundsätzlich in Misskredit ziehen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Wie kommt es denn überhaupt zu der Gewalt?
 
Die Schwelle der Gewaltbereitschaft bei bestimmten Personen scheint mir bei so einer Partie wie Cottbus gegen Dynamo Berlin sehr, sehr niedrig zu sein. Da muss sich dann eine polizeiliche Einsatzstrategie von vornherein darauf konzentrieren, souverän und angemessen vorzugehen.
 
Was wir jetzt analysieren können, sind die Auswertungen, die mehr oder weniger aus der Hüfte heraus erfolgen - vom Innenministerium, von den Vereinen, von der Polizei, von der Polizeigewerkschaft, auch von Fanorganisationen. Die sind alle widersprüchlich, schieben die Schuld jeweils anderen zu und gießen letztlich noch mehr Öl ins Feuer.
 
Und das ist mit Blick auf den nächsten Spieltag oder das nächste Hochrisikospiel einfach fatal, weil es nicht gelingt, diese Grundstimmung, diese Rivalität, diese Gewaltbereitschaft dadurch rauszunehmen, sondern man macht genau das Gegenteil, man verstärkt diese Effekte. Da ist ein Law-and-Order-Vorgehen, wie das jetzt viele fordern, zwar in gewisser Weise nachvollziehbar, aber mittel- und langfristig aus meiner Sicht nicht fruchtbar.

Was ist denn dann nicht Law-and-Order?
 
Stichwort Kommunikation, Gespräche. Das ist der Ansatz, der aus meiner Sicht am erfolgversprechendsten ist. Man muss versuchen, die gesamte Fankultur von BFC Dynamo ins Boot zu holen. Das heißt, die Fans müssen aufeinander Acht geben. Wenn neben dir jemand steht, der ausfällig wird, der übergriffig wird, egal in welcher Hinsicht, dann musst du einschreiten, dann musst du ihn beruhigen, dann musst du deinen Teil am positiven Klima beitragen. Das ist ein mühsamer Prozess, aber das ist der, der auch mit Blick auf andere Gewaltszenen, die wir in Deutschland haben, in den letzten Jahren immer erfolgversprechend war.

Polizisten während der Regionalliga-Partie von Energie Cottbus beim BFC Dynamo. Quelle: imago images/Beautiful Sports
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Haben Maßnahmen wie Stadionverbote keinen Effekt?
 
Stadionverbote sind ein wunderbares populistisches Mittel, um sich beispielsweise als Innenminister als Hardliner präsentieren zu können. Aber aus der Praxis wissen wir, dass die umgangen werden können. Stadionverbotler genießen in der Szene so etwas wie Kultstatus, so einen Robin-Hood-Status. Wer Stadionverbot hat, wird damit gewissermaßen in der Szene sogar noch ausgezeichnet. Sie sind mit Blick auf die Gewaltprävention vergleichsweise wirkungslos. Deshalb würde ich sagen, ok, wer ein bisschen Populismus braucht, ja, sprecht ein paar Stadionverbote aus, es wird aber nichts bringen. Versucht die Kurven, versucht die Fankultur auf eure Seite zu holen. Geht rein in den Dialog, sprecht miteinander und arbeitet gemeinsam am Herstellen einer Fußballatmosphäre, so wie wir sie uns alle wünschen. Fakt ist, das geht nicht von heute auf morgen, aber fangt doch gleich morgen damit an.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lange!
 
 
 
Das Interview führte Ann Kristin Schenten.
 
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.05.2024, 16 Uhr