Szene aus dem Stück:"Catarina und die Schönheit Faschisten zu töten" von Tiago Rodrigues.(Quelle:Joseph Banderet)

Berlin Theaterkritik | FIND-Festival an der Schaubühne: Braucht es Gewalt, um Faschisten zu töten?

Stand: 22.04.2024 11:08 Uhr

Rechtfertigt die Wahrung der Demokratie den Einsatz von Gewalt? Das fragt das diesjährige Festival Neue Internationale Dramatik zum Auftakt. Andere Stücke setzen den Krisen der Welt dagegen Liebe und Hoffnung entgegen. Von Barbara Behrendt

21 Minuten. So lange dauert es, bis das Publikum an der Berliner Schaubühne beim Festival für Neue Internationale Dramatik (FIND) den portugiesischen Faschisten auf der Bühne niederbuht.
 
Bis dahin hatte der Schauspieler in der Rolle des Faschisten an der Rampe nur gegen einzelne Protestrufe über faule Migranten schwadronieren können, über Recht, Ordnung und Redefreiheit, die seine Partei nun – der Mehrheit der Wähler sei Dank – nach Portugal zurückbringe. Es ist natürlich einkalkuliert, dass das Publikum sich vom Theater dazu instrumentalisieren lässt einzugreifen.
 
21 Minuten – das ist dabei verdammt lang. Ob das bei der Uraufführung in Portugal vor vier Jahren schneller ging? Und ob die Worte dort heute beklatscht würden?
 
Nein, soweit ist es wohl noch nicht. Auch wenn Tiago Rodrigues, Autor und Regisseur des Stücks mit dem ironischen Titel "Catarina – Oder von der Schönheit, Faschisten zu töten", auf dem Podium berichtet hatte, dass es 2020 nur einen Abgeordneten der rechtsextremen Chega-Partei im Parlament gab, zwei Jahre später waren es zwölf, heute sind es 50.

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Wäre ein Tyrannenmord gerechtfertigt?

Ist die Lösung, die seine provokante politische Farce etwas thesenhaft vorführt, also nicht so falsch? Sollten wir uns sogar häufiger der Schönheit hingeben, Faschisten zu töten – nicht nur, wie im Stück, zum antifaschistischen Familienfest einmal pro Jahr? Braucht es Gewalt, um die Demokratie zu verteidigen?
 
Die Frage wird beim Panel "Faschismus in Europa" im Rahmen des Festivals heiß diskutiert. Die Professorin für Integrationsforschung an der Berliner Humboldt-Universität, Naika Foroutan, nie um einen provokanten Spruch verlegen, ist dem Rollen der obersten Köpfe nicht abgeneigt – sei es nun Donald Trump, Wladimir Putin oder Ali Chamenei: "Es ist ja nun mal ein intellektuelles Experiment, das wir hier wagen, und ich wollte nur nicht so schnell den Gedanken des Tyrannenmordes ad acta legen." Schließlich werden auch Hitler-Attentäter gefeiert, wenngleich sie nicht erfolgreich waren.

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Tiago Rodrigues, inzwischen Leiter des Theaterfestivals im französischen Avignon, stellt da lieber nochmal klar, dass es in seiner Farce nicht um einen ernst gemeinten politischen Vorschlag geht. Was von der Nelkenrevolution vor 50 Jahren bleibe? Die neun Millionen Portugiesinnen und Portugiesen, die nicht rechtsextrem wählen. Demokrat:innen müssten aber neue Narrative finden: "Ich denke, wir brauchen Utopien, die Demokrat:innen zusammenbringen und die sich wie ein Anfang anfühlen. Denn der Klimawandel gibt uns das starke Gefühl eines Endes." Die Kunst könne man für die Politik aber nicht in die Pflicht nehmen: "Theater ist. Ich verweigere mich dem Bedürfnis, ihm eine Funktion zu geben."

Den Menschen auf der Bühne fliegen die Herzen zu

Wichtige Sätze, vor allem für diese Festival-Ausgabe. Denn das FIND-Programm liest sich, als wäre nach politischer Relevanz gesichtet worden: Klassenkampf, Kapitalismuskritik, soziale Gerechtigkeit, Emanzipation. Beeindruckend, wie die Bühne dabei zum Ort für Solidarität wird. Den Menschen, oft Laien, die von ihren Kämpfen berichten, fliegen dabei die Herzen und gereckten Fäuste aus dem Publikum nur so zu. Und mit den Migrantinnen, die sich in "Pêndulo" manchen Frust über ihren Pflegeberuf in Portugal von der Seele tanzen, lernt man bewundernswerte Frauen kennen.
 
Der politische Impetus kann allerdings auch enttäuschen, wenn sich die angekündigte Karl-Marx-trifft-streikende-Fabrikarbeiter-Konfrontation "Il Capitale" aus Italien als schlichte Bühnen-Reportage der Streikenden entpuppt.

Szene aus "The Confessions". (Quelle:Alípio Padilha)

Szene aus "The Confessions".

Konkurrenzlos in der Theater-Provinz Berlin

Doch weil das FIND als großes internationales Festival in Berlin konkurrenzlos ist, lechzt man nach all diesen neuen Shows, auch wenn sie mit einigen Jahren Verspätung in die Hauptstadt kommen. Die Schaubühne kann in der Theater-Provinz Berlin eben nicht alles richten.
 
Der Brite Alexander Zeldin, der als "Artist in Focus" mit mehreren Arbeiten eingeladen ist, schafft da die Synthese: Verdichtet und vielschichtig erzählt er Geschichten aus dem kaputt gesparten britischen Sozialsystem. Und aus der Biografie seiner Mutter macht er in "The Confessions" eine Erzählung über den alltäglichen Sexismus der 1950er bis 1980er Jahre. Nach Didier Eribon und Falk Richter der dritte Mann an der Schaubühne, der seine Mutter befragt. Zwar mit weniger politischer Schärfe als seine Vorgänger. Dafür sieht man selten so viel Mitgefühl, Liebe und Güte auf der Bühne wie bei Zeldin. Man müsse, sagt er, daran glauben, dass das Theater die Welt verändert: "Natürlich glaube ich das! Denkst du, man kann jemanden für immer lieben? Auch wenn nicht – du musst daran glauben."
 
An der Welt mag man momentan verzweifeln – das internationale Theater führt beim FIND die Alternative vor: Solidarität, Hoffnung und Empathie.

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.04.2024, 6:00 Uhr