"Pollesch" steht am 28.02.2024 auf dem Banner, das über der Volksbühne aufgehängt ist. Der Intendant der Volksbühne R. Pollesch ist am Montag, den 26.2.2024, überraschend gestorben. (Quelle: dpa-Bildfunk/Annette Riedl)

Berlin Nach Tod von René Pollesch: Wer übernimmt die Leitung der Berliner Volksbühne?

Stand: 08.05.2024 16:24 Uhr

Seit René Polleschs plötzlichem Tod im Februar ist die Ratlosigkeit an der Berliner Volksbühne groß: Wer soll das Haus mit dem legendären Ruf und den vielen zuletzt schief gegangenen Intendanzen übernehmen? Von Barbara Behrendt

"Ich hoffe, was an diesem Haus geschieht, auch der Kultursenat versteht. Joe, put the gun out of your hands", reimte der Sänger Anton Spielmann bei der großen Abschiedsfeier für den plötzlich gestorbenen Intendanten René Pollesch Ende April in der Volksbühne. Der wenig theaterbeflissene Kultursenator Joe Chialo (CDU) saß an diesem Abend tatsächlich die vollen drei Stunden im Zuschauerraum und bekam einen Eindruck, wofür René Polleschs Theater steht. Und wofür auch die Volksbühne in ihren besten Zeiten stehen konnte: ein Haus, an dem abseits des Stadttheaterbetrieb das Theater neu erfunden wurde – und die Normen unseres Zusammenlebens gleich mit.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin "Schmeiß dein Ego weg und feier was du liebst – Für René Pollesch" am 25.4.2024.(Quelle: Volksbühne Berlin/Thomas Aurin)
Gefeiert, was sie lieben

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Zuletzt nur mäßige Auslastung

Nun darf man Polleschs Zeit als Intendant nicht verklären: Das Haus war bei ihm zu nur 65 Prozent gefüllt – eine schlechte Auslastung im Vergleich zu den anderen Berliner Theatern, die alle auf weit mehr als 90 Prozent kommen. Abgesehen von Polleschs eigenen Produktionen und denen der furiosen Choreografin Florentina Holzinger lief an der Volksbühne zuletzt wenig rund. An zahlreichen Tagen blieb das Haus geschlossen. René Pollesch war ein legendärer Dramatiker und Regisseur, außerdem ein Ermöglicher für seine "Brothers and Sisters in Crime", wie er seine Künstlerkolleg:innen nannte – ein großer Organisator und Manager war er nicht.

Nun ist das Trauerspiel um das Erbe dieses Hauses um ein tragisches Kapitel länger geworden. Erst wurde der internationale Kunstkurator Chris Dercon mit Fäkalien vom Hof gejagt – ein peinliches Kapitel, für alle Seiten. Dann wurde der Stadttheaterintendant Klaus Dörr wegen Machtmissbrauchsvorwürfen geschasst. Und René Pollesch starb einen viel zu frühen Tod.

Wer will sich auf diesen Schleudersitz begeben?

Jetzt herrscht allerorten: Ratlosigkeit. Eine schwierige Situation für einen Kultursenator, der bislang wenig Theaterexpertise zeigt und mit seiner Vergangenheit als Musikmanager (unter anderem der Kelly Family) eher an den Musikproduzenten Tim Renner erinnert – jenen Staatssekretär für Kultur, der die Fehlentscheidung traf, Chris Dercon an die Volksbühne zu holen.
 
Welche fähigen Theatermenschen, die die Querelen um die Volksbühnen-Intendanz verfolgt haben, möchten sich auf einen solchen Schleudersitz begeben? Die Ansprüche an die Volksbühne liegen unmenschlich hoch: Nichts weniger als das noch nie Dagewesene wird erwartet, beste Avantgarde, von hier aus soll das Theater neu erfunden werden.

René Pollesch (Quelle: imago images/Sabine Gudath)
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Gerade deshalb können, es ist paradox, bereits bestens etablierte Theaterkünstler:innen oder -intendant:innen von anderen großen Häusern fast nur enttäuschen – deren Arbeit kennt man ja bereits.

Namen aus der Gerüchteküche

Den Namen Nicolas Stemann hört man zum Beispiel in der Gerüchteküche immer wieder: Regisseur und in Zürich gekündigter Intendant, der den bürgerlichen Züricher:innen ein zu "wokes" und politisches Programm bot. Ersan Mondtag wird ebenfalls genannt – jener Regisseur, der gerade den Deutschen Pavillon bei der Biennale in Venedig bespielt. Und Florentina Holzinger: Die unerschrockene Choreografin und Feministin, der Konventionen völlig abgehen, und die der Volksbühne zuletzt die größten Erfolge beschert hat.
 
Doch wäre Stemann Avantgarde genug? Wieder ein älterer weißer Mann für die Volksbühne? Kann ein mehr als selbstbewusster Regisseur wie Ersan Mondtag, der auf Proben früher mit Flaschen warf und herumbrüllte, eine Volksbühne mit antipatriarchalem Anspruch leiten? Und hätte eine international tourende Tänzerin wie Florentina Holzinger Lust, einen derartigen Tanker zu navigieren?

Die Gedenkfeier für René Pollesch, so hieß es von Seiten der Volksbühne als auch der Kulturverwaltung, solle aus Pietätsgründen noch abgewartet werden – erst danach die Gespräche über die Intendanznachfolge geführt werden. Die müssten jetzt also in vollem Gange sein. Noch lässt der Kultursenat nichts verlauten. Vermutlich braucht es zunächst eine:n Kandidat:in für den Übergang, bis eine längerfristige Lösung gefunden werden kann.
 
Dabei fällt häufig der Name Matthias Lilienthal. Er hat als Dramaturg an der Volksbühne gearbeitet, kennt das Haus, hat das HAU in Berlin und die Münchner Kammerspiele geleitet. Ein Profi, der immer wieder spannende Künstler:innen gewinnen kann. Er wäre eine gute Wahl für diese Zwischenphase. Allerdings konnte man zuletzt im "Spiegel" lesen, er habe keine Zeit. Man kann es ihm nicht verdenken – eine dankbare Aufgabe ist es nicht.

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Bräuchte es ein Team von außerhalb des Betriebs?

Womöglich bräuchte es Künstler:innen außerhalb des deutschen Betriebs, die der legendäre Ruf der Volksbühne nicht lähmt. (Was machen eigentlich die Radikalkünstler:innen Vegard Vinge und Ida Müller?) Denn das Gediegene (Berliner Ensemble), die Klassikerpflege (Deutsches Theater), das realistische politische Theater (Schaubühne) und das postmigrantische Theater (Gorki Theater) hat Berlin bereits.
 
Das Kollektiv "Staub zu Glitzer", das zu Zeiten Dercons die Volksbühne besetzt und auch René Polleschs Leitung erschwert hatte, fordert weiterhin: "Weg mit dem Intendanzmodell!" Und findet: "Die Volksbühne muss kollektiviert, radikaldemokratisiert, commonisiert werden". Doch die Kunst des Kollektivs, die während der Besetzung damals zu sehen war, wirkte alles andere als inspirierend.

Gibt es eine Findungskommission?

Wie auch immer die Neubesetzung aussieht: Der fachfremde Kultursenator sollte nicht allein darüber bestimmen, sondern eine unkonventionelle Findungskommission heranziehen. Eine Entscheidung im Alleingang könnte für Joe Chialo wahrlich nach hinten losgehen.
 
Wie das Verfahren um die Nachfolge derzeit geführt wird, dazu gibt die Kulturverwaltung jedoch momentan auf Nachfrage noch keine Auskunft.