Symbolbild:Zwei Elektroautos - ein Audi und ein Mercedes - stehen zum Laden der Batterien an einer Ladestation der Berliner Stadtwerke im Stadtteil Lichterfelde am 28.06.2023. (Quelle:picture alliance/dpa/Wolfram Steinberg)

Berlin Mobilitätsforscher zu Berliner Ladesäulenstrategie: "Die Ziele sind völlig illusorisch"

Stand: 19.04.2024 19:56 Uhr

Die Senatsverwaltung und die Berliner Agentur für Elektromobilität haben eine Strategie vorgestellt, um den Umfang des Ladenetzes in Berlin bis 2030 deutlich zu vergrößern. Mobilitätsforscher Andreas Knie sagt, was er davon hält.

rbb|24: Herr Knie, an diesem Freitag wurde die neue Berliner Ladesäulenstrategie vorgestellt. Bis 2030 - also schon in sechs Jahren - rechnet man mit 340.000 zusätzlichen Elektrofahrzeugen auf Berlins Straßen. Der Ladebedarf wird im Vergleich zu heute um voraussichtlich das Siebenfache steigen - von 300 MWh/Tag auf 2.000 MWh/Tag. Halten Sie das für realistisch?
 
Nein, überhaupt nicht. Wir haben in Berlin eine totale Kleinteiligkeit in der Verantwortung. Die Bezirke sind verantwortlich, es muss die Polizei kommen, es muss der Denkmalschutz kommen, es muss die Straßenverkehrsbehörde kommen. Es gibt praktisch 12 bis 16 Verantwortliche, die dafür geradestehen müssen, ob eine Ladesäule kommt oder nicht. Das Ausbautempo war in der Vergangenheit schon im Schneckentempo. Und es wird auch weiter im Schneckentempo bleiben, wenn man nicht einen wirklich verantwortlich macht. Insofern sind die Ziele, die Berlin sich da gesetzt hat, völlig illusorisch.

Wo genau liegt denn das Problem? Welche Fehler wurden gemacht?
 
Die Menge des Stroms ist nicht das Problem. Wir produzieren ja nach wie vor konventionellen Strom. Wir werden aber zunehmend auch aus Brandenburg mit mit regenerativen Strom versorgt.
 
Man hat einen grundsätzlichen Fehler gemacht in Berlin. Man hätte den Netzbetreiber, also den Verteilnetzbetreiber, den man jetzt mit viel Geld zurückgekauft hat, in die Verantwortung ziehen müssen, die entsprechenden Anschlüsse zu bauen. Der muss das organisieren, damit da jetzt auch mal Schwung reinkommt. Um eben auch zu erkennen, wo wir Ladesäulen hinbauen können und wo nicht - wo sich das mit dem Verteilernetz und den Bedarfen und den Schwankungen gut ausgleicht. Denn man sollte wissen, Elektroautos sind ja nicht nur in der Lage Strom zu beziehen, sondern sie können auch Stromnetze stabilisieren und sie können im Zweifel auch Strom abgeben.

Laut der heutigen Ankündigungen sollen sich - unter anderem durch mehr Digitalisierung - die Netzanschlussprozesse vereinfachen. Außerdem sollen die Genehmigungsverfahren in den Bezirken vereinheitlicht werden. Macht Ihnen das Hoffnung?
 
Vor zehn oder zwölf Jahren gab es schon einmal eine ähnliche Ankündigung. Wir hätten und würden gerne. Das ist sozusagen Konjunktivpolitik. Ich bleibe dabei: Es muss einen zentralen Akteur geben, der auch die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen hat. Und das ist der Verteilnetzbetreiber, das ist das Stromnetz hier in Berlin. Der muss das tun. Es muss einer den Hut aufhaben, so hat keiner den Hut auf. Das, was wir im Infrastrukturausbau sehen in Berlin, ist die organisierte Verantwortungslosigkeit.

Wo hakt es sonst noch bei der E-Mobilität in Berlin?

Wir haben in Berlin keinen Vorteil für elektrische Autos, denn wir haben keine Prämien und sie können ja nicht umsonst parken. Sie können nicht in die Innenstadt fahren. Zu einer wirklich konsequenten Förderung der Elektromobilität gehört eine komplette Sperrung des inneren S-Bahn-Rings für Verbrenner. Eine alte Forderung, die wir immer wieder neu aushandeln müssen. Nur, wer ein elektrisches Auto hat, kann in die Innenstadt fahren. Wer das nicht hat, muss draußen bleiben. Das haben wir damals bei der Umweltzone sehr erfolgreich gehabt. Und nur so geht es. Andere Städte machen es auch. Berlin traut sich da noch nicht ran.

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2030 soll - wie heute - der überwiegende Teil des Ladens im privaten Bereich erfolgen - auf Supermarkt-Parkplätzen oder auch am Arbeitsplatz. Weil die meisten Elektroautos heute gewerblich angemeldet sind, sollen vor allem auch am Arbeitsplatz mehr Ladestationen entstehen. Ist das ein guter Weg?
 
Dienstwagen werden in der Tat primär am Arbeitsort und auch am Heimatort geladen. Im Moment haben also mehrheitlich die Leute ein Elektroauto, die es auch zu Hause laden können. Aber wir in Berlin haben ja nicht so viele private Lademöglichkeiten, gerade in der Innenstadt. Deshalb braucht es den Ausbau des öffentlichen Ladenetzes, aber auch im Einzelhandel: Ikea, Rewe, Aldi - also alle großen Discounter, alle zugängliche Parkhäuser müssen dazu verpflichtet werden, mehr Ladeinfrastruktur bereitzustellen. Und da muss intensiviert werden. Es muss da einen Zuschuss geben, dass das Land sehr schnell durch einfache Bezuschussung Anreize setzt.

Über allem steht natürlich ein übergeordnetes Ziel: Berlin will bis 2045 klimaneutral werden. Wie groß ist denn überhaupt der Anteil, den Elektromobilität auf dem Weg dahin leisten kann?
 
Grob gesagt: mindestens ein Drittel der CO2-Emissionen entstehen im Verkehr. Zwei Drittel davon macht wiederum der Straßenverkehr aus. Den zu elektrifizieren würde einen großen Anteil bei der Zielstellung der klimaneutralen Stadt ausmachen.

Stellen wir uns vor, in sechs Jahren haben wir tatsächlich 340.000 E-Autos mehr auf den Berliner Straßen. Wie wird das denn den Indiviualverkehr in Berlin verändern?

 
Wir gehen davon aus, dass der Individualverkehr in Berlin sowieso deutlich zurückgeht, weil wir weniger Fahrleistung [Gesamtstrecke, die von Verkehrsmitteln in einem Jahr zurückgelegt wird, Anm. d. Redaktion] haben. Das haben wir ja in den letzten Tagen rausbekommen. Die Fahrleistung in Berlin sinkt. Das heißt, wir wollen auch die Zulassungswerte sinken lassen. Wir wollen auch die Parkflächen im öffentlichen Raum ganz verschwinden lassen. Man kann immer noch ein Auto haben, aber man muss es dann privat parken. Die Zukunft heißt für Berlin, zur Dekarbonisierung nicht nur alles auf regenerativ Strom zu setzen und die Autos zu dekarbonisieren, sondern auch weniger davon zu haben.

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Berlin bezeichnet sich selbst als Vorreiter für intelligente Mobilität. Sehen Sie das auch so? Und was ist das überhaupt - intelligente Mobilität?
 
Da waren wir mal 1991, 92. Da sind wir nicht mehr. Intelligente Mobilität heißt, eine Stadt der Zukunft zu haben, die klimaresilient ist, die sozial gerecht ist und dazu weniger Autos braucht, als das, was sie jetzt hat. Da ist Berlin leider noch weit von entfernt.

Wie würden Sie abschließend diesen neuen Vorstoß der Ladestrategie einordnen?
 
Sie ist wieder ein verzweifelter Versuch Berlins, die organisierte Verantwortungslosigkeit ein bisschen zu beschönigen. Und es fehlt der wirkliche politische Durchsetzungswille, wirklich eine dekarbonisierte, klimafreundliche, sozial gerechte Stadt haben zu wollen.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jonas Wintermantel, rbb|24

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.04.2024, 16:20