Archivbild: Berlins Bürgermeister Kai Wegner vor dem Roten Rathaus in Berlin. (Quelle: dpa/Ronnenburg)

Berlin Interview | Ein Jahr Regierender Kai Wegner: "Ich weiß wirklich nicht, wann ich das letzte Mal sieben Stunden geschlafen habe"

Stand: 21.04.2024 17:23 Uhr

Seit einem Jahr ist Kai Wegner nun Berlins Regierender Bürgermeister. Seine grobe Bilanz kurz vor dem Jahrestag Ende April lautet: wenig Schlaf, viel Druck und überraschender Zuspruch. Ein Gespräch über Politisches und Persönliches.

rbb|24: Herr Wegner, nachdem Sie gewählt wurden, konnten Sie lange genau sagen, der wievielte Tag seit Amtsantritt es war. Können Sie das heute auch noch?

Kai Wegner: Nein, das kann ich natürlich nicht mehr. Ich weiß, dass es jetzt bald 365 Tage
sind, aber ich glaube, so rund nach 100 Tagen habe ich dann langsam aufgehört zu
zählen.

Weil es dann Routine wurde oder warum haben Sie aufgehört?

Nein, Routine wird hier gar nichts, muss ich Ihnen sagen, weil jeder Tag ein ganz besonderer ist. Jeden Tag passiert irgendwas. Manchmal ist es etwas Schönes und manchmal ist es auch etwas, was die Stadt belastet und sehr häufig mit internationalen Konflikten zu tun hat. Routine, glaube ich, wird es in so einem Amt niemals geben.

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Wenn man so ein Amt bekleidet, dann formt man dieses Amt ja auch, gleichzeitig formt das Amt einen selbst. Wie haben Sie sich in diesem einen Jahr verändert?

Ehrlicherweise hoffe ich, dass ich mich gar nicht so doll verändert habe. Dass so ein Amt auch prägt, ist gar keine Frage. Man spürt den Druck, die Verantwortung, die man hat. Ich habe das ganz besonders gemerkt nach dem 7. Oktober 2023, nach dem grausamen Terrorangriff der Hamas auf Israel. Da spürst du den Druck als Regierender Bürgermeister: Was passiert jetzt eigentlich in deiner Stadt? Die zahlreichen Demonstrationen, ein Brandanschlag auf eine Synagoge, das waren Tage, wo ich ehrlicherweise das eine oder andere Mal nachts auch schlecht geschlafen habe, weil ich nicht wusste, was passiert.

Wenn Sie Bilanz des ersten Jahres ziehen, was waren persönliche Höhepunkte und Tiefpunkte?

Höhepunkte gab es wirklich unendlich viele. Ein besonderes Erlebnis war sicherlich, mit dem Kyiver Bürgermeister Vitali Klitschko durch das Brandenburger Tor zu gehen - ein besonderer Moment auch für mich persönlich. Ich kannte Klitschko vorher nur aus dem Fernsehen, aus dem Boxring. Eine schwierige Phase war tatsächlich der 7. Oktober und alles, was danach passiert ist, auch in Berlin. Hier immer wieder zu mahnen und zu erinnern, dass wir in dieser Stadt für Zusammenhalt stehen und dass wir uns nicht spalten lassen dürfen, egal woher man kommt, egal welchen Glauben man hat - das ist ganz gut gelungen. Aber es war trotzdem eine große Herausforderung.

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Im vergangenen Sommer hatten Sie versprochen, bis zum Jahresende solle jeder innerhalb von 14 Tagen einen Termin beim Bürgeramt bekommen. Fast immer aber bekommt man die Antwort: "Aktuell keine Termine für Ihre Auswahl verfügbar.“ Und Sie hatten gesagt: "Machen ist wie wollen, nur krasser. Lassen Sie uns einfach mal krass machen." Haben Sie sich das Machen leichter vorgestellt?

Gewisse Prozesse dauern tatsächlich relativ lang. Ich würde mir manchmal wünschen, ich sage heute: "Morgen passiert das." Aber: Dass wir demokratische Strukturen, Prozesse haben, wo einer nicht allein alles sofort entscheiden kann, ist, glaube ich, schon ganz gut. Zum konkreten Punkt: Wissen Sie, das ist wirklich ganz spannend. Ich bekomme manchmal Mails und Briefe, wo Leute sagen: "Mensch, Herr Wegner, super, ich brauchte eine Verlängerung meines Personalausweises und es hat superschnell funktioniert, vielen Dank!"

Was machen die Leute, die das schaffen?

Ich sage Ihnen nur, was ich bekomme. Ich bekomme mindestens genauso oft Mails und Briefe, die in Ihre Fragerichtung gehen: "Herr Wegner, warum funktioniert es denn immer noch nicht?" Es gibt die Möglichkeit, direkt ins Bürgeramt zu gehen, fünf Minuten vor Beginn der Dienstzeit. Und in der Regel bekommt man dann auch die Dienstleistung. Es ist aber keine befriedigende Situation, immer noch nicht. Wir haben festgestellt, dass die Herausforderungen durchaus größer sind, als ich dachte.

Interview mit Kai Wegner. (Quelle: rbb)

Sabine Müller und Thorsten Gabriel im Gespräch mit Kai Wegner (mitte)

Als Sie ins Amt gekommen sind, wurde ja oft auch darauf hingewiesen, dass Sie
keine Exekutiverfahrung hatten. Sind Sie an manche Sachen vielleicht ein
bisschen zu naiv rangegangen?

Nein, das würde ich auf gar keinen Fall sagen. Weil ich immer gesagt habe, dass ich, wenn ich Regierender Bürgermeister werde, unglaublich viele Menschen um mich herum habe, die wahnsinnig viel Exekutiverfahrung haben. Und genau darauf greife ich auch zurück. Ich bleibe auch bei meiner Aussage, dass es alles andere als schlimm ist, wenn jemand von außen in die Berliner Verwaltung kommt, der vielleicht nicht die langjährige Exekutiverfahrung hat, sondern auch mal den Blick von außen reinbringt, um gewisse Prozesse zu verändern und zu beschleunigen. Na klar würde ich mir wünschen, dass ich einen Schalter finde, den ich drücke und alles funktioniert von heute auf morgen. Aber ich bin nicht davon ausgegangen, dass nach 365 Tagen Kai Wegener als Regierender Bürgermeister alles sofort funktioniert.

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Zwischendurch sah es kurz so aus, als hätten Sie diesen Schalter gefunden. Das war eine erste Klausur mit den Bezirksbürgermeister:innen zu der großen Verwaltungsreform, die geplant ist. Da war es dann ausgerechnet Clara Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, die sich mit Lob geradezu ausschüttete über den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner: neuer Stil, das habe sie noch nicht erlebt ...

... übrigens auch ein Highlight meiner Amtszeit. Zumindest habe ich mit den Aussagen bei der Pressekonferenz nicht gerechnet, von daher musste ich schon zweimal hinhören, ob sie das wirklich gesagt hat.

Aber auch da wich das Hochgefühl schnell wieder der nüchternen Realität. Im Streit um Zuständigkeiten will Friedrichshain-Kreuzberg jetzt den Senat verklagen, weil der sich mit dem geplanten Zaun um den Görlitzer Park unrechtmäßig in originäre Belange des Bezirks einmische.

Ich glaube, es ist gar nichts gewichen, sondern auch hier gibt es doch eine Aufgabenverteilung. Die Bezirke haben ihre Aufgabe, wo sie für ihre Interessen streiten müssen. Aber ich pflege eine sehr, sehr gute Zusammenarbeit mit allen – ausdrücklich mit allen – zwölf Bezirksbürgermeisterinnen und Bezirksbürgermeistern. Auch das Thema Verwaltungsreform machen wir weiter gemeinsam. Ich bin mir ganz sicher, dass ich mich auf die zwölf Bezirke auch verlassen kann, wenn es um eine Verwaltungsreform geht, wo wir mehr gesamtstädtische Steuerung hinbekommen wollen. Auch wenn es den einen oder anderen Konflikt gibt – ich glaube ehrlicherweise, dass dieser Konflikt auftreten könnte, war weder Frau Herrmann noch mir gänzlich unbekannt.

Ich bin mir ganz sicher, dass ich mich auf die zwölf Bezirke auch verlassen kann, wenn es um eine Verwaltungsreform geht, wo wir mehr gesamtstädtische Steuerung hinbekommen wollen.

Geprägt war das erste Jahr auch von einer bemerkenswerten Haushaltspolitik, wo alle finanziellen Reserven verplant wurden. Gerade haben sie als Koalition entschieden, wie die Lücken, die es trotzdem gab, gestopft werden sollen. Und sie haben beschlossen, wie Klimaschutz finanziert werden soll, nachdem das ursprünglich geplante Sondervermögen aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Das ist doch alles mit der heißen Nadel gestrickt.

Beim Sondervermögen wurden wir gestoppt, weil das Bundesverfassungsgericht ein ähnliches Modell des Bundes gestoppt hat. Aber die Idee, die Ziele des Sondervermögens sind absolut richtig. Wir brauchen Investitionen in Klimaschutz, in Infrastruktur, in Transformation. Wir brauchen Investitionen, um unsere Stadt resilient zu machen. Wir haben uns jetzt einen neuen Weg überlegt. Die Ziele bleiben, aber der Weg ist ein anderer. Wir wollen einen echten Klimapakt mit unseren Landesunternehmen, wo wir Kapitalzuführungen durchführen werden, um dort die Möglichkeiten für genau diese Investitionen zu haben.

Aber die Landesunternehmen, gerade die Wohnungsbauunternehmen, ächzen doch jetzt schon unter einer gewaltigen Schuldenlast.

Die Wahrheit ist: Ich werde ohne neue Schulden nicht die notwendigen Investitionen tätigen können. Nun sieht der Gesetzgeber weiterhin eine sehr strikte Haltung bei der Schuldenbremse vor. Ich halte das für falsch. Ich glaube, wir brauchen diese Investitionen in die Zukunft und wir gehen diesen Weg und werden das kreditfinanziert in irgendeiner Form machen. Anders geht es nicht.

Regierender Bürgermeister Berlins Kai Wegner steht auf dem Balkon des Roten Rathauses
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Zur Abwechslung machen wir jetzt eine Kurzfragerunde: Kurze Fragen – kurze
Anworten. Los geht’s: Wann haben Sie zuletzt sieben Stunden am Stück geschlafen?

Oh Gott, da kann ich mich tatsächlich nicht daran erinnern. Ich weiß es wirklich nicht.

Wie viel kriegen Sie normalerweise so?

Fünf, sechs Stunden. Das ist dann schon ganz gut.

Berlin hat nach Jahren wieder einen rauchenden Regierenden Bürgermeister.
Lieber auf dem Rathausbalkon oder im Hof?

Tatsächlich lieber im Hof, weil ich das morgens immer sehr genieße. Dort treffe ich viele
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen ich kurz sprechen kann.

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Nein.

Davor schon mal?

Wenn ich jetzt sagen würde, dass ich es noch nie gemacht habe, würde ich lügen.

Fanden Sie es auch so furchtbar wie CDU-Chef Friedrich Merz?

Ich könnte jetzt sagen, das ist so lange her, ich kann mich nicht daran erinnern. Nein, ganz ehrlich: Als ich ganz jung war, in den Schulzeiten, glaube ich, war das noch, da haben wir das mal gemacht. Aber dass ich großes Vergnügen dabei gehabt hätte oder gesagt hätte, daran muss ich festhalten, das ist wahrlich nicht so.

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Zieht die Zentral- und Landesbibliothek an die Friedrichstraße ins Lafayette?

Das ist eine großartige Idee, die ich auch sehr gerne unterstütze. Das Problem ist, dass die Kosten sehr, sehr hoch sind und der Haushalt das derzeit nicht hergibt. Wir müssen gucken, ob man das über andere Finanzierungsformen hinbekommt.

Wären Sie offen für einen Kredit neben dem normalen Haushalt?

In dieser Größenordnung wird das verdammt schwer. Da muss uns etwas anderes einfallen.

Sie haben in einem Gewinnspiel ein Politcoaching gewonnen und können sich jetzt Ihren Coach aussuchen: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder oder Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther. Wen nehmen Sie?

Diese Frage ist wirklich gemein, weil ich beide sehr schätze. Mit Daniel Günther verbindet mich aber eine Leidenschaft für den Sport und für Musik und Tanzen. Von daher würde ich mir Daniel Günther wünschen. Wenn wir erst Coaching machen, können wir danach noch tanzen gehen.

Archivbild:Kai Wegner und Katharina G¸nther-W¸nsch beim SchlagerHammer am 05.08.2023 im Schlosspark Oranienburg.(Quelle:imago images/B.Dummer)
Günther-Wünsch fuhr seit Mai mehrfach in Wegners Dienstwagen mit

Anfang 2024 gaben Berlins Regierender Bürgermeister Wegner und Bildungssenatorin Günther-Wünsch bekannt, seit Herbst ein Paar zu sein. Nun räumte die Senatskanzlei ein, dass beide schon länger gemeinsam im Dienstwagen unterwegs waren.mehr

Zum Schluss noch zwei Beziehungsfragen. Sie loben die Zusammenarbeit mit Ihrem Juniorpartner SPD sehr und geben der Partei eine ziemlich große Bühne. Aber die SPD steht in Umfragen nicht gut da. Wie lange funktioniert das noch mit dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit?

Ich werde diese Art meines Führungsstils genauso weiterhin bewahren. Jeder soll Platz haben, sich zu profilieren. Beide Koalitionspartner müssen auch erkennbar sein. Das Wichtigste dabei ist, dass es immer den Berlinerinnen und Berlinern dient. Ich finde, im ersten Jahr hat das sehr gut funktioniert.

Anfang des Jahres sorgte Ihre private Beziehung zu Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch für viele Schlagzeilen. Sie haben dazu gesagt: "Das geht in Berlin im Jahr 2024." Dabei ging es nicht um die Frage, ob die Gesellschaft bereit dafür ist, sondern es ging um die Frage: Was bedeutet das für den Arbeitsalltag? - Hat Kai Wegner seine Geliebte zur Senatorin gemacht?

Wir arbeiten an den wichtigen Themen dieser Stadt, das wird auch so weitergehen. Es hat keinen Einfluss auf unsere Regierungsarbeit und das ist das Wichtigste. Zu dieser privaten Beziehung ist eigentlich alles gesagt, was gesagt werden musste.

Wir sind uns da nicht sicher. Dann sagen Sie den Berlinerinnen und Berlinern also ganz klar: "Ich stand in keinem amourösen Verhältnis zu Frau Günter-Wünsch, als sie Senatorin wurde"?

Ja, na klar.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Sabine Müller und Thorsten Gabriel, Landespolitik Berlin

Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das ungekürzte Gespräch des rbb24-Podcasts "Spreepolitik" hören Sie im Audio-Player.