2018 aufgestellt - und sie stehen immer noch: die Filtersäulen am Stuttgarter Neckartor. (Archivbild)

Baden-Württemberg Saubere Luft contra Verkehr: Welche Maßnahme hat in Stuttgart funktioniert?

Stand: 25.04.2024 15:50 Uhr

Verpflichtet von der EU wurde in Stuttgart schon viel probiert, um die Luft sauber zu halten: Mooswände, Filtersäulen, Kleber auf der Fahrbahn, Feinstaubalarm. Was hat es gebracht, und wie sauber ist die Luft heute?

Saubere Luft oder freie Fahrt in der City - in der Autostadt Stuttgart ist das seit Jahren ein Dauer- und vor allem Streitthema. Etwa eine halbe Million Autos fahren täglich durch die Landeshauptstadt. Da ist es schwierig, die Luft sauber zu halten. Vor 25 Jahren hat die Europäische Union (EU) eine Vorschrift für saubere Luft in Städten erlassen. Etliches wurde seither in Stuttgart versucht, nichts half so richtig - zumindest zunächst.

25 Jahre Luftreinhaltung: Wann wird Stuttgart die Umweltzonen los?

"Dieselprotest", "dreckigste Kreuzung" - bundesweite Stuttgart-Schlagwörter

Nicht nur bei uns, bundesweit wurde über Stuttgart berichtet: Es gab Klagen der Deutschen Umwelthilfe und Klagen von Anwohnerinnen und Anwohnern des Neckartors in Stuttgart gegen die Stadt und das Land. Es gab Feinstaubalarm, Feinstaubfilter, Feinstaubkleber und den Streit um den richtigen Standort für Messstationen. Dennoch konnten letztlich die umstrittenen Diesel-Fahrverbote nicht verhindert werden.

Zur jüngsten Kommunalwahl 2019 traten Fahrverbots-Gegnerinnen und -Gegner in Stuttgart sogar mit einer eigenen Liste an. Ihr Spitzen-Kandidat Ioannis Sakkaros, der zuvor die Demonstrationen in Stuttgart gegen die Fahrverbote initiiert hatte, schloss sich später der CDU-Fraktion im Gemeinderat an. Inzwischen sind die Diskussionen sehr viel leiser geworden verglichen mit der Debatte vor einigen Jahren. Offene Fragen gibt es aber immer noch - und die nächste Kommunalwahl steht an, bei der für viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter das Thema Verkehr eine große Rolle spielt.

Wie ist die Luftqualität in Stuttgart jetzt?

Eigentlich ganz okay. Die Konzentrationen von Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft seien in den letzten Jahren deutlich gesunken, bestätigen das Regierungspräsidium Stuttgart und das Verkehrsministerium. "Sie liegen zwischenzeitlich an allen Messstellen unterhalb der Grenzwerte", heißt es auf SWR-Anfrage.

Was gibt die EU-Norm vor?

50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter - dieser Wert darf höchstens an 35 Tagen in einem Jahr überschritten werden. Feine Staubpartikel bedrohen die Gesundheit. Je kleiner ein Partikel ist, umso tiefer kann er in die Lunge eindringen, so das Bundesumweltministerium. Feinstaub ist krebserregend und kann Schadstoffe wie giftige Schwermetalle bis in die letzten Verästelungen der Lunge tragen. Zum Verdeutlichen: Ein Feinstaub-Partikel ist für das bloße Auge unsichtbar. Sieben Partikel sind zusammen so dick wie ein Haar - gefährlich für die Atemwege beim Einatmen.

Warum werden die Umweltzonen nicht abgeschafft?

Trotzdem wird in Stuttgart die Umweltzone nicht wie in anderen Städten in Baden-Württemberg wieder abgeschafft. Das sorgt seit dem Frühjahr für dicke Luft zwischen dem Landesverkehrsministerium und der Stuttgarter Stadtspitze. Denn Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verweist darauf, dass die Schadstoff-Konzentrationen in der Landeshauptstadt nach wie vor deutlich höher seien als in Städten wie Heidelberg, Karlsruhe, Heilbronn oder Schwäbisch Gmünd, wo die Umweltzonen aufgehoben wurden. "Wenn die Fahrverbote in Stuttgart zu früh wegfallen, riskiert man erneut eine Überschreitung der Grenzwerte", so Hermann. Die Fahrverbote für ältere Diesel seien der Bürgerschaft aber nicht mehr zu erklären, sagt Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU). Die Luft sei ja sauberer geworden. Der Konflikt hält an. Ob die Fahrverbote zurückgenommen werden können, darüber wird politisch schon seit mehreren Jahren gestritten.

Ist das Neckartor immer noch die dreckigste Kreuzung?

Nein, bereits seit Ende November 2021 offiziell nicht mehr. Grenzwertüberschreitungen des Jahresmittelwertes von Stickstoffdioxid gebe es noch in München in der Landshuter Allee und in Essen in der Kruppstraße, so das Verkehrsministerium.

Waren die Filtersäulen erfolgreich?

Seit 2018 stehen am Neckartor 17 Filtersäulen der Ludwigsburger Firma Mann + Hummel. Die Säulen können jeweils 10.000 Kubikmeter Luft in der Stunde ansaugen, Filter im Innern sollen den Feinstaub binden. Es stellte sich schnell heraus: Das Problem ist aber nicht nur Feinstaub. Auch die Stickoxid-Werte in der Stadt waren stets ziemlich schlecht. Schuld daran waren ebenfalls vor allem Diesel-Fahrzeuge. Deswegen wurden die Filtersäulen einige Monate später aufgerüstet, um zusätzlich auch Stickoxide aus der Luft zu filtern. Noch mal später wurden auch an anderen Stellen, beispielsweise entlang der Hohenheimer Straße (B27), weitere Filtersäulen aufgestellt.

Nach Meinung des Verkehrsministeriums haben die Filtersäulen klar geholfen: "Die Konzentrationen von Feinstaub und Stickstoffdioxid in der Luft sind in den letzten Jahren deutlich gesunken. Sie liegen zwischenzeitlich an allen Messstellen unterhalb der Grenzwerte."

Welche Maßnahmen gab es vorübergehend noch?

Begrünung mit Moos als natürlichem Feinstaubfilter: 2017 wurde als Pilotprojekt eine riesige Mooswand entlang der B14 ab Neckartor geschaffen. Genauer: 300 Quadratmeter Zackenmützenmoos auf 100 Meter Länge auf der Mauer zum Schlossgarten. Es war der erste große kontrollierte Praxisversuch für die Filterleistung von Moosen in Deutschland. Und hat es was gebracht? Eher nicht. Zehn Prozent verringerte Feinstaub-Konzentrationen erhoffte man sich. Aber das meiste vom Moos vertrocknete und konnte seine Filterleistung gar nicht entfalten. Und was nicht vertrocknete, wuchs nicht gut, im Winter noch zusätzlich geplagt von Streusalz. Versuch leider gescheitert, im Sommer 2018 wurde das Ganze wieder abgebaut.

Sollte Feinstaub filtern, brachte aber nichts und vertrocknete nur: Mooswand entlang der B14. (Archivbild)

Sollte Feinstaub filtern, brachte aber nichts und vertrocknete nur: Mooswand entlang der B14. (Archivbild)

Feinstaubkleber: Parallel dazu gab es Klimakleber, also schon lange vor den jetzt bekannten "Klimaklebern". Gemeint ist der Versuch, Feinstaub mit speziellen Fahrzeugen und einem "Klebstoff" auf der Fahrbahn am Neckartor "festzukleben", damit die Partikel gar nicht erst in die Luft gelangen. Brachte gar nichts, wie zusätzlich ähnliche Versuche aus Halle an der Saale und Österreich bestätigten.

"City Trees": Aber ohne Moos nix los, dachte sich die Stadtverwaltung, und es kam das nächste Moos-Projekt: die "City Trees". Mobile Pflanzen-Wände mit viel Moos und Sitzgelegenheiten an mehreren Stellen in der Stadt. Diese filterten nicht unbedingt den Feinstaub, aber sie kühlten die Innenstadt im Sommer um 2 bis 3 Grad ab.

Feinstaubalarm: Den rief die Stadt Stuttgart zwischen den Jahren 2016 und 2020 mehrfach aus. Hierbei wurden Autofahrerinnen und -fahrer gebeten, ihr Fahrzeug stehen zu lassen und stattdessen den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, der an diesen Tagen vergünstigt war. Damit wollte die Stadt hohen Strafen vorbeugen, mit denen die EU drohte, weil die Ziele der kommunalen Luftreinhaltepläne nicht eingehalten wurden. Der Alarm wurde ausgelöst, sobald der Deutsche Wetterdienst für mindestens zwei aufeinanderfolgenden Tage prognostizierte, dass der Luftaustausch in der Stadt schlecht sein könnte.

Expressbusse: Im Herbst 2018 startete dann zusätzlich die neue Schnellbuslinie X1, die Bad Cannstatt mit der Stuttgarter Innenstadt verband, im Dezember 2019 die Schnellbuslinie X7 zwischen Harthausen und Degerloch. Diese sollten den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen, wurden zuletzt aber nicht mehr angenommen und wieder abgeschafft. Die Busspur vom X1 gibt es noch - hier wird auf Wunsch des Gemeinderats geprüft, ob die Spur als Radspur genutzt werden könnte. Momentan gibt es noch drei Expressbus-Linien von Stuttgart raus in die Region, deren Zukunft aber auch ungewiss ist.

So diesig sah Stuttgart jahrelang vor allem im Sommer aus. Großen Anteil daran hatte die Feinstaub-Belastung. (Archivbild)

So diesig sah Stuttgart jahrelang vor allem im Sommer aus. Großen Anteil daran hatte die Feinstaub-Belastung. (Archivbild)

Nahverkehrsabgabe: Ex-Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) forderte 2018, eine Nahverkehrsabgabe einzuführen, wenn das Land Baden-Württemberg mitzieht. Die Idee war, Autofahrern und -fahrerinnen zu einer Gebühr zu verpflichten, mit der der öffentliche Nahvekehr besser finanziert und ausgebaut werden könne. Im Gegenzug hätten die Autofahrer dafür selbst ein Jahresticket inklusive. Kuhn war davon überzeugt, dass ein Ticket auch genutzt werde, wenn der Schwabe und die Schwäbin es schon mal hätten. Der Vorschlag scheiterte vor allem an der CDU in Gemeinderat und Land. Momentan wird etwas Ähnliches als "Mobilitätspass" BW-weit erneut diskutiert.

Wie geht der Kampf um saubere Luft weiter?

Nach Einschätzung des Verkehrsministeriums und des Regierungspräsidiums werden alle Grenzwerte für saubere Luft in Stuttgart seit 2021 vor allem deswegen flächendeckend eingehalten, weil die Maßnahmen immer noch greifen - und dazu gehörten eben auch "entscheidend" die Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge. Eine Aufhebung der Fahrverbote komme erst dann in Betracht, wenn nach Aufhebung der Maßnahme eine erneute Grenzwertüberschreitung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Hierbei müssten auch die wetterbedingten Schwankungen der Stickstoffdioxid-Jahresmittelwerte berücksichtigt werden, heißt es. Denn besonders kalte Winter führten beispielsweise zu erhöhten NO2-Werten. Und gerade diese Werte seien in Stuttgart derzeit noch auf einem zu hohen Niveau. Man stehe aber im permanenten fachlichen Austausch.

Grundsätzlich würden aber auch Maßnahmen wie flächendeckend Tempo 40 oder Tempo 30 unter anderem zur Verbesserung der Luftqualität beitragen. Apropos flächendeckend Tempo 30 in Stuttgart: Der Gemeinderat stimmte vor zwei Jahren dafür - gegen den Willen von OB Nopper.

Eine Tempo-30-Zone in Pforzheim

Flächendeckend Tempo 30 in der Stadt spaltet die Gemüter noch immer. (Symbolbild aus Pforzheim)

Was ist, wenn die EU die Grenzwerte verschärft?

Wenn die Luftqualitätsrichtlinie der EU fortgeschrieben wird, müssen insbesondere die Stickstoffdioxid-Konzentrationen in Stuttgart weiter gesenkt werden. Hierzu seien weitere Emissionsminderungen im Straßenverkehr notwendig, mahnt das Verkehrsministerium. Das heißt: Stuttgart müsse weiterhin seinen Autoverkehr minimieren und Fußverkehr, Radverkehr und öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Zusätzlich müsse der motorisierte Individualverkehr elektrifiziert werden, und verbleibende Autos mit Verbrenner-Motor sollten sauber sein. Hier verweist das Ministerium auf die Abgasnorm Euro 7/VII. Erst dann hätten grüne Umweltzonen und auch Fahrverbote in Stuttgart 2030 keinen entscheidenden Einfluss mehr auf die Luftqualität.

Bleiben die Filtersäulen trotzdem stehen?

Ja, die Filtersäulen bleiben erhalten. Sie sind aber bereits zum Teil abgeschaltet oder in ihrer Leistung gedrosselt, "weil eine stärkere Filterung an diesen Stellen aufgrund der verbesserten Werte nicht mehr erforderlich ist", heißt es auf Anfrage. Das beträfe sowohl die Filtersäulen am Neckartor als auch die an der Hohenheimer Straße. Die Leistung der Filtersäulen könne aber wieder hochgefahren werden, wenn die Schadstoffkonzentrationen ansteigen sollten.

Sendung am Mo., 22.4.2024 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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