"1947-1973 tagte hier der Ellwanger Kreis" steht auf einer Gedenktafel am ehemaligen Gasthaus "Goldener Adler" am Marktplatz in Ellwangen.

Baden-Württemberg Geschichtsstunde: Was 75 Jahre Grundgesetz mit Ellwangen zu tun hat

Stand: 08.05.2024 12:49 Uhr

Politiker der Nachkriegszeit trafen sich ab 1947, um die neue Verfassung auszutüfteln. Fast im Geheimen gründeten sie den Ellwanger Kreis. Was heute Schülerinnen und Schüler darüber lernen.

Namhafte Politiker von CDU und CSU haben mit dem Ellwanger Kreis Geschichte geschrieben und wichtige Absätze der neuen Verfassung auf den Weg gebracht. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes haben sich damit Neuntklässler am Peutinger-Gymnasium Ellwangen beschäftigt.

Wie viel das Grundgesetz mit Ellwangen zu tun hat, ist auch für die 15-jährigen Jugendlichen am Peutinger-Gymnasium neu. Die Klasse 9d staunt nicht schlecht, wie viele Minister und sogar Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone hier auf der Ostalb tagten. Sie formulierten in ihrem Ellwanger Entwurf wesentliche Absätze, wie sie sich heute im Grundgesetz finden.

Digitale Erklärtafel zum Ellwanger Kreis im Geschichtsunterricht am Peutinger-Gymnsaium zu 75 Jahre Grundgesetz.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurde in der Nachkriegszeit auch im Ellwanger Kreis vorbereitet.

Der Name "Bundesrepublik Deutschland" wird im Ellwanger Kreis publik

Die hochrangigen Politiker von CDU und CSU wollten die Zukunft gestalten und prägten auch den neuen Namen für das Land. Dieser "vagabundierte schon vorher durch die Gegend", weiß Geschichtslehrer Michael Hoffmann. Aber in einem Verfassungsentwurf tauchte der anfangs etwas sperrig geltende Name "Bundesrepublik Deutschland" erstmals hier in Ellwangen auf. Obwohl manche auch dagegen waren und "andere Namen für diesen Staat haben wollten, hat er sich ja bis heute gut gehalten", erklärt der Ellwanger Historiker.

Lehrer Michael Hoffmann im Geschichtsunterricht zum Grundgesetz mit Schülern des Peutinger-Gymnasiums in Ellwangen.

Geschichtsunterricht in der 9d: der Ellwanger Kreis ist Thema am Peutinger-Gymnasium.

Schulklasse 9d: Es ist "cool" für Ellwangen und "schon verrückt"

"Es ist für die Stadt so cool, dass diese Politiker sich hier trafen", bemerkt der Neuntklässler Jannik Abele. Schließlich wurde hier Verfassungsgeschichte geschrieben und man kann den Ellwanger Kreis durchaus als Geburtshelfer des Grundgesetzes verstehen. Schulkameradin Emma Schwager findet es "schon verrückt, wenn man darüber nachdenkt". Denn es sei sehr wichtig für das Land, ergänzt Mitschüler Nils Wagner, "auch für die Geschichte Deutschlands".

Schwarz-Weiß-Foto mit Politikern des Ellwanger Kreises an der digitalen Tafel im Geschichtsunterricht des Peutinger-Gymnasiums.

Hohe Politiker aus dem Ellwanger Kreis brachten die Ideen zum Grundgesetz 1948 auch nach Herrenchiemsee. Wie Anton Pfeiffer (CSU), der den Verfassungskonvent leitete.

Die süddeutschen Politiker, die sich Föderalisten nannten, pochten vor allem auf einen ausgeprägten Bundesstaat. Das fand seinen Niederschlag auch in dem Entwurf, der beim legendären Verfassungskonvent innerhalb von nur dreizehn Tagen im August 1948 in Herrenchiemsee formuliert wurde. Denn auch hier wirkten viele der namhaften Konservativen aus dem Ellwanger Kreis wie zum Beispiel Anton Pfeiffer von der CSU, der den Konvent leitete.

Die Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg nahe Ellwangen

Im Tagungshaus neben der Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg tagte erstmals der Ellwanger Kreis: Am 1. März 1947 war die Gründungsveranstaltung dieses politischen Herrenclubs.

Das erste konspirative Treffen des christlich geprägten Freundeskreises fand im März 1947 bei den Ordensbrüdern auf dem Schönenberg statt, im Seminarhaus direkt neben der Wallfahrtskirche. Später mussten die Politiker auf Wunsch der Kirche in die Ellwanger Innenstadt umziehen, ins Gasthaus zum "Goldenen Adler".

Gasthausschild des "Goldenen Adler" in Ellwangen

Konservative Politiker aus Stuttgart, München und Wiesbaden trafen sich recht geheimnisvoll - ohne Presse und Fotografen - im "Goldenen Adler" am Marktplatz in Ellwangen.

Obwohl der Ellwanger Kreis da im Geheimen tagte und tafelte - ohne Presse und Fotografen hinter verschlossenen Türen - entging es der amerikanischen Militärregierung nicht. Sie überwachte die politischen Treffen und ließ die Politiker gewähren. Denn es gab eine hohe Übereinstimmung mit den "Vorstellungen der US-Amerikaner", betont Geschichtslehrer Hoffmann. "Auch sie wollten einen föderalen demokratischen Staat."

"1947-1973 tagte hier der Ellwanger Kreis" steht auf einer Gedenktafel am ehemaligen Gasthaus "Goldener Adler" am Marktplatz in Ellwangen.

An die Geburtshelfer des Grundgesetzes erinnert diese Gedenktafel am ehemaligen Gasthaus "Goldener Adler" am Markplatz in Ellwangen.

Das war ja keine Selbstverständlichkeit nach dem Hungerwinter 46/47, dass genug Kartoffeln, genug Brot, genug Bier in einer Stadt vorhanden waren. Dr. Michael Hoffmann, Geschichtslehrer am Peutinger-Gymnasium Ellwangen

Dass sich die hohen Herren ausgerechnet nach Ellwangen chauffieren ließen, hatte zwei Gründe: einen geografischen und einen kulinarischen. Von Vorteil war einerseits die zentrale Lage zwischen den Landeshauptstädten Stuttgart, München und Wiesbaden, alle in der amerikanischen Besatzungszone gelegen. Für Ellwangen sprach aber auch die relativ gute Versorgung mit Nahrungsmitteln im ländlichen Umfeld. In den mit der Schreibmaschine abgetippten Protokollen sei nachzulesen, erzählt Michael Hoffmann, "dass für diese 20 Politiker mit ihren Chauffeuren genug zu essen da war - keine Selbstverständlichkeit nach dem Hungerwinter 46/47". Auch die Liebe zur Verfassung ging also durch den Magen.

Sendung am Mi., 8.5.2024 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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