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Ramelow über Löhne in Ostdeutschland "Das ist wie ohrfeigen oder schlagen"

Stand: 19.07.2023 21:47 Uhr

Thüringens Regierungschef Ramelow hat seine Vorwürfe erneuert, dass Leistungen und Kompetenzen der Menschen in Ostdeutschland nicht genug gewürdigt würden. Er erlebe, dass diese "ignoriert werden", sagte er im Interview mit den tagesthemen.

Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, hat erneut das Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland kritisiert. "Die ökonomische Einheit ist gut gelungen, aber die psychologische Einheit hat Totalschaden erlitten", urteilte er im Interview mit den tagesthemen. Er nehme wahr, dass wieder mit Klischees gearbeitet werde und dass die AfD ausschließlich als ein ostdeutsches Thema dargestellt werde. "Das sind alles Dinge, die ich als wenig hilfreich empfinde", sagte er.

Vielmehr müssten West- und Ostdeutsche darüber reden, dass es Probleme in dem Land gebe, die gelöst werden sollten. Ramelow nannte als Beispiel eine bessere Schulbildung, mehr Kindergärten und eine bessere medizinische Versorgung im ländlichen Raum. "All das sind Themen, bei denen wir Lösungen brauchen. Da hätten wir in Ostdeutschland Kompetenzen, die wir einbringen wollen." Aber als Ministerpräsident erlebe er, "dass auf unsere Kompetenzen schlicht verzichtet wird oder sie einfach ignoriert werden". 

Versteht der Westen den Osten?, Bodo Ramelow, Die Linke, zu Klischees über Ostdeutschland

tagesthemen, 19.07.2023 22:15 Uhr

Ramelow: Ostdeutsche sind zu leise

Ramelow kritisierte, dass die Mehrheit der Entscheider in Deutschland westdeutsch geprägt sei. Diese würden nicht verstehen, dass die alte Bundesrepublik nicht mehr existiere. "Wir haben 30 Jahre Transformation", erklärte Thüringens Ministerpräsident. Deutschland sei in dieser Zeit sehr stark geworden, und Ostdeutschland habe einen großen Beitrag geleistet. "Und wenn dann im Gegenzug gesagt wird, die ostdeutschen Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer leisten nicht so viel und deswegen verdienen sie auch weniger, dann ist das wie ohrfeigen oder schlagen."

"Die emotionale Seite der deutschen Einheit muss uns stark machen und zwar gesamtdeutsch", sagte Ramelow. Er verwies darauf, dass Ostdeutschland eben nicht nur die verlängerte Werkbank von Konzernen sei, sondern wie Thüringen auch kleinere und mittlere Unternehmen habe, die teilweise Weltmarktführer und Technologieführer seien. Doch viele seien zu leise. Sie würden nicht laut genug sagen, was sie alles produzieren können, was in "Westdeutschland als Selbstverständlichkeit angenommen wird".

Ramelow erklärte, ihm wäre es lieber, wenn man auch in Ostdeutschland deutlicher sagen würde, "was wir gemeinsam erreicht haben". "Und die westdeutsche Seite muss vielleicht erstmal hinhören und sollte zuhören", sagte er im Interview.

Höhenflug der AfD

Vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlerfolge der AfD hatte der Ministerpräsident zuvor in einem Interview mit der "Thüringer Allgemeinen" beklagt, dass über Ostdeutsche Pauschalurteile gefällt würden. "Was wir gerade erleben, ist eine teilweise Verzerrung der Realität". Aus skandalisierender Berichterstattung und verkürzten Analysen entstehe die falsche Wahrnehmung, dass die 52 Prozent der Wähler, die im Kreis Sonneberg für einen AfD-Landrat gestimmt haben, alles Nazis sein müssten.

Die AfD erlebte in Umfragen zuletzt einen Höhenflug - derzeit steht sie bundesweit bei etwa 20 Prozent. In Thüringen waren die Werte höher. Dort wurde im Landkreis Sonneberg der AfD-Politiker Robert Sesselmann zum ersten AfD-Landrat Deutschlands gewählt. In Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt wurde ein AfD-Politiker zum hauptamtlichen Bürgermeister bestimmt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 19. Juli 2023 um 22:15 Uhr.