Polizisten kontrollieren vor dem Hauptbahnhof in Köln.
Interview

Polizeieinsatz an Silvester "Männlich, jung, keine Bindungen"

Stand: 02.01.2017 21:44 Uhr

Gewalttaten werden in aller Regel von jungen Männern begangen, erläutert der Kriminologe Klaus Boers von der Universität Münster im Interview. Der ethnische Hintergrund spiele dabei keine Rolle. Die Kölner Polizei nimmt Boers ausdrücklich in Schutz.

tagesschau.de: Wie erklären Sie sich, dass dieses Jahr wieder so viele Männer aus Nordafrika an Silvester in Köln zusammengekommen sind?

Klaus Boers: Wir wissen schon aus den Ereignissen an Silvester 2015, dass es keine vollständig geplante Aktion war, also dass sie sich verabredet haben, deutsche Frauen zu belästigen. Vieles hat sich aus der Situation heraus entwickelt. Der eine hat wahrscheinlich den anderen über die sozialen Medien motiviert und man hat sich dort getroffen. Da spielte natürlich auch Alkohol eine Rolle.

tagesschau.de: Was kann man aus kriminologischer Sicht über diese jungen Männer sagen?

Boers: Wir wissen, dass diese Gruppe schon auffällig war, bevor die Flüchtlingskrise im Herbst 2015 begann. Schon 2013 und 2014 fiel diese Gruppe sehr viel stärker mit typischen Straßendiebstahlsdelikten, Taschendiebstahl und Drogendelikten auf.

Jung, männlich, keine sozialen Bindungen

tagesschau.de: Die Bundespolizei spricht von einer "bedrohlichen Stimmung", von "alkoholisierten Männern" und von Aggressionspotenzial. Ist dies typisch für die jungen Männer?

Boers: Gewalttaten werden in aller Regel von jungen Männern begangen. Sie müssen kein Kriminologe sein, um sich klar zu machen, dass dort ein Risikopotenzial ist: jung, männlich, keine sozialen Bindungen und überwiegend mit Leuten zusammen, die auch Straftaten begehen.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt der ethnische Hintergrund?

Boers: Der ethnische Hintergrund spielt keine Rolle, wenn Sie die gleichen Situationen auch bei anderen Nationalitäten haben. Auch bei deutschen jungen Männern haben Sie kriminologisch gesehen mit mehr Gewaltkriminalität zu rechnen.

Jugendliche und Heranwachsende begehen Gewalttaten auch immer aus Gruppenzusammenhängen heraus. Das ist ein generelles Erscheinungsbild. Das hat nichts mit arabischer, chinesischer, deutscher oder amerikanischer Herkunft zu tun.

"Es muss eine Gefährdung da sein"

tagesschau.de: Jetzt gab es ja den Vorwurf, dass die Polizei "Racial Profiling" vorgenommen habe.

Boers: "Racial Profiling" wäre es, wenn man gezielt eine ethnische Gruppe herausgreift - zum Beispiel nur die Nordafrikaner. Das wäre natürlich rechtswidrig. Oder wenn nur herausgegriffen würde, wer blond und blauäugig ist. Danach darf man nicht vorgehen. Sondern es muss eine Gefährdung da sein. Also, man muss aggressiv sein oder Risikofaktoren tragen, die möglicherweise zu Störungen oder zur Aggressivität führen.

tagesschau.de: Woran machen Sie das fest, dass die Polizei nicht nach ethnischen Kriterien vorgegangen ist?

Boers: Weil es auch kriminaltaktisch unklug ist, sich auf eine Gruppe zu konzentrieren und dann möglicherweise andere Gruppen zu übersehen. Das kriminaltaktisch erfolgreiche Konzept ist nur, wenn Sie sich an den Kriterien Aggressivität, Alkoholisierung, verbale Aggressivität usw. orientieren.

Große Gruppen sind klare Kriterien, die eine Gefährdung darstellen. Wenn Sie sich nur auf eine Gruppe konzentrieren und diese sich dann friedlich verhält, übersehen Sie womöglich die anderen. Und deshalb glaube ich nicht, dass die Polizei so vorgegangen ist.

tagesschau.de: Wann wäre die Grenze zum "Racial Profiling" überschritten?

Boers: Die Grenze wäre überschritten, wenn Sie allein davon ausgegangen wären, nach arabischem Aussehen zu suchen. Aber nach den Informationen, die die Polizei herausgegeben hat, ist dies nicht der Fall gewesen. Die Polizei hat klugerweise danach geschaut: Wer ist auffällig? Wer fällt durch Aggressivität und durch Alkoholkonsum stärker auf? Das stellt die tatsächlichen Gefährdungen dar. Im Übrigen, allein Menschen aus den Maghrebstaaten auszusortieren, ist am Anfang nicht ganz einfach. Denn wie unterscheidet sich ein Tunesier oder ein Algerier von einem Syrer? Eben. Gar nicht.

Das Interview führte Christoph Rickers, WDR, für tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 02. Januar 2017 um 23:15 Uhr.