Europäisches Patentamt in München
FAQ

Protest in München Zu viele Patente auf Pflanzen?

Stand: 27.03.2019 03:12 Uhr

Dutzende Organisationen wollen heute vor dem Europäischen Patentamt protestieren. Der Vorwurf: Die Behörde erteile immer mehr Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen - zum Vorteil der Großkonzerne. Stimmt das?

Von Susanne Wimmer, BR

Um was geht es bei dem Protest?

Zunächst geht es allgemein um die Frage, ob Pflanzen und Tiere, die konventionell gezüchtet wurden - also nicht aus gentechnischen Verfahren stammen - überhaupt patentierbar sind. In Deutschland hat die Große Koalition ihre Haltung dazu im Koalitionsvertrag festgelegt.

CDU/CSU und SPD lehnen solche Patente ab. Noch entscheidender: Im Europäischen Patentübereinkommen, der Grundlage des europäischen Patentrechtes, nach dem auch das Europäische Patentamt (EPA) in München arbeitet, heißt es: Ausgenommen von der Patentierbarkeit seien "Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren".

Doch bereits hier beginnt es, schwierig zu werden. Was sind "im Wesentlichen biologische Verfahren"? Fallen zufällige Mutationen im Erbgut noch darunter oder sind das bereits Erfindungen, die dann unter den Patentschutz fallen könnten? Es ist eine Grauzone, meinen Kritiker.

Europäisches Patentamt in München

Das Europäische Patentamt sitzt in München.

Was ist daran problematisch?

Die Initiative "Keine Patente auf Saatgut" registriert seit Jahren eine steigende Anzahl von Patentanträgen auf Pflanzen, die aus ihrer Sicht nicht aus gentechnischen Verfahren stammen, sondern aus konventionell züchterischen. Mehr als 1600 dieser Anträge seien bislang eingereicht und bereits rund 220 Patente vom EPA erteilt worden.

Die Befürchtung: Die Saatgut- und Nahrungsmittelerzeugung falle so zunehmend in die Hände einiger Großkonzerne, die je nach Geschäftsinteresse Lizenzen kassieren oder den Zugang zu Züchtungsmaterial blockieren können. Auf diese Weise könnten letztlich die Grundlagen der Ernährung monopolisiert werden. Vor allem, wenn hinter den Antragstellern große Saatgut-Giganten wie Bayer, Syngenta oder DowDuPont steckten.

Wie ist die rechtliche Lage?

Im Juni 2017 hatte der EPA-Verwaltungsrat, dem 38 Mitgliedsstaaten angehören, auf Druck der EU-Kommission einen Passus eingeführt, wonach Patente auf Pflanzen und Tiere aus herkömmlichen Züchtungsverfahren, bei denen keine Gentechnik zum Einsatz kommt, verboten sind.

Im Dezember 2018 entschied dann aber eine Beschwerdekammer des EPA, dass der Beschluss des Verwaltungsrates rechtlich unwirksam sei. Somit könnten, so die Befürchtung, derartige Patente künftig in noch wesentlich größerer Anzahl erteilt werden. Allein im Jahr 2018 habe EPA rund ein Dutzend Patente auf herkömmlich gezüchtete Melonen, Gurken, Zwiebeln und andere Gemüsearten erteilt, so die Initiative "Keine Patente auf Saatgut".

Gibt es noch andere Verfahren?

Pflanzen, die gezielt so verändert wurden, dass sie ein neues Merkmal aufweisen und zum Beispiel geschmacklich verändert oder dürreresistent sind, gelten nach Auffassung des EPA als "gesetzlich generell patentierbar". Solche Erfindungen haben üblicherweise gentechnisch veränderte Pflanzen zum Gegenstand, aber aufgrund der Fortschritte im Bereich der Biotechnologie sei das mittlerweile auch mit anderen "technischen" Verfahren möglich. Beim EPA spricht man von etwa 70 Anmeldungen für konventionelle Pflanzen pro Jahr.

Damit diese auch patentierbar sind, müssen sie laut EPA neu und "erfinderisch" sein. Was verboten ist, sind Patente auf Züchtungen, die ausschließlich durch Kreuzung und Selektion entstanden sind.

Das Bündnis "Keine Patente auf Saatgut!" hingegen hält den Verweis auf "technische" Verfahren für einen rechtlichen Trick, um Patente auf konventionelle Züchtungen zu ermöglichen. So legte es beispielsweise gegen zwei Patente der Großbrauereien Carlsberg und Heineken auf Braugerste Einspruch ein. Diese wiesen Mutationen auf, die nach dem Zufallsprinzip entstanden seien.

Aus Sicht des EPA war die Gerste aber durchaus patentierbar, weil die Zufallsmutation durch einen von Menschen herbeigeführten "technischen" Eingriff herbeigeführt wurde. Die Gerste wurde chemischen Reizen ausgesetzt, die natürliche Mutationen im Erbgut ausgelöst haben, wie sie auch bei konventionellen Züchtungen auftreten. Das Patentamt wertete dieses "chemisch-technische Zutun" als ausreichenden Grund, um das Patent zu genehmigen. Den Einspruch wies das EPA deshalb zurück.

Was befürchten die Pflanzenzüchter?

Für Pflanzenzüchter ist der Schutz geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung. Schließlich kostet die Entwicklung einer neuen, herkömmlich gezüchteten Pflanzensorte ein bis zwei Millionen Euro und dauert bis zu 15 Jahre. Im Bereich der konventionellen Züchtung ist deshalb der Sortenschutz von großer Bedeutung. Er erlaubt es Züchtern, auf neue Sorten zuzugreifen und diese züchterisch weiter zu verbessern. Vor allem kleinere und mittelständische Saatguterzeuger befürchten, dass eine Ausweitung des Patentschutzes auf konventionelle Pflanzen ihnen diesen Zugang erschweren könnte. Denn Sorten mit einer patentierten Eigenschaft dürfen nicht ohne Zustimmung des Patentinhabers genutzt werden.

Was fordern die Kritiker?

Das aus ihrer Sicht rechtliche Chaos am EPA muss dringend beendet und die Patentierbarkeit von konventionellen Züchtungsverfahren ohne Ausnahmen verboten werden. Dieses Verbot muss auch alle Bestandteile von Pflanzen und Tieren, ihrer Zellen und genetischer Grundlagen umfassen. Zusätzlich fordern die Kritiker mehr Transparenz. Neben der Industrie sollen künftig auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen an den entscheidenden Sitzungen des EPA-Verwaltungsrates teilnehmen dürfen. Dazu sei eine grundlegende Reform des Europäischen Patentamts und seiner Strukturen notwendig.

Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des EPA: "Um die notwendige Rechtssicherheit herzustellen, ist das Europäische Patentamt nun in Zusammenarbeit mit allen Instanzen und seinen Mitgliedstaaten damit befasst, diese Rechtsfrage zu lösen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete hr-iNFO am 27. März 2019 um 06:10 Uhr.