Interview

Interview mit Peter Glotz "Nicht nur mit dem Fuß aufstampfen"

Stand: 28.08.2007 03:24 Uhr

Für das akademische Deutschland geht ein heißer Herbst zu Ende. tagesschau.de befragte Peter Glotz zur aktuellen Situation der deutschen Universitäten. Der SPD-Bildungspolitiker ist Dozent und Direktor am Institut für Medien und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen.

tagesschau.de: Wenn Sie heute 18 wären und studieren wollten – würden Sie sich an einer deutschen Universität einschreiben?

Peter Glotz: Unter Umständen schon. Es gibt sehr unterschiedliche Universitäten, darunter auch sehr gute. Ich würde aber ebenfalls versuchen, einen Teil meines Studiums im Ausland zu absolvieren.

tagesschau.de: Zum Beispiel an der Schweizer Universität St. Gallen, wo Sie als ständiger Gastprofessor lehren? Was können deutsche Universitäten von dieser renommierten Schweizer Hochschule lernen?

Glotz: Einmal, dass wir vollkommen auf Bachelor- und Masterabschlüsse umgestellt haben. Zweitens, dass wir ein "Assessment Jahr" im ersten Studienjahr verwirklichen, bei dem wir prüfen, wer für unsere Universität überhaupt geeignet ist und wer nicht. Drittens, dass wir sehr praxisorientiert sind und fast 40 Prozent unseres Etats in Kooperation mit der Wirtschaft verdienen.

tagesschau.de: Ähnlich verfahren deutsche Privatuniversitäten, an denen Studenten durch Kooperationen mit der Wirtschaft nicht nur die dort üblichen Studiengebühren bestreiten, sondern auch Praxisnähe und eine hohe Erfolgsquote beim Einstieg in den Beruf genießen. Sind Privatuniversitäten das Zukunftsmodell für die deutschen Hochschulen?

Glotz: Bei Privathochschulen muss man sehr zwischen guten und schlechten unterscheiden. Das sind häufig kleine Klitschen, die vor allem Betriebswirtschaft und manchmal auch Informatik betreiben. Sie können den öffentlichen Universitäten mit ihrem breiten Spektrum keine Konkurrenz machen. Das liegt an unseren Steuergesetzen, an den deutschen und europäischen Traditionen, an zahllosen Dingen. Eine private Universität, wie zum Beispiel die Stanford University in den Vereinigten Staaten, gibt es bei uns gar nicht.

tagesschau.de: Derartige Elite-Schmieden erheben Studiengebühren. Sie haben schon vor Jahren die generelle Einführung "sozial verträglicher Studiengebühren" in Deutschland gefordert. Wie bemessen Sie die Grenze?

Glotz: Ich würde die Grenze nicht staatlich festlegen. Das müssen die Hochschulen in Eigenverantwortung tun. Ein Medizin-Studium ist teurer als ein Soziologie-Studium, und die Berliner Humboldt-Universität ist besser als irgendeine Universität in der niedersächsischen oder der nordrhein-westfälischen Provinz. Es gibt Unterschiede, die sich auch im Preis ausdrücken müssen. Im Übrigen würde ich das "sozial-verträglich" dadurch sichern, dass die Studiengebühren nachgelagert verlangt werden: Der Mensch kann erst einmal studieren, sich die Studiengebühren borgen und muss sie nur dann zurückzahlen, wenn er in einem ordentlich bezahlten Job ist.

Stipendien statt BAföG?

tagesschau.de: Kann auch ein besser ausgebautes Stipendien-System dazu beitragen, die Gebühren besser aufzufangen?

Glotz: Durchaus. Wir sollten mehr Stipendien in Deutschland vergeben. Ich fände es sehr gut, wenn das bestehende System erweitert werden würde. Im Übrigen könnte man auch überlegen, das ganze BAföG auf Stipendien umstellen. Das würde allerdings ein großes Geschrei auslösen, weil Stipendien qualitätsbezogen sind. Ein Stipendium bekommt nur jemand, der sehr gut ist. Und BAföG bekommt jemand, wenn er bedürftig ist. Das ist ein Unterschied.

tagesschau.de: Würden Studiengebühren für Erstsemester oder auch für Langzeitstudenten also zu einer Auslese der Studenten führen?

Glotz: Nicht zu einer Auslese, sondern zu einer Steuerung. Erstens führen sie dazu, dass Universitäten mehr Geld haben. Zweitens führen sie dazu, dass ein Markt entsteht. Wir haben noch ein völlig absurdes, planwirtschaftliches System. Und wir wissen seit langem, dass es reformiert werden muss. Es ist auch sozial ungerecht, weil es die Steuerzahler – auch die, die nicht in die Unis kommen – viel zu sehr belastet. Außerdem würden Gebühren dazu führen, dass die Studenten ihr Studium mehr würdigen. Meine MBA-Studierende etwa hier in St. Gallen sind anspruchsvolle Kunden. Sie zahlen gut und verlangen auch, dass sie gut behandelt werden. Das kann sich ein Student in Paderborn doch überhaupt nicht erlauben.

tagesschau.de: Nordrhein-Westfalen beispielsweise will die Einnahmen aus Studiengebühren erst 2006 den Universitäten zu 100 Prozent zu Gute kommen lassen, einen Teil also zweckentfremden. Ist das zu rechtfertigen?

Glotz: Nein. Diese Überlegungen, erst seinen Landeshaushalt mit den Einnahmen zu sanieren, sind unsinnig. Studiengebühren sind als Steuerungselement, auch als zusätzliche Finanzierungsquelle auf Dauer dringend notwendig. Sie werden mit Sicherheit kommen, sollten aber nicht dazu dienen, Subventionen für Heimatvereine oder Bergbauer zu finanzieren.

tagesschau.de: Die deutschen Universitäten nehmen international keine Spitzenposition ein. Trotzdem wollen die Länder bei den Hochschulen kürzen. Wo gibt es ihrer Meinung nach Sparpotenzial?

Glotz: Jede Hochschulregion muss natürlich unterschiedlich beurteilt werden. Also schauen die Länder, wo es zu viele Doppelungen gibt und wo sie einzelne, nicht mehr nachgefragte Studiengänge streichen können. Eine generelle Antwort ist also nicht möglich. Der Spruch "Bildung ist Investition und deshalb darf man da nicht kürzen" ist zwar im Prinzip richtig, hilft aber natürlich bankrotten Ländern wie Berlin überhaupt nicht. Daher muss man in die Zukunft schauen und darf sich nicht darauf beschränken, mit dem Fuß aufzustampfen.

Das Interview führte Benedikt Tüshaus, tagesschau.de.