Interview

Staatsverschuldung "Ein Konjunkturprogramm verpufft"

Stand: 27.08.2007 04:29 Uhr

Wie baut man weit über eine Billion Euro Staatsschulden wieder ab? Helfen höhere Steuern? Geht das überhaupt? Tagesschau.de sprach im Mai 2004 mit Rüdiger Parsche, Konjunkturexperte des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München, über die Etat-Pläne und Schuldenlisten von Finanzminister Hans Eichel.

tagesschau.de: Der Schuldenberg von Bund, Ländern und Gemeinden beträgt über 1300 Milliarden Euro – und er wächst. Kann man eine solche Schuldenlast wieder abbauen?

Parsche: Wir sind nie davon ausgegangen, dass die Staatsverschuldung ganz abgebaut werden muss. Schließlich dient sie in Teilen auch als Vermögensanlage für Banken, Versicherungen und Privatpersonen, die eine sichere Anlage suchen. Auf der anderen Seite muss man aufpassen, dass sie sicher bleibt. Wenn die Verschuldung aus dem Ruder läuft, wenn man immer stärkere Zinsbelastungen hat und das alles explosionsartig wird, dann ist die Summe negativ.

tagesschau.de: Wie weit sind wir von diesem Punkt entfernt?

Parsche: Wir stehen schon vor dem Punkt, an dem wir darauf achten müssen, dass uns die Staatsverschuldung nicht aus dem Ruder läuft. Es geht meines Erachtens darum, keine unnötigen Schulden mehr einzugehen. Wer jetzt dafür plädiert, wieder Konjunkturprogramme zu fahren, der gefährdet die Nachhaltigkeit unserer Finanzpolitik. Wir müssen die Schulden nicht unbedingt wieder auf Null bringen. Wenn wir sie konstant halten oder wieder etwas abbauen, weil wir ein sehr hohes Niveau erreicht haben, dann wäre das schon genug. Wir betrachten Schulden ja nicht absolut. Wir stellen sie ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, d. h. es geht um die Schuldenstand-Quote. Die Schulden sind explodiert und damit auch die Quote. Nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung, aber auch schon vorher unter Kanzler Schmidt.

tagesschau.de: Was ist für Sie das Ziel bei der Schuldenquote?

Parsche: Mindestens die Grenze des EU-Stabilitätspakts einzuhalten, d.h. 60 Prozent Verschuldung des Staates im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (Anmerkung der Redaktion: Derzeit beträgt die Verschuldungsquote Deutschlands 62,5 Prozent). Noch besser wäre es, wenn wir uns längerfristig auf die 50 Prozent zu bewegen.

tagesschau.de: Gibt es Beispiele von vergleichbaren Ländern, die so einen Schuldenabbau geschafft haben?

Parsche: Es ist mir nicht bekannt, dass so ein drastischer Schuldenabbau gelungen ist. Es ist ja schon allerhand, dass es jetzt etliche Länder geschafft haben, die Maastricht-Grenze der Kreditaufnahme von drei Prozent deutlich zu unterschreiten und sogar ins Positive zu kommen. Das wäre das Erste, was man schaffen müsste.

tagesschau.de: Was muss die Politik tun, um einen Schuldenabbau zu erreichen?

Parsche: Ein Abbau ist nur zu erreichen, wenn wir nicht wie bisher mehr ausgeben, als wir einnehmen. Das verlangt eisernes Sparen in Bereichen, in denen wir heute sehr üppig sind, bei den Konsumausgaben, sprich den Sozialtransfers. Dort können wir nicht mehr alles, was uns in der Vergangenheit als sozial und gerecht erschien, finanzieren.

Reformen gegen strukturelle Arbeitslosigkeit

tagesschau.de: Ab einem gewissen Wirtschaftswachstum gibt es auch wieder weniger Arbeitslose. Wie hoch muss das sein, damit das eintritt?

Parsche: Der Schwellenwert wurde immer zwischen 1,5 und zwei Prozent angesehen. Aber das ist nicht allein die Lösung. Wir haben eine strukturelle Arbeitslosigkeit, die nicht mit der Konjunktur zu beseitigen ist. Wir müssen unsere Reformen machen. Wir müssen davon weg kommen, Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Es haben sich eben auch etliche im sozialen Netz schön eingenistet. Das bringt uns nicht weiter. Statt über Steuererhöhungen zu diskutieren, müssen wir die Belastungen für den Faktor Kapital und für den Faktor Arbeit abbauen.

Arbeit ist einfach zu hoch belastet. Wenn man einem Facharbeiter zusätzlich 1000 Euro gibt, bekommt der als Alleinstehender nach Sozialabgaben und Steuern 400 Euro. Der Arbeitgeber ist bei fast 1400 Euro Kosten und der Arbeitnehmer erhält 400! Der Staat zweigt fast 1000 Euro ab.

Bloß keine Mehrwertsteuererhöhung!

tagesschau.de: Diskutiert wird eine Mehrwertsteuererhöhung - als eine Art „Befreiungsschlag“ für die Finanzpolitik. Halten Sie das für sinnvoll?

Parsche: Das ist absoluter Unsinn. Das zarte Pflänzchen Konjunktur würde damit plattgewalzt. Es gäbe eine Konsumverweigerung, die noch drastischer wäre, als das, was wir bisher schon bei den privaten Haushalten sehen. Wir würden die Schattenwirtschaft aufblähen.

tagesschau.de: Das Drei-Prozent-Kriterium des EU-Stabilitätpakts wird Deutschland auch 2005 vermutlich nicht schaffen. Auch andere Länder verstoßen dagegen. Hat der Pakt noch eine Chance?

Parsche: Das ist letztendlich eine politische Entscheidung. Wenn die Lage schlechter ist und Politiker auch ihrer Klientel auf die Zehen treten müssten, dann weichen sie aus. Dann kommen Argumente wie: Den Pakt „flexibler gestalten“. Ja was denn? Dann sind wir wieder beim „deficit spending“ wie in den 70er Jahren. Hat Kanzler Schmidt damals die Konjunktur ankurbeln können? Nein. Was haben wir mit dem riesigen Programm für die neuen Bundesländer geschaffen? Auch keine Konjunkturankurbelung. Natürlich haben wir dort die Lebensbedingungen verbessert. Aber vieles ist nur in den Konsum gegangen und verpufft. Wenn wir jetzt wieder so was planen, verpufft das wieder.

Die Fragen stellte Wolfram Leytz, tagesschau.de