Interview

Terrorexperte im Interview "Wir bleiben im Fokus des Terrors"

Stand: 05.09.2007 22:32 Uhr

Deutschland steht im Visier des islamistischen Terrorismus. Die Sicherheitsbehörden seien zwar gut aufgestellt, doch gegen fanatische Einzeltäter sei schwer vorzugehen, meint  Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung im Gespräch mit tagesschau.de.

Auch Deutschland steht im Visier des internationalen Terrorismus. Die Sicherheitsbehörden seien zwar sehr gut aufgestellt, doch gegen fanatische Einzeltäter sei schwer vorzugehen, meint Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. tagesschau.de sprach mit dem Terrorexperten nach den aktuellen Festnahmen mutmaßlicher islamistischer Attentäter.

tagesschau.de: Besteht nach der Verhaftungsaktion mutmaßlicher Terroristen eher Anlass zur Beruhigung oder zur Sorge, was die Terrorgefahr in Deutschland angeht?

Kai Hirschmann: Ich fühle mich eher beruhigt. Es gab seit dem 11. September mittlerweile schon sieben größere Aktionen unserer Sicherheitsbehörden, dabei konnten auch einige Anschläge vereitelt werden. Und jedes Mal, wenn ich dann höre, wie lange die später Verhafteten schon beobachtet worden sind, beruhigt mich das. Auch in dem aktuellen Fall klebten die Sicherheitsbehörden wie Schatten an den Füßen der Verdächtigen. Das zeigt, dass das Radarsystem funktioniert. Die Gefährdungslage, die von der Ideologie des Dschihad ausgeht, bleibt aber auch in Deutschland hoch.

Fanatische Einzeltäter kaum zu fassen

tagesschau.de: Die deutschen Sicherheitsbehörden sind also nah genug an der radikal-islamistischen Szene dran?

Hirschmann: Zwei islamistische Szenen sind hier zu unterscheiden. Einerseits Leute, die sich in Kleinstgruppen radikalisieren, oft durch das Internet, dann aber eine Netzwerkeinbindung suchen. Dies zeigt auch der aktuelle Fall: Die Verhafteten waren selbst in Pakistan, um sich in Terrorcamps ausbilden zu lassen. Da haben die Behörden gute Chancen dranzubleiben, und in solchen Fällen sind die deutschen Behörden wirklich sehr gut aufgestellt.

Schwierig wird es bei Gruppierungen wie etwa den so genannten Kofferbombern von Köln. Das waren Leute, die sich auch über das Internet radikalisiert hatten, aber relativ autonom und ohne Netzwerkanbindung versucht haben, im privaten Kämmerlein ihre Bombe zu bauen. Es gab keine Reisetätigkeit, keine Verdachtshandlungen und kaum Kommunikation nach außen. Diese fanatischen Einzeltäter fallen kaum auf und sind nur äußerst schwer auf den Radarschirm zu bekommen.

tagesschau.de: Was weiß man über die jetzt verhaftete Gruppe? Die drei Männer sollen einer deutscher Zelle des internationalen Terrornetzwerks Dschihad-Union angehört haben.

Hirschmann: Die Internationale Dschihad-Union ist ursprünglich eine usbekische Gruppe gewesen, die Anschläge auf israelische und US-Ziele verübte. Sie verfolgt ähnlich wie auch Al Kaida die Ideologie des gewaltsamen Dschihad. Die Gruppe gibt es seit 2003 und hat ihre regionale Präsenz inzwischen ausgeweitet und operiert vor allem von Pakistan aus. Diese und ähnliche Gruppen versuchen verstärkt, in Europa Rekruten für ihre Ziele zu werben. Anscheinend erfolgreich: Es sind ja schon Videos aufgetaucht, in denen Deutsche in pakistanischen Terrorcamps ausgebildet werden, gespickt mit der Behauptung, sie trainierten für Selbstmordattentate in Deutschland.

Konvertiten oft viel radikaler

tagesschau.de: Zwei der der drei mutmaßlichen Attentäter sind nach Behördenangaben zum Islam konvertierte Deutsche. Ist das für Sie überraschend?

Hirschmann: Nein, denn die islamistischen Gewaltgruppierungen versuchen aus dem klassischen Täterprofil auszubrechen. Die Leute versuchen aus allen möglichen Bereichen Menschen für ihre Ideologie zu begeistern. Man nimmt gerne Konvertiten, nicht nur aus taktischen Gründen, um die Lebensläufe klassischer Täterprofile zu erweitern, sondern auch aus inhaltlichen Gründen.

tagesschau.de: Warum?

Hirschmann: Weil Konvertiten meistens sehr viel ernster radikalisiert werden können, und weil sie als "Novizen" versuchen, noch viel religiöser zu sein, als es die Religiösen schon sind. Das macht sie oft besonders fanatisch und dadurch auch besonders gefährlich.

tagesschau.de: Der Rädelsführer der Verhafteten soll aus Ulm stammen und dort bereits seit längerer Zeit in islamistischen Kreisen im so genannten Islamischen Informationszentrum in Ulm aktiv gewesen sein. Was weiß man über dieses Zentrum?

Hirschmann: Dieser Treffpunkt fungiert schon länger als Zentrum für islamistische Sympathisanten. Das ist den Behörden bekannt. Die Szene hat sich - nachdem sie entdeckt wurde - natürlich auch nicht spontan aufgelöst. Diese Leute sind ja mit ihren Überzeugungen dort über Jahre aktiv gewesen, so auch der mutmaßliche Anführer der jetzt verhafteten Terrorzelle. Eine Schließung des Zentrums würde aber nichts bringen, denn die Einrichtung wird natürlich schon jetzt besonders aufmerksam beobachtet.

Deutschland ist ein erklärtes Feindbild

tagesschau.de: Nun hat Innenminister Schäuble in den vergangenen Monaten immer wieder angemahnt, die Sicherheitsgesetzte zu verschärfen. Hat er dabei genau solche Fälle, wie wir ihn jetzt erleben, im Hinterkopf gehabt?

Hirschmann: Wir müssen damit rechnen, dass wir im Fokus des islamistischen Terrors bleiben, und zwar auf hohem Niveau. Es gibt genügend Leute, die aus ideologisch-politischen Gründen unter Missbrauch von Religion versuchen, ihre Vorstellungen herbeizubomben. Und da ist Deutschland ein erklärtes Feindbild, nicht zuletzt durch den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Vor ein paar Jahren war das noch eine abstrakte Gefährdungslage, das ist inzwischen alles viel konkreter geworden.

tagesschau.de: Konkreter auch in der Gefahrenabwehr?

Hirschmann: Die Terroristen haben ihre Taktik geändert. Die erste Radikalisierung findet heutzutage nicht mehr in Clubs oder Moscheen statt, sondern bevorzugt im virtuellen Raum des Internets. Und natürlich muss man als Bekämpfer auf diese veränderte Ausgangslage dementsprechend reagieren. Doch nicht alles, was sich gut anhört, verbessert auch präventiv die Sicherheit.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de