Neonazis breiten sich im Internet aus Wenige Aktivisten - mit viel Raum

Stand: 07.03.2007 19:40 Uhr

Neonazis setzen immer mehr auf das Internet: Auf etwa 1000 deutschsprachigen Seiten wird braunes Gedankengut inzwischen verbreitet, Tendenz steigend, so der Verfassungsschutz. Und aus dem Online-Versandhandel ist eine kleine Neonazi-Industrie entstanden.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Rechtsextremisten setzen bei der Verbreitung ihrer Ideologie und bei der Rekrutierung neuer Mitglieder zunehmend auf das Internet. Auf fast 1000 deutschsprachigen Seiten wird rechtsextremes Gedankengut verbreitet. "Gleichzeitig erhöht die zunehmende Verbreitung von Internetzugängen die Breitenwirkung“, so der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, Hartwig Möller, gegenüber tagesschau.de. Neben Einzelpersonen seien auch alle wesentlichen Parteien und sonstige Organisationen im Netz vertreten - "teilweise einschließlich der Landes-, Kreis- bzw. Ortsverbandsebene."

So auch die NPD: Die zurzeit erfolgreichste rechtsextreme Partei muss ihre begrenzten Ressourcen möglichst effektiv nutzen - wegen der geringen Kosten bietet sich das Internet an. NPD-Chef Udo Voigt sagte gegenüber tagesschau.de: "Die Seiten unserer Partei verzeichnen Zugriffszahlen von 180.000 pro Tag". Das "Weltnetz" (die rechtsextreme Szene leht Anglizismen strikt ab) habe einen Stellenwert, der "ganz oben steht". Es sei eine "wunderbare Möglichkeit, die Positionen der NPD ohne Zensur darzustellen“.

Profit durch Propaganda

Die NPD präsentiert sich im Internet auf professionell gestalteten Seiten. Taucht man tiefer in das zunächst moderat wirkende Angebot ein, stößt man schnell auf den "Medienserver". Dort warten die "Schulhof-CDs" darauf, von Jugendlichen kostenlos heruntergeladen zu werden. Die Interpretenliste liest sich wie das "Who is who" der deutschen Neonazi-Musik, penibel wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass keine indizierten Lieder auf den NPD-Seiten liegen. Auch beim NPD-Verlag "Deutsche Stimme" überprüfen Juristen vor der Veröffentlichung die CDs auf strafrechtliche Inhalte. Sogar beim Staatsschutz fragen Neonazis zu diesem Zweck an.

Ideologisch noch nicht gefestigte Jugendliche sollen durch die Musik zum Einstieg in die Szene verleitet werden, erklärt NRW-Verfassungsschutzchef Möller. Auch hier bietet das Internet den Neonazis viele Vorteile: "Miete und Personalkosten für ein Ladengeschäft fallen nicht an, persönliche Konfrontationen mit dem politischen Gegner sind beim Online-Kauf nicht zu befürchten - durch die anonyme Abwicklung des Kaufvorgangs wird der Handel auch für Interessenten attraktiv, die aufgrund persönlicher Hemmschwellen vor einem Einkauf bislang zurückschreckten", so Möller. Außerdem: Neonazis haben viele ihrer Hochburgen in ländlichen Regionen - Szene-Geschäfte versuchen aber zumeist in größeren Städten Fuß zu fassen.

Die Neonazi-Industrie

Der Online-Handel mit Musik und Szene-Artikeln hat sich zum wichtigsten wirtschaftlichen Standbein der Neonazi-Bewegung entwickelt. Die NPD profitiert durch den Online-Handel über ihren Deutsche-Stimme-Verlag, daneben gibt es dutzende weitere rechtsextreme Online-Versandhändler in Deutschland.

NPD-Vorstandsmitglied Thorsten Heise gilt als Initiator der Schulhof-CDs und bekam wegen der von ihm produzierten Tonträger auch schon mehrfach Probleme mit der Justiz. Vorbestraft wegen anderer Delikte ist der NPD-Kader sowieso. Das Bundesvorstandsmitglied vertreibt mehrere Neonazi-Bands, die dem in Deutschland verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerk nahe stehen. Praktischerweise führt Heise Musikgruppen im Sortiment, die auf dem NPD-Medienserver zu finden sind. So kann er kostenlose Werbung für seine Waren schalten – und die Partei erhält gratis attraktive Propaganda-Mittel. Die kleine Neonazi-Industrie kann außerdem Aktivisten eine wirtschaftliche Basis garantieren.

Politischer Kampf im Netz

Dem Neonazi-Netzwerk drohen allerdings auch Gefahren im Internet. So griff die „Daten-Antifa“ in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche Seiten an - und gelangte so an interne Informationen. In zwei Fällen knackte die "Daten-Antifa" Angebote von Online-Versandhändlern und veröffentlichte tausende Kunden-Daten im Internet. Auch staatliche Stellen nutzten offensichtlich Hinweise aus gehackten Daten, beispielsweise bei Ermittlungen zu Verbindungen zwischen der NPD und verbotenen Organisationen - wie der "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS). Auch Aktionsseiten der Neonazis, die zu größeren Aufmärschen veröffentlicht werden, hackte die "Daten-Antifa" bereits mehrfach.

Hier wird ein Hauptproblem der rechtsextremen Bewegung deutlich: Mit Hilfe des Internets können die begrenzten Kräfte gebündelt werden, dennoch fehlt es an fähigen Köpfen; dem Gegner "Daten-Antifa" - ein kleines klandestines Netzwerk - ist man fachlich unterlegen.

Zensur mit untauglichen Mitteln

Trotz der Probleme: Der Erfolg des modernisierten Rechtsextremismus in Deutschland scheint ohne das Aufkommen des Internets kaum denkbar. Das Netz ist zum Macht- und Meinungsfaktor geworden - und daher auch innerhalb der Neonazi-Szene heftig umkämpft. So hat die NPD - nicht an offenen Debatten interessiert ist - bereits mehrfach versucht, oppositionelle Meinungen in den eigenen Reihen zu unterdrücken, indem Seiten von Landesverbänden unter dubiosen Umständen abgeschaltet wurden.

Und mehr noch: Das Medium beeinflusst offenbar selbst die rechtsextreme Ideologie. Längst handelt es sich bei den modernen Nazis nicht mehr um eine durch und durch autoritär geprägte Bewegung. Die meisten Ereignisse in der Bewegung werden im Internet kontrovers diskutiert, wenn auch oft auf erbärmlichen Niveau; dennoch gibt es eine gewisse Dynamik, aus der Ideen und Strategien entstehen. Und Politik und Öffentlichkeit stehen dann staunend vor Phänomenen wie dem Aufkommen der "Autonomen Nationalisten" - wirksame Gegenstrategien fehlen zumeist.