Interview

Experte zum Rentenbericht "Ein Recht auf Besitzstand gibt es nicht"

Stand: 25.08.2007 19:35 Uhr

Der Rentenbericht der Bundesregierung hat bei den Sozialverbänden für Ärger gesorgt. Weitere Nullrunden stehen an. Rentenexperte Prof. Reinhold Schnabel von der Universität Essen hingegen verteidigt den Bericht. Endlich traue sich eine Regierung, den Bürgern "grausame Wahrheiten" zuzumuten, so Schnabel im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Zum Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung hagelt es Kritik aus den Sozialverbänden. Die Rentner seien „die großen Verlierer der Koalition“, heißt es. Ist die Kritik berechtigt?

Reinhold Schnabel: Natürlich nicht! In der Vergangenheit hat auch die Erwerbsbevölkerung Einschnitte hinnehmen müssen. Es gibt auch dort Nullrunden und zurückgehende Löhne. Man kann nicht erwarten, dass die Rentner besser behandelt werden als die arbeitende Bevölkerung.

tagesschau.de: Also macht die große Koalition keine Politik gegen die Rentner?

Schnabel: Davon kann keine Rede sein. Die Politik muss versuchen die Interessen aller auszugleichen. Genau das wird mit der Rentenformel auch versucht. Das Problem ist, dass es in der Vergangenheit regelmäßige Rentensteigerungen gab. Das wird als Besitzstand angesehen. Der Staat hat diesen vermeintlichen Besitzstand bislang auch gewährt. Jetzt aber nicht mehr.

tagesschau.de: Was den Rentnern natürlich überhaupt nicht schmeckt.

Schnabel: Klar, dass sich die Rentner jetzt wie betrogen vorkommen. Aber in Wirklichkeit gibt es diesen Besitzstand nicht. Die Renten müssen aus dem Einkommen der Volkswirtschaft bezahlt werden. Und wenn die Löhne stagnieren, können die Renten nicht mehr steigen.

tagesschau.de: Und das hat Müntefering mit seinem Rentenversicherungsbericht deutlich gemacht?

Schnabel: Auf jeden Fall. Die große Koalition ist eine Regierung der grausamen Wahrheiten. Sie muss eine ganze Reihe von unpopulären Fakten herauslassen, die von den Vorgängerregierungen – egal welcher Farbe – unter dem Deckel gehalten wurden. Die Prognosen der Vergangenheit waren allesamt zu optimistisch. Beim heutigen Rentenbericht ist das anders. Das ist zwar nicht unbedingt alles schön, was da drin steht, in der Einschätzung aber wesentlich realistischer als alles, was wir in der Vergangenheit erlebt haben.

tagesschau.de: Erleben wie also eine neue Ehrlichkeit in der Rentenpolitik?

Schnabel: Die Ehrlichkeit besteht darin, dass die Erwartungen an die Rentenentwicklung deutlich heruntergeschraubt werden. Und das ist sehr wichtig, denn so gibt es am Ende weniger Enttäuschung. Auch bei der Einschätzung der Lohnentwicklung hat die große Koalition einen Schritt gewagt, den sich vorige Regierungen nicht getraut haben. Sie hat den Anstieg der Löhne in der mittleren Variante auf nur noch 2,5 Prozent veranschlagt. Wenn sie davon noch die Inflation abziehen, bleiben Mini-Lohnerhöhungen von 0,5 bis ein Prozent übrig.

tagesschau.de: Ein Rentenbericht also, der endlich mal alle Probleme ehrlich zusammenfasst?

Schnabel: Ganz so ist es nicht. Der Bericht hört genau dann auf, wenn die wirklichen Probleme erst beginnen, nämlich 2019. Dann greift das Hauptproblem der demographischen Entwicklung, die eine massive Auswirkung auf die Rentenentwicklung hat. Insofern suggeriert auch dieser Bericht ein wenig, als würde es ab 2020 vielleicht besser werden mit der Rente. Das wird es aber nicht. Die Beitragssätze werden deutlich nach oben gehen. Das ist sicher, wird aber leider noch verschwiegen.

tagesschau.de: Wie ernsthaft muss sich ein heute Dreißigjähriger Arbeitnehmer denn um seine Rente sorgen.

Schnabel: Man muss keine Angst vor der Zukunft haben. Es ist möglich, das heutige Rentenniveau in der Summe beizubehalten, aber nur in Kombination von gesetzlicher Rente und privater Altersvorsorge. Die zukünftigen Generationen können durchaus eine auskömmliche Rente erwirtschaften, die weit über dem Sozialhilfeniveau liegt.

tagesschau.de: Und wie ist eine adäquate Rente zu erreichen?

Schnabel: Ich kann nur jedem jungen Erwerbstätigen raten, so früh wie möglich mit der privaten Vorsorge zu beginnen. Etwa sechs bis acht Prozent sollte man dafür in den privaten Rentensparstrumpf stecken. Das große Problem bleiben dabei natürlich die Leute, die von der Hand in den Mund leben und keine Rücklagen bilden können. Dieses Problem wird uns sicher auch erhalten bleiben.

Das Interview führte Ulrich Bentele, tagesschau.de