Versorgung der Zivilisten Medizinische Oase im Schlamm von Kabul

Stand: 29.08.2007 14:46 Uhr

Auch nach dem Krieg bleibt die medizinische Versorgung in Kabul problematisch. Zivilisten können im deutschen Feldlazarett nur versorgt werden, solange keine Soldaten erkrant sind. Denn Betten sind rar. Ärzte und Pflegepersonal wie Hauptfeldwebel Roswitha Müllner stehen jedesmal vor einer schwierigen Entscheidung. 

Die blauen Plastikgaloschen sehen aus wie kleine Müllsäcke. Am Fuß wirken sie lächerlich, sind aber hilfreich. Im Winter gegen Schlamm, im Sommer gegen Staub. Kein Soldat der internationalen Afghanistan Schutztruppe ISAF kann seine Stiefel auf Dauer so sauber halten, dass er ohne die beiden Überzieher den Hygienevorschriften im Feldlazarett genügen würde. So verpackt auch Hauptfeldwebel Roswitha Müllner ihre schlammigen Schuhsohlen in Plastik, bevor sie zum Dienst auf der Pflegestation von Camp Warehouse antritt.

Hilfe für muslimische Frauen

Die Berufssoldatin Anfang 30 leistet in Kabul ihren zweiten Auslandseinsatz. Normalerweise arbeitet die gelernte Krankenschwester an einem deutschen Bundeswehrkrankenhaus. Dort hat sie vor zwei Jahren ein kleines afghanisches Mädchen behandelt. Deren Verletzungen waren so schwer, dass ihr daheim niemand mehr helfen konnte. Dieser Fall hat Roswitha Müllner auf die Idee gebracht. Sie will vor allem den muslimischen Frauen helfen, die von männlichen Sanitätern im Feldlazarett von Camp Warehouse nicht behandelt werden dürfen.

Gefahren lauern überall: Minen, Trinkwasser, Autos...

Die Menschen in und um Kabul leben auch nach dem Ende der Talibanherrschaft gefährlich. Viele Freiflächen haben die abziehenden Islamisten vermint. Das Trinkwasser und die meisten Lebensmittel sind nicht sauber. Und seit der Straßenverkehr wieder zunimmt, gibt es andauernd schwere Unfälle mit Autos. Radfahrer und Fußgänger werden regelmäßig über den Haufen gefahren.

Besonders schwere Fälle werden immer donnerstags vom Militärkrankenhaus Kabul an die ISAF überwiesen. Deren Ärzte stehen jedes mal vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Denn keine Klinik in Afghanistan kann Notfallpatienten richtig versorgen. Im Feldlazarett von Camp Warehouse kein Problem, aber dort gibt es nur zwei bis drei Intensivbetten mit Beatmungsgeräten. Das reicht zwar, um alle Soldaten medizinisch so umfassend zu versorgen wie am Heimatstandort. Aber für Zivilisten ist hier eigentlich kein Platz. So lange den Soldaten nichts passiert, behandelt das Feldlazarett die afghanischen Patienten einfach nebenher.

Lazaretts weltweit nach gleichem Muster

Roswitha Müllner findet sich hier schnell zur Recht. Vor acht Jahren war sie im Balkan-Einsatz, auch dort in einem Feldlazarett. Im ISAF-Camp von Kabul belegen die Sanitäter eine kleine Zeltstadt. Der Operationssaal ist in mehreren Containern untergebracht, steril hinter einer aufwendigen Staubschleuse. Das ganze medizinische Gerät wird überall nach dem gleichen militärischen Plan aufgebaut. Das Pflegepersonal muss sich nur an den neuen Einsatzort gewöhnen, die Arbeitsplätze sollen überall auf der Welt gleich aussehen.

Glücklich über ein paar Quadratmeter Privatsphäre

Die Sanitätssoldaten der Bundeswehr sind für drei Monate hier, alle anderen bleiben doppelt so lange. Roswitha Müllner hat Glück. Sie ist in einem der Fertighäuser von Camp Warehouse untergebracht, in einer klimatisierten Vierbettstube. Das Mannschaftszelt mit Feldbetten und ohne eigenen Spind bleibt ihr erspart. Bei zwölf Stunden Dienst jeden Tag ist sie dankbar, für die Rückzugsmöglichkeit auf ein paar Quadratmeter streng geordnete Privatsphäre. Sehr viel mehr wird sie von Afghanistan allerdings auch kaum zu sehen bekommen. Denn die Krankenschwestern gehen nicht mit den Notärzten auf Streife. So wird sie selbst nicht nachsehen können, wie es dem kleinen Mädchen inzwischen geht, das sie damals in Deutschland gepflegt hat.

Heiner Heller, ARD-Hauptstadtstudio