Ein positiver Schwangerschaftstest
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Bundesärztekammer fordert Hilfe Immer weniger Abtreibungsärzte

Stand: 05.03.2019 11:49 Uhr

Frauen, die abtreiben wollen, finden immer schwerer einen Arzt. Denn immer weniger Mediziner nehmen Schwangerschaftsabbrüche vor. Teils müssen Patientinnen 200 Kilometer für den Eingriff fahren.

Von Diana Kulozik, Lisa Wandt, Axel Svehla, rbb

Als Katja schwanger ist, weiß sie schnell: Dieses Kind kann sie nicht bekommen. Sie hat schon vier. Ein Fünftes, dafür reicht ihre Kraft einfach nicht. Doch als sie ihren Frauenarzt in Bayern nach einer Abtreibung fragt, bekommt sie keine Hilfe. "Er hat versucht, mir die Abtreibung auszureden und mich mit dem Problem alleingelassen“, erzählt die junge Mutter. Erst im Internet hat sie den Gynäkologen Michael Spandau gefunden, der ihr schließlich half.

"Frauen nicht im Stich lassen"

Der 70-jährige Frauenarzt ist vor drei Jahren in Rente gegangen. Eigentlich. Denn er ist der einzige Arzt in Passau und ganz Niederbayern, der ungewollt Schwangeren hilft. Also arbeitet er gezwungenermaßen weiter. "Ich kann die Frauen doch nicht im Stich lassen“, sagt er. "Es haben genug Patientinnen bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen ihr Leben gelassen, irgendwo in Hinterhöfen von Hebammen, Kurpfuschern oder auch Ärzten mit unsterilen Instrumenten durchgeführt." Deshalb macht er das, was offenbar immer weniger Ärzte machen wollen. Einmal die Woche operiert er in der Praxis eines befreundetet Kollegen. Neben Katja hat er an diesem Tag noch vier weitere Patientinnen. Manchmal sind es auch zehn Abtreibungen pro Tag.

Michael Spandau

Gynäkologe Michael Spandau: "Ich kann die Frauen doch nicht im Stich lassen.“

Nicht nur im streng-katholischen Niederbayern geraten Frauen immer öfter in Not, es ist ein bundesweites Problem: Es gibt immer weniger Arztpraxen und Kliniken, die Abbrüche durchführen. Die Zahl ist nach einer Berechnung des Statistischen Bundesamtes für das ARD-Politikmagazin Kontraste seit 2003 um 40 Prozent zurückgegangen - von 2000 auf 1200 Stellen.

"200 Kilometer sind unzumutbar"

Wer in der Bistumsstadt Trier ungewollt schwanger wird, muss für den Abbruch bis ins Saarland fahren. In Münster ging kürzlich der letzte Arzt in Rente, der dort noch Abtreibungen gemacht hat. Und in Stuttgart gibt es laut der Beratungsstelle pro familia kein Krankenhaus, das ungewollt Schwangeren hilft. Welche Folgen das für die Betroffenen hat, weiß Spandau aus zahlreichen Gesprächen: "Mich rufen Frauen aus Augsburg an, weil sie keinen Arzt in ihrer Umgebung finden. Über 200 km zu einer Abtreibung fahren zu müssen, ist für die Betroffenen unzumutbar." Es sei eine zu große seelische und körperliche Belastung.

Druck militanter Abtreibungsgegner

Und die Situation spitzt sich weiter zu, weil in letzter Zeit der Druck von militanten Abtreibungsgegnern auf die Ärzte wächst. Mit Plastikföten demonstrieren sie vor Arztpraxen und Beratungsstellen von pro familia - oder ziehen mit weißen Kreuzen durch die Innenstädte. Mit regelmäßigen Demonstrationen unter dem Slogan "Marsch für das Leben" versuchen die sogenannten Lebensschützer die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Für die Bundesärztekammer ist der zunehmende Druck militanter Abtreibungsgegner ein Grund dafür, dass immer weniger Ärzte zu Abtreibungen bereit sind. "Wir haben großes Verständnis für jeden Arzt, der unter den derzeit herrschenden Bedingungen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen möchte", so Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Er fordert die Politik auf, etwas gegen die massive Störung durch sogenannte Lebensschützer zu unternehmen.

Post von aggressiven Abtreibungsgegnern im Briefkasten

Ein Arzt aus Münster, der bis vor kurzem noch der einzige Abtreibungsarzt vor Ort war, hat die aggressiven Abtreibungsgegner schon mehrfach zu spüren bekommen. "Bomben haben sie noch nicht in unsere Praxen geworfen, sowas gibt es nur in den USA. Aber es gibt hässliche Post, die man im Briefkasten findet", berichtet er. Weiter macht er trotzdem. "Ich denke, dass der Schwangerschaftsabbruch in gewissen Situationen notwendig ist und als eine Art Notbremse existieren muss", erklärt er. Auch er ging vor kurzem in Rente. Auch er macht dennoch weiter. Zweimal die Woche hilft er im 170 Kilometern entfernten Bremen aus.

Selbst in liberalen Großstädten finden sich immer weniger Ärzte, die bereit sind, Abbrüche durchzuführen. Monika Börding führt in Bremen eines von vier Medizinischen Zentren von pro familia in Deutschland. Jährlich werden hier 1800 Abtreibungen durchgeführt. Würde der Arzt aus Münster nicht aushelfen, hätte Börding im Juli den Betrieb einstellen müssen. "Ich habe über das Ärzteblatt, über die Bundesagentur für Arbeit gesucht und ich habe 645 Ärzte über einen Mailverteiler angeschrieben. Das Ergebnis war gleich Null“, erzählt sie.

Monika Börding

Monika Börding führt in Bremen eines von vier Medizinischen Zentren von pro familia in Deutschland.

Keine Erhebung von Kontaktdaten

Obwohl die Bundesländer gesetzlich dazu verpflichtet sind, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, erhebt fast die Hälfte von ihnen nicht einmal die Kontaktdaten von Gynäkologen, die Abbrüche durchführen. Darunter etwa Länder wie Baden-Württemberg, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Nur Berlin und Hamburg stellen bislang solche Listen online zur Verfügung. "Die Länder sind für ein ausreichendes Angebot zuständig, die müssen jetzt handeln und irgendwas tun", fordert die Geschäftsführerin von pro Familia Bremen. Börding befürchtet, es "endet sonst für die Frauen in einer Katastrophe."

Mehr zu dem Thema im ARD-Politmagazin Kontraste um 21.45 Uhr.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Magazin Kontraste am 23. August 2018 um 21:45 Uhr.