Richterinnen und Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts

Urteil des Bundesverfassungsgerichts Wahlrechtsreform war nicht zu kompliziert

Stand: 29.11.2023 13:17 Uhr

Die Wahlrechtsreform von 2020 hält verfassungsrechtlichen Bedenken stand. Dem Vorwurf, dass sie zu kompliziert sei, folgten die Richter nicht. Einige von ihnen äußerten aber Bedenken.

Von Max Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Im Grunde ist es einfach: Wahlen sind die Grundlage der Demokratie. Aber das Wahlrecht in Deutschland ist kompliziert. Zudem ist der Bundestag in den letzten Legislaturperioden sehr groß geworden. Mehr als 700 statt der ursprünglich knapp 600 Abgeordneten sitzen im Parlament. Das ist teuer, macht das Arbeiten komplizierter, und deswegen hatte die Große Koalition 2020 eine Reform beschlossen.

Bundesverfassungsgericht urteilt: Wahlrechtsreform von 2020 ist verfassungskonform

K. Schwartz, SWR / F. Bräutigam, SWR, tagesschau, 29.11.2023 16:00 Uhr

Durften Ausgleichsmandate beschränkt werden?

Der Bundestag wurde in den vergangenen Jahren so groß wegen der Überhang- und Ausgleichsmandate. Wenn eine Partei besonders viele Erststimmen für Direktkandidaten bekam, dann durften alle Direktkandidaten ins Parlament. Auch wenn der Partei nach ihrem Zweitstimmenanteil im Ganzen eigentlich weniger Sitze zustanden. Für die anderen Parteien gab es dafür aber einen Ausgleich, die sogenannten Ausgleichsmandate. Die ließen den Bundestag dann deutlich anwachsen.

Bei der Reform 2020 wurden deshalb die Ausgleichsmandate beschränkt. FDP, Grüne und Linke meinten, das sei verfassungswidrig. Die Vertreterin der drei Parteien, Juraprofessorin Sophie Schönberger, erklärte bei der Verhandlung, dass "unausgeglichene Überhangmandate" Parteien mit Überhangmandaten bevorzugen würden: "Die bekommen nämlich mehr Mandate, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen." Statistisch gesehen profitiere nach diesem Wahlrecht in der Regel die CSU.

 

Reform verstößt nicht gegen Gebot der Klarheit

Ein weiterer Kritikpunkt der Klage: Das Wahlrecht sei durch die Reform 2020 insgesamt viel zu kompliziert geworden. Die Wählerinnen und Wähler würden nicht mehr durchblicken, wie aus ihren Stimmen am Ende Parlamentssitze werden.

Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Kritik heute nicht gefolgt. Die Wahlrechtsreform von 2020 sei nicht zu kompliziert. Sie verstoße nicht gegen das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit von Gesetzen. Es sei bestimmt genug geregelt, wie die Sitze im Bundestag nach einer Wahl verteilt werden.

Zwar dürften Bürgerinnen und Bürger die Wahlrechtsparagrafen wohl nicht im Einzelnen sofort verstehen, wenn sie einfach das Gesetz lesen. Das sei aber nicht schlimm, weil vor allem die Wahlorgane und der Bundeswahlleiter diese Gesetze anwenden müssten. Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts sagte, dass es hinnehmbar sei, "die Regelungen so zu fassen, dass die damit betrauten Wahlorgane sie ordnungsgemäß anwenden, wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger sie aber in der Regel erst unter Zuhilfenahme weiterer Informationsquellen nachvollziehen können."

Der Gesetzgeber habe sich für ein Mischsystem aus Personenwahl und Parteienwahl entschieden und dürfe das auch. Und in einem solchen Wahlsystem sei ein "gewisses Maß an Komplexität nicht zu vermeiden".

Keine einstimmige Entscheidung

Das Urteil zur Wahlrechtsreform 2020 erging nicht einstimmig. Zwei Richter und die Senatsvorsitzende König haben zu dem Urteil eine abweichende Meinung geschrieben. Sie meinen: Die Paragrafen zum Wahlrecht müssten für alle Bürgerinnen und Bürger ohne "Zuhilfenahme weiterer Informationsquellen" verständlich sein.

Es reiche nicht aus, wenn für die Wählerinnen und Wähler nur "in groben Zügen verständlich ist", wie die Wählerstimmen in Mandate umgerechnet werden. Dieses Argument konnte die Mehrheit der Richterinnen und Richter aber nicht überzeugen.

Kolja Schwartz, SWR, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform 2020

tagesschau24, 29.11.2023 11:00 Uhr

Gesetzgeber hat "Gestaltungskorridor"

Außerdem sagt Karlsruhe: Bei der Reform von 2020 habe die damalige Große Koalition die Überhangmandate, also die direkte Wahl von Abgeordneten, stärken dürfen. Hier habe der Gesetzgeber einen "Gestaltungskorridor".

Diese Regelung ist allerdings mittlerweile überholt. 2023 gab es nämlich eine neue Reform des Wahlrechts, und die Überhangmandate wurden abgeschafft. Auch gegen diese neue Reform gibt es bereits Klagen in Karlsruhe. Die CSU und die Linke haben geklagt. Sie befürchten, dass sie wegen der neuen Regeln unter Umstände nicht mehr in den Bundestag kommen.

(Az. 2 BvF 1/21)

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. November 2023 um 12:00 Uhr.