Josef Schuster

Zentralrat der Juden "Erinnerung an Shoah muss bewahrt werden"

Stand: 09.11.2022 09:28 Uhr

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, warnt vor einem Schlussstrich unter die Erinnerung an den Holocaust. Diese werde aktuell in Deutschland infrage gestellt. Auch kalendarische Zufälle trügen dazu bei.

Zum Jahrestag der Novemberpogrome gegen die jüdische Bevölkerung 1938 warnt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, vor einem Verblassen der Erinnerung an die Vernichtung der Juden und die Gräuel der Nazi-Zeit. Laut einer aktuellen Umfrage wollten 49 Prozent der Deutschen gerne einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen, erinnerte er in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" zum 9. November.

Ohne gelebte Erinnerungskultur gehe es nicht

"Ich würde diesen Menschen dringend empfehlen, sich mit einem Shoah-Überlebenden zusammenzusetzen. Noch leben einige von ihnen. Und ihre Traumata hallen noch in ihren Kindern und Enkeln nach und werden auch bei deren Nachfahren noch nicht verklungen sein." Ohne eine gelebte Erinnerungskultur gebe es auch keine demokratische Kultur der Bundesrepublik Deutschland, fügte Schuster hinzu.

Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Erinnerung zu bewahren und weiterzuentwickeln: "Bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Gleichzeitig wächst die Zahl an Menschen, die keine biografischen Bezüge zur NS-Zeit haben. All das macht das verantwortungsbewusste Erinnern nicht leichter."

Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, aufgenommen während der Vergabe des Simon-Snopkowski-Preises.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sieht es als gesamtgesellchaftliche Aufgabe, die Erinnerung zu bewahren.

Die Erinnerung an den Holocaust stehe zur Disposition

Schuster schrieb von einem "Paradigmenwechsel" in Deutschland: "Die Erinnerung an den Holocaust steht zur Disposition." Dazu trügen auch kalendarische Zufälle bei. Etwa, dass der Fall der Mauer 1989 auch am 9. November stattfand, dem Tag der Novemberpogrome von 1938, die den "Anfang vom Ende jüdischen Lebens in Deutschland" markierten.

2022 sei ein Beispiel dafür, dass die Erinnerungskultur von verschiedenen Seiten in Gefahr sei, so Schuster weiter. Dabei kritisierte er unter anderem Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux und den früheren Pink-Floyd-Musiker Roger Waters, die immer wieder zum Israel-Boykott aufriefen.

Antisemitismus auf documenta sei abstoßend

Außerdem werde Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, oft als "kolonialistisches Projekt" diffamiert. Auch die documenta in Kassel habe "abstoßendste antisemitische Darstellungen, finanziert durch deutsche Steuergelder" gezeigt, ergänzte der Zentralratspräsident: "Dass so etwas mehr als 75 Jahre nach der Nazi-Barbarei in Deutschland möglich ist, hätte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht vorzustellen gewagt. Erschreckend waren dabei nicht nur die Vorkommnisse in Kassel, sondern wie damit umgegangen wurde." Israelfeindliche und antisemitische Haltungen "sind im internationalen Kulturbetrieb schon lange keine Außergewöhnlichkeit mehr", ergänzte Schuster.

Menschen stehen vor dem abgehängten umstrittenen Banner auf der documenta in Kassel

Menschen stehen vor dem abgehängten umstrittenen Banner auf der 15. documenta in Kassel.

Auch in Politik und Medien nähmen "Aussagen von geistigen Brandstiftern, wie nach meiner Überzeugung Gauland und Höcke" zu. Zudem führe die "Beharrlichkeit der AfD" dazu, "dass dieser Revisionismus auch im bürgerlichen Lager aufgegriffen wird" und dass etwa Historiker in renommierten Medien ein "Recht auf Vergessen" einforderten.

Tagung mit Steinmeier im Schloss Bellevue

Für heute haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Zentralrat der Juden zu einer Tagung unter dem Titel "Wie erinnern wir den 9. November? Ein Tag zwischen Pogrom und demokratischen Aufbrüchen" ins Schloss Bellevue eingeladen. Dabei wollen Zentralratspräsident Schuster, Historiker und Politologen darüber debattieren, wie Gedenktage in Deutschland gelingen können und die Erinnerungskultur weiter entwickelt werden sollte.