Christine Lambrecht
Analyse

Verteidigungsministerin in der Kritik Wie angezählt ist Lambrecht?

Stand: 12.05.2022 04:24 Uhr

Wegen der Mitnahme ihres Sohnes in einem Regierungshelikopter steht Verteidigungsministerin Lambrecht in der Kritik - nicht zum ersten Mal. Konsequenzen muss sie offenbar trotzdem keine fürchten. Warum?

Eine Analyse von Moritz Rödle, ARD Berlin

Um den Charakter von Christine Lambrecht zu verstehen, muss man ein wenig in die Vergangenheit schauen. Zum Beispiel auf den 29. September 2021. Es ist der Mittwoch nach der für die SPD erfolgreichen Bundestagswahl. Drei Tage nach dem überraschenden Sieg über CDU und Grüne. Die Stimmung in der neuen SPD-Fraktion ist gut. Man trifft sich auf der breiten Treppe im Paul-Löbe-Haus zum Gruppenfoto. Im Hintergrund das Kanzleramt, in das man mit dem Spitzenkandidaten Olaf Scholz bald einziehen will.

An diesem Tag steht hier die neue Fraktion. Viele frische Gesichter sind dabei. Die SPD ist stolz darauf, dass die Fraktion so ein junges und diverses Gesicht bekommen hat. Doch eine steht auf der Treppe, die eigentlich gar nicht mehr dazu gehört. Die heutige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht.

Ministerin statt "Traumberuf"

Angesichts schlechter Umfragewerte hatte Lambrecht rund ein Jahr vor der Wahl angekündigt sich aus der Politik zurückzuziehen und wieder in ihrem "Traumberuf" als Anwältin zu arbeiten. Die Aussicht auf die harte Oppositionsbank ist im Herbst 2020 offenbar nicht sehr attraktiv für die damalige Bundesjustizministerin. Doch als im Herbst 2021 klar wird, dass die SPD weiter regieren kann, will Lambrecht von ihrem angeblichen Traumberuf offenbar nichts mehr wissen. Hinter den Kulissen lotet sie ihre Chancen aus, erneut Ministerin zu werden.

Dazu gehört wohl auch, nicht in Vergessenheit zu geraten. Und so steht sie an diesem Mittwoch nach der Wahl beim Fraktionsfoto in Reihe zwei, ganz nahe beim künftigen Kanzler. Bei den Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion kommt das damals gar nicht gut an. "Würdelos" ist ein Begriff, der im Gespräch mit SPD-Abgeordneten fällt. Nicht viele glauben daran, dass der Comeback-Versuch erfolgreich sein könnte. Niemand habe auf Lambrecht gewartet, heißt es unter anderem.

Doch es kommt tatsächlich anders. Scholz hat im Wahlkampf versprochen, dass er ein Kabinett anführen werde, das zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht. Die FDP sieht sich an dieses Versprechen aber nicht gebunden und lässt Scholz im Stich. Die SPD muss ausgleichen. Das bedeutet von sieben Ministerien müssen vier von einer SPD-Frau geleitet werden, damit die Rechnung aufgeht. Naheliegende Kandidaten wie der erfahrene Verteidigungspolitiker Lars Klingbeil kommen daher nicht in Frage. Weil Klingbeil das weiß, nimmt er sich vorher selbst aus dem Rennen. Und so landet Scholz auf der Suche nach einer Person mit Ministerinnen-Erfahrung bei Lambrecht.

Von Skandal zu Skandal

Doch sofort beginnen die Probleme. Schon im Justizministerium hat sich Lambrecht den Ruf erarbeitet, bei Personalentscheidungen nicht zimperlich zu agieren. Insbesondere die engen Mitarbeiterinnen ihrer Vorgängerin Katarina Barley können davon ein Lied singen. Auch im Verteidigungsministerium reitet Lambrecht mit der Kavallerie ein. Noch bevor sie offiziell einzieht, müssen wichtige Mitarbeiter ihren Hut nehmen.

Bei Amtsvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer stößt das so sehr auf, dass sie der offiziellen Amtsübergabe fernbleibt. Lambrecht hat ihren ersten Skandal im neuen Amt produziert. Es sollen weitere folgen. Schon einige Tage später der nächste Stolperer. Im "Bild"-Interview wird sie gefragt, ob sie schon einen Oberleutnant von einem Oberstleutnant unterscheiden könne. Die Ministerin antwortet ausweichend. Ihre erste Frage im neuen Amt sei gewesen, ob sie sich das alles merken müsse. Aber Herr oder Frau plus Nachname reiche. Bei der Truppe kommt das gar nicht gut an. Eine Verteidigungsministerin, die sich noch nicht mal die Dienstgrade merken will.

Eine Frage des Stils

Oft sind es wie in diesem Fall gar nicht inhaltliche Probleme, sondern Stilfragen, die die Ministerin in die Kritik bringen. Als im Januar zum ersten Mal die Diskussion über militärische Unterstützung der Ukraine losgeht kündigt Lambrecht in einem extra einberufenen Pressetermin stolz die Lieferung von 5000 militärischen Schutzhelmen an. Das Echo ist verheerend. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki spricht öffentlich von einem Witz. Der Focus schreibt von einer "Blamage", die "Berliner Morgenpost" von einer "Lachnummer". Die groß verkündete Lieferung wird zum internationalen Symbol für Deutschlands schwankenden Kurs in der Ukraine-Politik.

Auch bei der Frage von Waffenlieferung an die Ukraine macht die Ministerin danach alles andere als einen sattelfesten Eindruck. Sie verfestigt damit das Bild einer zaudernden Bundesregierung. Auch danach schafft sie es mit Unzulänglichkeiten in die Schlagzeilen zu kommen. Bei einem Truppenbesuch in Mali tritt sie in offenen Schuhen mit Absätzen auf. Wieder fühlen sich Soldatinnen und Soldaten nicht ernstgenommen. Die Ministerin verstößt damit auch gegen Sicherheitsvorschriften, die für alle anderen gelten.

Christine Lambrecht steht mit mehreren Menschen vor militärischem Gerät.

Sieben Panzerhaubitzen sollen laut Verteidigungsministerin Lambrecht an die Ukraine geliefert werden. mehr

Die Wagenburg hält trotzdem

Schon wieder handelt die Ministerin offenbar nach dem Motto, was interessiert mich, was andere denken. In diese Kategorie passt auch der Hubschrauberflug mit ihrem Sohn. Juristisch ist die Familienreise wohl legal, doch kommunikativ ein Desaster. Das liegt vor allem an den Fotos, die ihr Sohn in einem sozialen Netzwerk veröffentlicht. Gegen die Macht der Bilder kommt die formaljuristische Argumentation des Verteidigungsministeriums kaum an und Lambrecht macht nicht den Eindruck, dass sie das Problem verstanden hat.

Trotzdem muss die Ministerin dafür zunächst keine weiteren Konsequenzen fürchten. Die wichtige Unterstützung der SPD-Fraktion hat sie sicher. Am vergangenen Dienstag hält sie dort eine selbstbewusste Rede. Niemand stellt die Ministerin in Frage. Die Wagenburg hält. Nur aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen kommt leise Kritik. Dort will die SPD am kommenden Sonntag die Landtagswahl gewinnen. Die Chancen sind da. Der Lambrecht-Faux-Pas drückt aber auf die Stimmung. Von dort heißt es, Jubelstürme seien wegen der Geschichte sicher nicht aufgekommen. Die Verteidigungsministerin könnte zum Sicherheitsrisiko für die SPD werden, doch den richtigen Moment sie auszutauschen, hat der Kanzler wohl schon verpasst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. Mai 2022 um 23:59 Uhr.