Kritische Infrastruktur Wie verletzlich ist Deutschland?
Anschläge auf Nord Stream, durchgeschnittene Kabel bei der Bahn: Die kritische Infrastruktur ist verletzlich. Wie gut ist Deutschland geschützt? Ex-BND-Mitarbeiter Conrad sieht Nachholbedarf.
Der Angriff auf Nord Stream 1 hat einmal mehr gezeigt, wie verletzlich wichtige Infrastruktur ist. Wer dahinter steckt, ist weiter unklar - und das, obwohl die Ostsee spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine lückenlos überwacht werde, ist sich Ex-Geheimdiplomat Gerhard Conrad sicher. Sie ist allerdings, so der ehemalige ranghohe BND-Mitarbeiter, vergleichbar klein und so gut wie jedes Land sei in der Ostsee schon mal unterwegs gewesen. Daher könne nicht so leicht nachvollzogen werden, wer für den Sabotageangriff auf die Pipeline verantwortlich sei.
Entscheidend sei es forensisch zu ermitteln, wann der Sprengstoff angebracht worden sei, und dann die maritimen Bewegungen zum mutmaßlichen Tatzeitraum auf Auffälligkeiten hin zu überprüfen. Zwar hätten Länder wie Schweden Beweise gesucht und führten Ermittlungen. So wisse man, dass der Sprengstoff über eine lange Strecke hin angebracht worden sei. Doch vieles sei noch unklar, etwa zu welchem Zeitpunkt.
Hinweise mögen die Ermittler zwar schon haben, so Conrad. Klugerweise würden diese aber nicht "rausposaunt", sondern erst wenn das Lagebild stabil ist. Alles andere sei in der jetzigen Situation viel zu heikel.
Raketen lassen sich leichter beobachten
Während der Angriff auf Nord Stream noch ungeklärt ist, war den US-Geheimdiensten schnell klar, wer für den Raketeneinschlag in Polen verantwortlich ist. Es sei ein versehentlicher Abschuss aus der Ukraine gewesen, so US-Präsident Joe Biden, und kein absichtlicher aus Russland.
Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio erklärt Conrad: Raketen könne man - im Unterschied zu Untersee-Aktivitäten - besser beobachten. Länder wie den USA hätten Technik mit aufwändiger Sensorik. Sie verfügten über Satelliten, AWACS-Maschinen an der Ostgrenze Polens und luftgestützte Bodenaufklärung über große Drohnen.
Zu langsam beim Schutz der Infrastruktur
Die Erkenntnisse, die Regierungen wie die USA oder Großbritannien von ihren Geheimdiensten bekommen, kommunizieren sie seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs offensiver. Sie veröffentlichen teilweise Informationen ihrer Geheimdienste. Damit geben sie gegenüber Russland zwar preis, was sie aufgeklärt haben und wissen. Gleichzeitig ist diese Kommunikation auch "nach innen" gerichtet, erklärt Conrad, also an die eigene Gesellschaft.
Auch Deutschland sei verletzlich. Zwar unternehme die jetzige Regierung einiges zum Schutz der kritischen Infrastruktur, also Unternehmen der Energieversorgung, der medizinischen Versorgung oder des Transports. Derzeit wird über ein Gesetz zum Schutz der kritischen Infrastruktur verhandelt.
In den vergangenen Jahren sei Deutschland jedoch zu langsam und zögerlich gewesen. Häufig liegt die kritische Infrastruktur überdies in privatwirtschaftlichen Händen. Und auch dort habe man die Kosten gescheut, um zum Beispiel Hackerangriffe abwehren zu können.
Selbst kleine Angriffe können gefährlich sein
Für den Fall, dass Russland Deutschland angreifen wolle, würde der Kreml hybrid vorgehen, ist sich Conrad sicher. Mit hybrid meint er solche Mittel, die verdeckt sind, deren Urheber nicht mit ausreichender Sicherheit zu identifizieren sind. Das könnten Hacks sein, aber auch Angriffe, die von Unterwasserdrohnen ausgingen. Das Durchschneiden von Unterseekabeln würde westliche Staaten wie Deutschland zum Beispiel empfindlich treffen, da Angreifer so die Internetkommunikation unterbrechen könnten.
Aber auch viele kleine Angriffe in der Peripherie könnten gefährlich sein, da sie in Ländern wie Deutschland erhebliche Verunsicherung provozieren und damit Forderungen nach einem Ende der Unterstützung für die Ukraine Vorschub leisten könnten. Sollte zum Beispiel häufig der Bahnverkehr lahmgelegt werden, wie nach dem Sabotage-Fall im Oktober, könnte das ein Unsicherheitsgefühl vermitteln.
Das Durchtrennen der Kommunikationskabel der Deutschen Bahn ist nach Ansicht von Conrad ein Beweis dafür, dass die Täter kompetent waren. Man könne die Kommunikationskabel von anderen Kabeln nicht ohne Weiteres unterscheiden. Entweder habe es sich um einen "Innentäter" gehandelt, der selbst für das Unternehmen arbeitet. Oder jemand von außen wurde "gebrieft", so Conrad.
Mit Drohnen ausgespäht?
In den vergangenen Monaten sind in Deutschland auch immer wieder Drohnen aufgefallen, nicht nur über Truppenübungsplätzen, sondern wohl auch über kritischer Infrastruktur. Es handelt sich offenbar um Ausspähungen. Bislang sind viele Sicherheitsbehörden für die Drohnenabwehr zuständig, vom Militärischen Abschirmdienst im Falle von Liegenschaften der Bundeswehr bis zur Bundespolizei.
Eine klare, einheitliche oder zuverlässig aufeinander abgestimmte bundesweite Zuständigkeit gibt es bislang nicht. Ebenso wenig wie eine Ansage, wie mit unerlaubten Drohnenüberflügen im Einzelfall umzugehen sei. Abgeschossen wurden Drohnen bislang zumindest nicht. Die Bundeswehr ziehe dies mit ihrem neuen Drohnen-Schutzprogramm allerdings in Erwägung. Und auch private Unternehmen der kritischen Infrastruktur, wie die Telekom, arbeiten mit Firmen zusammen, die ermitteln sollen, wo die Drohnen gesteuert werden, also wo der Drohnenpilot sitzt.