Wähler sitzen im Wahllokal im Gymnasium Rutheneum in Gera hinter Wahlkabinen.
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Stimmungstest in Thüringen Fünf Erkenntnisse aus den Kommunalwahlen

Stand: 27.05.2024 16:32 Uhr

Für Thüringen galten die Kommunalwahlen als wichtiger Stimmungstest vor den Landtagswahlen. Nicht nur die AfD blieb hinter ihren Erwartungen zurück. Fünf Erkenntnisse zur Wahl.

Eine Analyse von Thomas Vorreyer

Rund 1,7 Millionen Thüringerinnen und Thüringer waren stimmberechtigt für die Kommunalwahlen am Sonntag. Mit einer Wahlbeteiligung von voraussichtlich 62 bis 63 Prozent war das Interesse größer als bei vergleichbaren Wahlen in Hessen, Bayern oder Niedersachsen. In den Tagen zuvor dominierte vor allem eine Frage die politische Debatte: Wie stark wird die AfD?

Noch sind nicht alle Stimmbezirke ausgezählt. Dennoch steht fest: Die in Teilen rechtsextreme, in Thüringen als gesichert extremistisch eingestufte Partei hat landesweit dazu gewonnen - und doch blieb der von Landeschef Björn Höcke ersehnte "Siegeszug der AfD" aus.

Trend der AfD scheint sich zu drehen

Die AfD kommt in sechs Kreisen und ihren Hochburgen Gera und Nordhausen voraussichtlich auf 30 Prozent oder mehr. Solche Zugewinne waren erwartbar: Als vor fünf Jahren die Kommunalwahlen stattfanden, stand die AfD in landesweiten Wahlumfragen bei 20 Prozent, heute sind es um die 30 Prozent.

Auch erreichten mehrere AfD-Kandidaten die Stichwahlen um Landrats- und Bürgermeisterämter. Ergebnisse von 35 Prozent oder mehr blieben hier dieses Mal aber aus.

Damit deutet sich eine Trendumkehr an. Denn noch vor wenigen Monaten, bei den Landratswahlen im Landkreis Sonneberg und im Saale-Orla-Kreis sowie bei der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen, hatten die AfD-Kandidaten mit mehr als 40 Prozent nach dem ersten Wahlgang weit vorne gelegen. Am Ende gewann die Partei zumindest das Landratsamt in Sonneberg. Weitere blaue Landräte und Bürgermeister dürften in Thüringen jetzt allerdings nicht mehr dazukommen. Das von Björn Höcke angestrebte Amt des Ministerpräsidenten rückt ebenso weiter in die Ferne.

In der Thüringer AfD lastet das mancher der Unruhe in der Bundespartei an. Die AfD hatte kürzlich ihre Europawahl-Kandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron im Zusammenhang mit Bestechungs- und Spionagevorwürfen aus dem Wahlkampf genommen.

Parteien können "Brandmauern" nicht alleine stellen

Dennoch stärkt die AfD so ihre kommunale Verankerung. Ob eine Brandmauer bei sensiblen Themen wie Jugendarbeit, Vereinen, Umgang mit Migration steht, hängt zudem mancherorts nicht mehr von etablierten Parteien ab, sondern im Wesentlichen von Wählervereinigungen.

Im Stadtrat von Sonneberg etwa hätte die AfD mit zehn von 30 Sitzen und der Verein "Pro Sonneberg" mit neun Sitzen künftig eine komfortable Mehrheit. Der Verein, eine CDU-Abspaltung, hat sich bislang nicht von der AfD abgegrenzt.

Im Kreistag von Sonneberg wiederum, auf dessen Mehrheiten AfD-Landrat Robert Sesselmann angewiesen ist, kam die AfD auf 14 Sitze, "Pro Sonneberg" auf fünf. Die Mehrheit von 21 Sitzen verpassten sie so nur knapp.

Bekannter Neonazi schreckt Wähler nicht

Dort, wo die AfD nicht antritt, tun sich Lücken für noch radikalere Kräfte auf. Im Landkreis Hildburghausen zog der Neonazi Tommy Frenck in die Stichwahl für den Landrat ein. Frenck landete mit 24,9 Prozent knapp vor dem CDU-Kandidaten. Nur Sven Gregor von den Freien Wählern holte noch mehr Stimmen. Die AfD hatte keinen Kandidaten aufgestellt.

Dabei versteckt Frenck seine Gesinnung nicht. Er spricht bereitwillig in jede Fernsehkamera, hat das Wort "Aryan", Englisch für "arisch", auf den Hals tätowiert. Als Gastwirt und Kochbuchautor spielt er immer wieder mit Neonazi-Codes wie der Zahl 88, einer Abkürzung für "Heil Hitler". 2017 war Frenck Anmelder eines Neonazi-Konzerts mit 6.000 Teilnehmern, von denen mehrere den Hitlergruß zeigten.

Obwohl der Verfassungsschutz Thüringen Frenck seit Jahren als einen der zentralen Akteure der neonazistischen Szene führt, war er zur Wahl zugelassen worden. Und auch ein Viertel der Wähler scheint sich entweder nicht für Frencks radikale Ansichten zu interessieren - oder unterstützt diese gar.

Es ist nicht Frencks erster Wahlerfolg: Für seine aus der NPD hervorgegangene Wählervereinigung "Bündnis Zukunft Hildburghausen" sitzt er bereits seit fünfzehn Jahren im Kreistag von Hildburghausen. 

CDU kann AfD Paroli bieten

Für die CDU war es ein guter Abend. Sie konnte einige Rathäuser verteidigen und einige Duftmarken setzen. So geht ihr Kandidat in der Landeshauptstadt Erfurt als Führender in die Stichwahl gegen den SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein. In Suhl holte der CDU-Amtsinhaber André Knapp 82,1 Prozent. In den Landkreisen schafften es mehrheitlich CDU-Vertreter in die Stichwahlen für die Landratsämter.

Landeschef Mario Voigt sprach anschließend von "wichtigen Entscheidungen". Bei den Kreistags-, Stadtrats- und Gemeinderatswahlen blieb die CDU in der Summe als einzige Partei stabil - und vor der AfD. Auf den ganzen Freistaat gesehen, ist sie damit die Partei, die der AfD Paroli bieten kann. Das ist genau jenes Bild, auf das Voigt seit Monaten als Spitzenkandidat zur Landtagswahl setzt.

Die Linke nimmt keinen Schwung für Herbst mit

Die Linkspartei - in den Kommunen ohnehin schwächer als die CDU - hat am Sonntag nochmal auf allen Ebenen verloren. In den Kommunalparlamenten wird sie weniger Räte stellen. Auch in die Stichwahlen über Wahlämter konnten ihre Kandidaten nicht einziehen. Nur in Sömmerda hat der linke Bürgermeister Ralf Hauboldt noch die Chance, sein Amt gegen einen CDU-Bewerber zu verteidigen.

Bezeichnend für den Wahlabend war, dass linke Glückwünsche vor allem dem alten und neuen Bürgermeister von Altenburg galten: André Neumann ist CDU-Politiker und gilt im Landesvorstand der Partei als offenster Befürworter einer Zusammenarbeit mit der Linken. Ministerpräsident Bodo Ramelow kommentierte Neumanns Wahlsieg mit: "Bravo und weiterhin auf gute Zusammenarbeit."

Zumal auch die Erfurter Koalitionspartner SPD und Grüne - auf den ganzen Freistaat gesehen - Einbußen erlitten. Die SPD und von ihr unterstützte Kandidaten allerdings konnten einige Landrats- und Bürgermeisterämter gewinnen, oder zogen dort in die Stichwahlen ein. Die Wagenknecht-Partei BSW zog dort, wo sie antrat, zudem gleich in Kommunalparlamente ein.

Keine dieser Entwicklungen stärkt die Linkspartei vor der Landtagswahl im Herbst. Im Gegenteil: Die Abhängigkeit von Bodo Ramelow zeigt sich einmal mehr. Ein Schwung bleibt aus.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. Mai 2024 um 17:00 Uhr.