Rathaus in Cottbus

Kommunalpolitik Bedroht, beleidigt, angegriffen

Stand: 08.12.2022 15:40 Uhr

Wer in der Kommunalpolitik aktiv ist, hat häufig schon Erfahrungen mit persönlichen Bedrohungen und Beleidigungen gemacht. Laut Befragungen der Böll-Stiftung ziehen viele Betroffene daraus Konsequenzen.

Barbara Domke ist Stadtverordnete im brandenburgischen Cottbus. Seit 2019 sitzt sie für Bündnis90/Die Grünen im Stadtparlament und kämpft in der Lausitz gegen den Rechtsextremismus. Ende Oktober bekam sie diese Nachricht über einen ihrer Social-Media-Accounts: "Ganz ehrlich Du bist der letzte dreck , ich wünsch mir nur eins das du nach Sibirien kommst und Tonnen von Schnee schaufeln musst unter erschwerten Bedingungen ohne Wasser und Brot." Kein Einzelfall.

Barbara Domke

Hassbotschaften mehrfach die Woche: Kommunalpolitikerin Domke

Mehrmals die Woche bekomme sie solche Hassbotschaften, erzählt sie. Dazu handgeschriebene Briefe nach Hause, "böse Briefe", wie sie es formuliert. Man habe ihr aber auch schon die Scheiben am Auto zerschlagen und sämtliche Reifen zerstochen. Und im Straßenwahlkampf zu den Kommunalwahlen 2019 habe jemand versucht, sie mit einem Auto anzufahren.

Als Mitglied der Grünen sei man im eher konservativen Tagebaurevier Lausitz immer das Feindbild, sagt Domke, vor allem, wenn man auch noch Sozialarbeiterin sei und sich für Minderheiten einsetze und gegen Neonazis.

Befragung in 77 Großstädten und den Stadtstaaten

Die Berichte von Barbara Domke sind nur ein Beispiel dafür, was Kommunalpolitikerinnen und -politiker nahezu alltäglich in Deutschland erleben - das zeigt eine aktuelle, nicht repräsentative aber breit angelegte Befragung im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Von April bis August haben Forscher der Universität Duisburg-Essen per E-Mail mehr als 2000 Amts- und Mandatsträger in den 77 deutschen Großstädten sowie den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg befragt.

Die wichtigsten Ergebnisse: 60 Prozent der Befragten haben schon Beleidigungen, Bedrohungen oder tätliche Übergriffe erlebt. Frauen wie Männer, Menschen mit Migrationshintergrund oder ohne, Kommunalpolitiker in Ost wie West.

Bei knapp einen Drittel haben die Anfeindungen und Angriffe oder die Sorge vor weiteren Aggressionen zu Veränderungen des persönlichen Verhaltens geführt - vor allem bei Frauen, Mandats- oder Amtsträgern mit Migrationshintergrund oder Kommunalpolitikern aus unteren sozialen Schichten. Zurückhaltung bei gewissen Themen, das Meiden von Social Media oder bestimmter Orte und Veranstaltungen könnten die Folgen sein. Knapp fünf Prozent der Befragten denken sogar ganz ans Aufhören.

Markus Nierth

Markus Nierth trat nach Anfeindungen 2015 als Bürgermeister von Tröglitz zurück

Das Phänomen der Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker ist nicht neu. Spätestens seit 2015, als Hunderttausende Geflüchtete kamen und Politiker landauf, landab mit der Versorgung, Unterbringung und Integration der Menschen umgehen mussten, machen Meldungen von Hass und Hetze etwa gegen Bürgermeister bundesweit Schlagzeilen: 2015 trat der ehrenamtliche Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, zurück. Nierth war von rechten Kräften bedroht worden, nachdem Geflüchtete in der Gemeinde in Sachsen-Anhalt untergebracht werden sollten.

Im Herbst desselben Jahres griff ein Rechtsextremer in Köln die damalige Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt Henriette Reker mit einem Messer an und verletzte sie schwer. 2019 dann erschoss ein Rechtsextremer den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

"Besonders verletzlich"

Flüchtlingspolitik, Corona-Management oder Bekämpfung von Inflation und Energiepreisschock - die vorgegebenen Motive für Aggressionen gegen Politiker verändern sich, der Hass bleibt. Und nicht immer tritt er so offen zu Tage wie in Tröglitz, Köln oder Kassel. Hier will die Studie der Heinrich-Böll-Stiftung Licht ins Dunkel bringen.

Die kommunale Ebene sei bei dieser Entwicklung "besonders verletzlich", so das Autorenteam der Studie. Auf kommunaler Ebene begegneten sich Bürger und Politik ganz direkt, politisches Engagement sei oft ehrenamtlich. "Daher sind Übergriffe und Anfeindungen besonders nah, räumlich wie menschlich, und damit auch besonders bedrohlich für eine lebhafte, vielfältige Demokratie und ihre Repräsentant:innen."

Wenn Kommunalpolitiker angesichts von Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffen ihr persönliches Verhalten ändern oder ans Aufgeben denken, dann gefährde der Hass nicht nur die Politiker und Politikerinnen selbst, sondern auch die demokratische Gesellschaft, so ein Resümee der Studie.

Auch Barbara Domke ist oft tief betroffen von den Anfeindungen, die ihr über Social Media, per Post oder im Alltag begegnen. Und doch denkt die Grünenpolitikerin aus Cottbus nicht ans Aufhören. Die meisten der Kommunalpolitikerinnen und -politiker, die für die Heinrich-Böll-Stiftung befragt wurden, auch nicht. Domke sagt, mit den Jahren habe sie sich daran gewöhnt, so traurig das sei. Man entwickle eine gewisse Resilienz.