Interview

Interview zur internationalen Impfallianz "Impfen kann Leben retten"

Stand: 27.01.2015 16:31 Uhr

Bundeskanzlerin Merkel hat bei der Geberkonferenz 600 Millionen Euro für Impfstoffe in Entwicklungsländern versprochen. Viel Geld, aber nicht genug, meint Tankred Stöbe von "Ärzte ohne Grenzen" im Interview mit tagesschau.de. Er beklagt zu hohe Preise und zu späte Hilfe.

tagesschau.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel verspricht der internationalen Impfallianz Gavi 600 Millionen Euro. Ist das viel Geld oder doch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein?

Tankred Stöbe: Wir von "Ärzte ohne Grenzen" sind froh, wenn es dieser Geberkonferenz gelingt, möglichst viel Geld zusammen zu bekommen. Weltweit sehen wir, dass vor allem kleine und kleinste Kinder stark durch Krankheiten bedroht sind und dass Impfungen Leben retten könnten. 600 Millionen Euro sind eine Menge Geld - andere Regierungen haben auch noch mehr versprochen.

Zur Person

Seit 2007 ist der Internist und Notfallmediziner Tankred Stöbe Präsident von "Ärzte ohne Grenzen". Das erste Mal arbeitete er 2002 in Thailand und Myanmar für die Hilfsorganisation. Zuletzt war Stöbe Anfang des Jahres in einem Ebola-Behandlungszentrum im Sierra Leone im Einsatz.

Aber die Gesundheitsfürsorge in armen Ländern ist komplex. Da müssen Kühlketten eingehalten werden. Wir stellen auch fest, dass in Krisengebieten wie Syrien die Kinderlähmung wieder aufflammt, weil die Gesundheitssysteme zusammengebrochen sind. Wir sehen sehr niedrige Durchimpfungsraten in Somalia und Süd-Sudan, wo ich auch selbst gearbeitet habe, wo tausende Kinder an vermeidbaren Krankheiten sterben.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt die Pharmaindustrie, ohne die es ja nicht geht? Warum verteuert sich ein Impfpaket für Kinder innerhalb von 15 Jahren von 69 Cent auf 45 Dollar?  

Milliardengeschäft Impfstoff

Stöbe: Uns besorgt das sehr. In vielen Regionen der Welt können wir die Kinder nicht mehr so impfen, wie wir es für sinnvoll halten, weil die Impfstoffe zu teuer sind. Tatsache ist: Das Paket von Impfstoffen, die wir einsetzen, ist immer größer geworden. Es sind viele Impfstoffe dazu gekommen. Aber gerade der Pneumokokken-Impfstoff gegen Lungenentzündung macht fast die Hälfte des Paketpreises aus.

Die beiden Herstellerfirmen Pfizer und GlaxoSmithKline haben mit diesem Impfstoff seit der Markteinführung einen unglaublichen Umsatz von 19 Milliarden Dollar gemacht. Das dürfte die Entwicklungskosten längst wieder eingespielt haben. Unser dringlicher Appell an die Hersteller lautet also: Preise reduzieren! Und auch Gavi und die Bundesregierung sehen wir in der Pflicht, auf die Hersteller entsprechenden Druck auszuüben, denn am Ende geht es um das Geld der Steuerzahler, das Merkel heute Gavi versprochen hat.

Die internationale Impfallianz Gavi

Die internationale Impfallianz Gavi finanziert Impfprogramme in den 73 ärmsten Staaten der Welt. Das Bündnis, zu dessen Partnern die Weltgesundheitsorganisation WHO, das UN-Kinderhilfswerk Unicef und die Weltbank zählen, ist eine öffentlich-private Partnerschaft mit Sitz in Genf in der Schweiz.

Jährlich sterben 1,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, die durch Impfen verhindert werden könnten. Zwischen 2016 und 2020 sollen weltweit 300 Millionen Kinder geimpft werden, wofür umgerechnet rund 6,7 Milliarden Euro benötigt werden.

600 Millionen Euro hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der heutigen Geberkonferenz in Berlin versprochen. Auch die "Bill & Melinda Gates Foundation", eine der mächtigsten privaten Wohltätigkeitsstiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Frau, unterstützt Gavi.

tagesschau.de: Merkel verwies auf die Herausforderungen durch Ebola. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte für Anfang bis Mitte Januar einen Impfstoff angekündigt. Warum verzögert sich das offenbar?

Stöbe: Wir vermuten, dass es noch einiger Wochen oder sogar Monate bedarf, um eine Aussage dazu machen zu können, ob die Entwicklung von Medikamenten oder Impfstoffen überhaupt erfolgreich sein wird. Die Patientenzahlen sinken und damit wird es schwieriger, die notwendigen Studien abzuschließen. Ich bin gerade aus Freetown in Sierra Leone zurück gekommen, wo viele Menschen gestorben sind, weil es eben keine Medikamente und keine Impfstoffe gibt. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit und die Hilfe kam bislang immer zu spät.

tagesschau.de: Hat die WHO zuviel versprochen?

Stöbe: Die WHO hat sich im Verlauf der Ebola-Krise nicht mit Ruhm bekleckert. Die Aussage, die Epidemie sei fast überwunden, hören wir mit Skepsis. Wenn wir glauben, Ebola an einer Stelle besiegt zu haben, bricht die Krankheit an einer neuen Stelle aus.

Sind Weißhelme die Lösung?

tagesschau.de: Um Krisen wie die durch Ebola besser zu meistern, sollen unter anderem sogenannte Weißhelme eingesetzt werden, ein schnell einsetzbares Kontingent von Ärzten und medizinischem Personal. Was halten Sie von dieser Idee?

Stöbe: Wir glauben an die zivile Hilfe. Deshalb tun wir das, was wir tun. Wir glauben auch, dass uns das gut gelingt. Ich bin skeptisch in Hinblick auf eine neue Armee, was der Begriff "Helm" ja nahe legt. Ebola hat es doch gezeigt: Wenn es nicht gelingt, in den einzelnen Ländern zivile Helfer und staatliche Akteure schnell an den Start zu bringen, kann ich mir kaum vorstellen, dass Weißhelme die Lösung sind.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de.