Interview

Sicherheitskonferenz in München "Alle sind überrascht worden"

Stand: 03.02.2011 21:46 Uhr

Ursprünglich sollten auf der Sicherheitskonferenz in München Themen wie Wege zu einer atomwaffenfreien Welt und Cyberkriege im Vordergrund stehen. Nun nimmt auch hier Ägypten viel Raum ein. Mit konkreten Lösungsansätzen rechnet Staatsminister Hoyer aber nicht. Dazu hätten sich die Ereignisse zu schnell und überraschend entwickelt, sagt er gegenüber tagesschau.de. Es bestünden zudem kaum belastbare Kontakte zur Opposition.

tagesschau.de: Die Münchener Sicherheitskonferenz aktualisiert wegen der Protestbewegungen in Nordafrika und Nahost ihr Programm. Glauben Sie, dass man bereits Lösungsansätze diskutieren wird? Oder ist noch mehr Analyse notwendig?

Werner Hoyer: Es ist viel zu früh für Lösungsansätze in München. Ich denke, alle werden etwas konsterniert dastehen, weil sie doch überrascht worden sind. Alle sind überrascht worden. Auch wenn man lang- und mittelfristig das Gefühl gehabt hat, es könne sich in Nordafrika etwas bewegen, hatte man es in dieser Deutlichkeit und in diesem Tempo nicht erwartet. Am Anfang dieser Woche ist Geschichte geschrieben worden.

München als Diskussionsforum

tagesschau.de: Der Chef der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat versprochen, dass in München "hochrangige Experten einen Mehrwert für alle schaffen". Worin besteht für Sie dieser Mehrwert?

Hoyer: Der Reiz der Münchener Konferenz liegt darin, dass in einem offenen, kompetenten und streitbaren Klima alles auf den Tisch kommt. In München hat man Gelegenheit, ein im wahrsten Sinne des Wortes brennendes Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. In diesem Sinne ist das Gespräch in München immer ein Augenöffner.

tagesschau.de: Während Kairo brennt, steht das Auswärtige Amt im Feuer der Kritik. Der Minister reagiere zu zögerlich und die Botschaft teilweise gar nicht, wenn es darum ginge, Deutsche aus Ägypten auszufliegen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Zur Person

Werner Hoyer ist bereits zum zweiten Mal Staatsminister im Auswärtigen Amt. Zwischen 1994 und 1998 unterstütze er den damaligen Minister Klaus Kinkel. Für Guido Westerwelle hat Hoyer die Koordination der internationalen Politik übernommen. Vor 2009 war der FDP-Politiker außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Hoyer: Nein, die kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, zumal es sich nur um wenige Kritiker handelt. Da muss man auch die Kirche im Dorf lassen. Zum einen ist es wichtig, dass man in jeder Situation situationsangepasst handelt. Das haben Botschaft und Auswärtiges Amt getan und deswegen auch sehr genau nachgesteuert, was Reisehinweise und ähnliches angeht. Zum zweiten ist es eine ganz große Leistung, innerhalb kurzer Zeit so viele Menschen wie jetzt ausgeflogen zu haben. Dabei muss man berücksichtigen, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an der Botschaft das ja auch in einer ausgesprochen schwierigen persönlichen Situation bewältigen müssen. Sie leben ja selbst unter diesen Bedingungen in Kairo oder Alexandria und haben es auch persönlich nicht leicht, eine solche logistische Leistung zu stemmen.

tagesschau.de: Hat die Bundesregierung die Lage falsch eingeschätzt? Oder vielleicht zu lange unterschätzt?

Hoyer: Das glaube ich nicht. Vom ersten Moment an war klar, dass die Lage brisant werden könnte. Und immer wieder wird man von neuen Entwicklungen überrascht. Als am Dienstag die Demonstrationen so friedlich und ermutigend verliefen, hatte ich den Eindruck, es könnte etwas ganz Neues und Positives entstehen. Am nächsten Tag ist man zurückgeworfen worden. Vor einer solchen Entwicklung ist man nicht sicher.

tagesschau.de: Warum spricht Europa nicht mit einer ähnlich starken Stimme wie die USA?

Hoyer: Wir sind in engster Abstimmung mit den USA. Bis in die Wortwahl hinein haben wir uns mit den Außenministern der beteiligten Staaten verständigt. Da passt kein Blatt zwischen.

tagesschau.de: Wenn sich neue Kräfte formieren wie in Tunesien oder Ägypten - wie schnell lassen sich da die notwendigen Kontakte knüpfen und zuverlässige Gesprächspartner finden?

Hoyer: Das ist ausgesprochen schwierig. Wenn man jetzt den Ruf nach schnellen Wahlen hört, stellt man sich die Frage, auf welcher Grundlage und innerhalb welcher Strukturen denn solche Wahlen stattfinden können. Es bestehen zum Beispiel kaum belastbare Kontakte zu den Oppositionsparteien, und die sind eher zufällig entstanden. Aber zuerst gilt es herauszufinden, ob das tatsächlich die möglichen Führungskräfte sind, die sich jetzt aus diesem Prozess heraus schälen. Das darf man nicht durch eine euro-zentrierte Brille sehen. Zwar kennen wir Mohammed ElBaradei seit vielen Jahren und denken sofort an ihn, wenn die Frage nach einem großen ägyptischen Führer gestellt wird, der das Land aus einer sehr schwierigen Situation herausbringt. Entscheidend ist aber, wie sehr eine solche Persönlichkeit in den Herzen und den Köpfen der Ägypter selbst verankert ist. Das können wir von außen relativ schwer beurteilen.

Bundesregierung zu Hilfestellung bereit

tagesschau.de: Haben Sie schon darüber nachgedacht, konkrete Hilfe zu leisten, wenn es zum Beispiel darum geht, Wahlen zu organisieren?

Hoyer: Wenn es dazu kommt, dann ist es ist überhaupt keine Frage, dass die europäischen Länder, und die Bundesregierung voran, zu Hilfestellung bereit sind. Es ist für uns von allergrößtem Interesse, dass ein politischer Prozess in Gang gesetzt wird, durch den belastbare rechtsstaatliche Strukturen entstehen und eine verfassungsmäßige Ordnung, aufgrund derer dann reguläre verlässliche Wahlen stattfinden können. Alles, was getan werden kann, um einen solchen Prozess zu befördern und zu unterstützen, wird von der Bundesregierung mit Sicherheit getan.

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de