
Deutsche Einheit Die Vertrauensfrage
Demokratie lebt von Vertrauen. Doch vor allem im Osten Deutschlands schwindet dieses Vertrauen - in die Politik, den Staat. Warum? Eine Bestandsaufnahme zum Tag der Deutschen Einheit.
Ohne Vertrauen geht es nicht. Doch momentan zeigt sich, dass das Vertrauen in die Politik schwindet. Es sind Krisenzeiten. Das gilt einmal mehr für den Osten Deutschlands, da ist Vertrauen schon lange ein knappes Gut. Das zeigt sich auch bei den derzeitigen Protesten von links und rechts in diesem "heißen Herbst".
Zahlen des aktuellen Deutschland-Monitors, erschienen im Jahresbericht des Ostbeauftragten, bestätigen den Trend. Demnach sind nur 39 Prozent der Ostdeutschen mit der Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert, zufrieden. Im Westen sind es 59 Prozent. Im Osten glauben nur etwa 32 Prozent, dass Politikerinnen und Politikern das Wohl des Landes wichtig ist. Im Westen sind es 42 Prozent.
Eine dritte und letzte Feststellung aus dem Deutschland-Monitor: Die Menschen im Osten bewerten fast alle ihre Lebensbedingungen schlechter als im Westen. Im Jahresbericht heißt es dazu: "Es zeigen sich deutliche Zusammenhänge zwischen den Einstellungen zur Politik und der eigenen sozialen Lage, dem eigenen sozialen Status, aber auch der regionalen Ausstattung des jeweiligen Wohnortes." Früher hätte man vielleicht gesagt: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Es fehlt an Selbstwirksamkeit
Im Deutschland-Monitor fällt ein zweiter Begriff auf, dabei handelt es sich eher um ein Gefühl: Selbstwirksamkeit. Darunter versteht man in der Psychologie die Überzeugung eines Menschen, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft erfolgreich meistern zu können. Dazu braucht es entsprechend positive Erfahrungen.
Aber diese Erfahrungen waren vielen Menschen im Osten verwehrt. In der DDR war es strukturell nur in engen Grenzen vorgesehen, dass die Menschen sich als selbstwirksam erleben. Zum Ausgleich hat der Staat ihnen alle Existenzsorgen abgenommen.
Dann kam die Wende. Da war die sichere Versorgung durch den Staat dahin, stattdessen drohte Arbeitslosigkeit, Wohnhäuser wurden privatisiert, Betriebe abgewickelt. Freiheit wirkte bedrohlich, eine Überforderung: Mit der Währungsunion standen die Menschen plötzlich vor gut gefüllten Regalen, aber hatten kaum genug Geld in der Tasche.
Unternehmergeist scheiterte im Osten oft genug an der Treuhand, am Zuständigkeitswirrwarr und nicht zuletzt am Prinzip Rückgabe vor Entschädigung. Die kollektiven Ohnmachtserfahrungen aus den ersten Jahren in der Bundesrepublik haben einen tiefen Eindruck hinterlassen. Selbstwirksamkeit: Fehlanzeige.
Warum die Skepsis blieb
Nun sind die 1990er-Jahre lange vorbei, und vieles ist seitdem besser, manches sogar gut geworden. Doch trotz der Gelder, die geflossen sind: Wer sich als selbstwirksam, also als aktiven Gestalter seines Lebens erfahren will, findet noch heute in weiten Teilen des Ostens erschwerte Bedingungen vor: weniger Vermögen, weniger Einkommen und in den meisten Landstrichen weniger Infrastruktur.
Und wenn die Menschen sich umsehen, stellen sie fest: Die eigenen Leute spielen in Öffentlichkeit und Gesellschaft kaum eine Rolle. Dazu kommt: Wenn es gegenwärtig um Jahrestage oder geschichtliche Ereignisse geht, wird die etwas andere Vergangenheit des Ostens nur in Ausnahmefällen erwähnt (Beispiele: Einführung der Anti-Babypille oder der Fernsehnachrichten). Als hätte es die DDR und diejenigen, die in ihr lebten, nicht gegeben. Wer jemals nachdrücklich ignoriert worden ist, weiß: Das nagt am Selbstbewusstsein.
Aber ein gesundes Selbstvertrauen speist sich aus dem Erleben von Selbstwirksamkeit, aus der Erfahrung: Ich kann etwas bewegen, kann Krisen bestehen und werde gesehen. Das Selbstvertrauen, das so entsteht, ist nicht die einzige, aber eine wichtige Quelle für das, worum es hier gehen soll: für Vertrauen in andere, die Gesellschaft, die Politik. Oder andersherum ausgedrückt: Wer kein Selbstvertrauen hat, dem wird es auch schwerfallen, anderen zu vertrauen.
Gleichwertige Lebensverhältnisse
Das Misstrauen, das vor allem die Verdrossenen, Resignierten und Gekränkten der Gesellschaft, in der sie leben, entgegenbringen, macht nicht nur ihnen selbst das Leben schwer. Es gefährdet inzwischen auch die Demokratie. Im Jahresbericht des Ostbeauftragten heißt es dazu: "Um sie wieder mittels politischer Kommunikation zu erreichen und die Demokratie zu stärken, sollte das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands wieder verstärkt in den Blick genommen werden."
Und dafür braucht es beide Seiten: Die Menschen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen, also beispielsweise in Gewerkschaften, Vereinen oder Initiativen mitwirken. Und einen Staat, der die ungleiche Verteilung aus vergangenen Zeiten jetzt dämpft, beispielsweise durch bessere Bezahlung oder einen höheren Mindestlohn. In Krisenzeiten wie diesen sind vertrauensbildende Maßnahmen besonders gefragt. Denn ohne Vertrauen kann die Demokratie nicht überleben.