Ein Foto von einem Bildschirm, auf dem "Hate Speech" und "Toxizität berechnen" steht.

Social-Media-Plattformen Digitalarbeiter nach Kritik an Arbeitsbedingungen beurlaubt

Stand: 22.06.2023 18:52 Uhr

Gewalt und Hass: Content Moderatoren filtern schlimme Inhalte auf Social-Media-Plattformen. Dass die Arbeitsbedingungen zudem schwierig sind, hatte einer von ihnen im Bundestag berichtet. Nun darf er nicht mehr zur Arbeit kommen.

Von Kristin Becker, ARD Berlin

"Die im Dunkeln sieht man nicht": Cengiz Haksöz beginnt mit einem Zitat von Bertolt Brecht, als er vergangene Woche im Bundestag von seinem Job als sogenannter Content Moderator berichtet. Eingeladen hatte ihn der Digitalausschuss, um über die oft fragwürdigen Beschäftigungsbedingungen dieser Digitalarbeiter zu diskutieren.

Haksöz ist einer derjenigen, die im Dunkeln sind, also deren Arbeit quasi unsichtbar für die Allgemeinheit passiert. Er durchforstet die Plattform eines bekannten Social-Media-Konzerns nach problematischen Inhalten. "Das Schwierigste ist, dass man wieder und wieder schlimme Dinge sieht - Enthauptungen zum Beispiel oder der Missbrauch von Kindern", erzählte er im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio kurz vor seinem Termin im Digitalausschuss. Kollegen seien zum Teil schwer traumatisiert, zwei würden im Krankenhaus psychiatrisch behandelt.

Cengiz Haksös im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Cengiz Haksös kurz vor seinem Termin im Digitalauschuss des Bundestags im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio

Schlecht bezahlte Tätigkeit

Haksöz ist einer von etwa 5000 Content Moderatoren, die in Deutschland arbeiten. Viele berichten von hohem Arbeitsdruck und unzureichender psychologischer Unterstützung, nur wenige trauen sich aber, auch öffentlich Stellung zu nehmen. Zudem wird die Tätigkeit oft nur schlecht bezahlt - viele verdienen nur wenig mehr als den Mindestlohn trotz der schwierigen Aufgabe.

Die Netzkonzerne lagern Arbeit und Verantwortung meistens aus. Angestellt ist Haksöz daher auch nicht bei dem großen Social-Media-Anbieter, für den er Inhalte filtert, sondern bei Telus International, einem Anbieter für digitale Dienstleistungen. Telus International ist eine kanadische Firma, hat aber auch einen Standort in Essen, wo Haksöz arbeitet. Seit Dienstag darf er nun nicht mehr zur Arbeit kommen.

Er habe die Arbeitsvereinbarungen mit der Firma gebrochen, erklärt Marilyn Tyfting aus dem Vorstand von Telus International auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios. Man führe derzeit eine interne Untersuchung durch: "Die kürzlich von unserem Teammitglied im Bundestag und in den Medien erhobenen Vorwürfe spiegeln nicht korrekt die Realität unseres Geschäfts wider." Zudem sei nicht akkurat dargestellt, wie die Firma sich um die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Angestellten kümmere. Solange die Untersuchung laufe, sei Haksöz freigestellt und dürfe die Firma nicht betreten.

Ver.di vermutet Zusammenhang mit Betriebsratswahl

Die Vorsitzende des Digitalausschusses, Tabea Rößner, ist bestürzt. "Eine Befragung vor dem höchsten Verfassungsorgan darf keine Nachteile für Menschen mit sich bringen, die über Missstände berichten", sagt die Grünen-Politikerin.

Von einer "Kultur der Geheimhaltung" und "Einschüchterungsversuchen" spricht Julia Kloiber, die mit ihrer NGO Superrr Lab Haksöz und andere Content Moderatoren unterstützt, die für bessere Arbeitsbedingungen eintreten.

Die Maßnahmen gegen Haksöz seien "nicht nur illegal, sondern auch eine Missachtung der Demokratie", erklärt Christoph Schmitz, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft ver.di, die Haksöz vergangene Woche im Bundestag begleitet hatte. Ver.di wolle rechtlich gegen Telus International vorgehen: "Wir fordern die Rücknahme der Freistellung und das Zugangsrecht zum Betrieb und werden das zur Not auch einklagen."

Aktuell wird Haksöz zwar weiter bezahlt - dass er den Betrieb nicht betreten darf, behindert aus Sicht von ver.di aber auch die Betriebsratswahl, die Anfang Juli erstmals an diesem Standort stattfinden soll und die Haksöz organisiert. Ver.di vermutet einen Zusammenhang mit dem Hausverbot. Telus International streitet das ab.