Ortsschild des Ortes Killer
reportage

Streit um Flüchtlingsunterkunft Wenn die Stimmung kippt

Stand: 29.09.2023 16:57 Uhr

In einem Dorf auf der Schwäbischen Alb sollen bis zu 40 Geflüchtete untergebracht werden. Bei einer Bürgerversammlung entlädt sich die Stimmung gegenüber der Politik. Woher kommt die Wut?

Von Diana Hörger, SWR

Die Stimmung im Bürgerhaus im Dorf Killer im Zollernalbkreis ist geladen. Das überträgt sich auch Wochen später noch, allein beim Betrachten eines Privatvideos von der Bürgerversammlung, das seither bei YouTube eingestellt wurde. Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) steht da mit einem Mikrofon vor einem vollbestuhlten Saal. Er wird ausgelacht und niedergeschrien.

Eine Frau mit graublonden Haaren nimmt das Mikrofon in die Hand: "Die sind immer an dem Fußballplatz, wo unsere Kinder spielen!" Die Geflüchteten hätten den ganzen Tag nichts zu tun. Andere Frauen sagen, sie fürchteten um die Sicherheit im Ort und trauten sich nicht mehr in den Wald.

Schnellere Arbeitserlaubnisse ermöglichen bessere Integration von Geflüchteten

Claudia Kornmeier / Diana Hörger, ARD Berlin, tagesschau, 29.09.2023 17:00 Uhr

Lautstarker Protest bei Bürgerversammlung

Auf die Bemerkung des Landrats, dass man über alles sprechen könne und in einem Rechtsstaat lebe, folgen Gejohle und Buhrufe. Gut acht Wochen ist das nun her. Es geht um eine Unterkunft für 40 Geflüchtete, die in dem Stadtteil von Burladingen mit 600 Bewohnern untergebracht werden sollen, in einem leerstehenden Gasthaus an der Bundesstraße.

Der Zusammenschnitt des Videos von der Veranstaltung zeigt wohl bewusst die Szenen, in denen sich vor allem Bürgerinnen und Bürger zu Wort melden, die das Vorhaben strikt ablehnen. Viele Killemer, so nennen sie sich hier vor Ort, wehren sich gegen die Aufnahme der Geflüchteten. Die Infrastruktur im Ort eigne sich nicht, sagen die einen im Bürgerhaus. "Wir wollen die hier nicht!" brüllen die anderen einfach zwischendurch in den Raum. "Ich möchte gerne wissen, wer 40 Männer betreuen kann?" fragt eine Frau, die angibt Physiotherapeutin zu sein.

"Überforderung ist kein fixer Punkt"

Auch Almut Petersen war bei der Bürgerversammlung und wurde wie der Landrat ausgebuht. Die Überforderung der Menschen bei der Integration sei teilweise herbeigeredet, sagt sie: "Wir haben ja genug zu essen und genug Arbeit. Also sind wir wirklich überfordert? Oder wollen wir die Herausforderung nicht annehmen?"

Petersen organisiert Sprachkurse für Ukrainer im Zollernalbkreis, sitzt für die Grünen im Gemeinderat in Hechingen und ist dort engagiert beim Arbeitskreis Asyl. "Überforderung ist kein fixer Punkt", meint sie. Auch aus einer unguten Situation könne man etwas Gutes machen.

Vor einigen Jahren waren nur unweit von Burladingen-Killer mehrere Tausend Flüchtlinge untergebracht worden. In Meßstetten in einer ehemaligen Kaserne lebten zwischen 2014 und 2017 insgesamt mehr als 28.000 Menschen aus 25 Nationen. Damals habe es gut geklappt mit der Integration, sagt Petersen. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) hatte man damals viel Unterstützung von Ehrenamtlichen. In Killer sieht es heute anders aus.

Außenaufnahme des Gasthof Lamm

In dem ehemaligen Gasthaus Lamm sollen Geflüchtete untergebracht werden.

Landrat wirbt für Mitmenschlichkeit

Der Landrat Günther-Martin Pauli sagt heute, er habe noch nie eine solche Stimmung erlebt: "Ich bin jetzt seit 1989 in kommunalen Ämtern und war viele kritische Situationen schon gewohnt. Aber dass da überhaupt kein sachlicher Austausch eintreten kann, das hatte ich noch nie erlebt. Und ich hoffe, das werde ich auch nicht mehr erleben."

Man spürt, dass er den Konflikt vor Ort nicht weiter schüren will. Der Landrat versteht, dass viele Menschen hier Sorgen hätten, wie den Fachkräftemangel, die Energiekrise und die Nachwehen von Corona - aber die Befürchtung, die weitere Integration Geflüchteter würde scheitern, teilt er offenbar nicht.

Es gebe noch immer Menschen, die den Geflohenen ehrenamtlich dabei helfen würden, hier Fuß zu fassen. "Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft darf nach wie vor nichts Unanständiges sein."

Einige Menschen, die bereits in den vergangenen Jahren hier angekommen seien, hätten in der Region Fuß gefasst, so Pauli. Es gebe Menschen die beim Bäcker, als Elektriker oder im Krankenhaus einen Beruf gefunden hätten. Das seien alles vorzeigbare Biografien.

Günther-Martin Pauli

Landrat Pauli: "Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft darf nichts Unanständiges sein."

Angst vor dem Unbekannten

Eine solche "vorzeigbare Biografie" hat auch Hassan C. Der 24-Jährige kam Ende 2016 aus Guinea nach Deutschland. Mittlerweile hat er bei einem Textilunternehmen in Burladingen eine Lehre als Mechaniker absolviert und macht nun sogar ein duales Studium. Er lebt selbst in Killer und sagt, er werde dort auch freundlich gegrüßt und ihm wurde auch von vielen Menschen geholfen. "Als ich angekommen bin, wusste ich schon, dass die Leute anders sind. Das habe ich akzeptiert. Ich habe mich immer angepasst."

Wenn er sich das Video von der Bürgerversammlung anschaut, ist er einigermaßen ratlos. "Ich denke, dass die Leute falsch informiert sind. Die kennen uns nicht, die urteilen nur über uns." Er sagt, dass sich die meisten Geflüchteten in der deutschen Gesellschaft einbringen wollen. Aber nicht jeder bekomme die Chance schnell Deutsch zu lernen und zu arbeiten. Als er mit 17 in Deutschland ankam, hatte er Glück. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling habe man ihm viel geholfen.

Hassan C.

Hassan C. kam 2016 nach Deutschland und macht nun ein duales Studium.

Auch Jad A. hat seine Chance in Deutschland genutzt, auch wenn sein Weg nach Hechingen ein ganz anderer war. Mit seinen Eltern kam er schon 2013 aus der syrischen Hauptstadt Damaskus, über Bulgarien in den Zollernalbkreis. Er war erst acht Jahre alt, als er zum Jahreswechsel zum ersten Mal Silvesterböller hörte und sich mit seinem Bruder unter dem Bett versteckte. Er habe das Knallen für Krieg gehalten.

Heute hält er Feuerwerke aus ökologischer Sicht für Nonsens, sagt er lachend im Garten des kleinen Hauses, das seine Familie jetzt bewohnt. Er ist jetzt 18, geht aufs Berufskolleg und sieht seine Zukunft hier in Deutschland. "Ich glaube, ich könnte in Syrien nicht leben. Ich bin deutsch. Wenn mich jetzt Nachbarn besuchen würden, ohne mir zwei Tage vorher Bescheid zu sagen, dann sage ich nur, ich mag das nicht. Also ich bin Deutscher!"

Eine Zukunft in Deutschland

Dass manche Menschen das nicht so sehen, dass sie denken, die Fremden, die jetzt in Lampedusa ankommen und sich auf den Weg nach Deutschland machten, seien nur darauf aus, dem Staat auf der Tasche zu liegen, glaubt er nicht. "Auf jeden Fall gibt es auch schlechte Menschen, auch unter den Leuten, die herkommen. Oder Leute, die sagen: Okay, ich arbeite nicht. Aber, die meisten nicht!"

Den Menschen in Burladingen-Killer gibt Jad den Rat, sich auf die Geflüchteten einzulassen. Auch die Wirtschaft profitiere von den Arbeitskräften. "Wenn man ein bisschen aus seiner Komfortzone rausgehen und sich mit einer Person unterhalten würde, würde man sehen: Ach, das sind ja ganz normale, ungefährliche Menschen!"

Jad A.

"Das sind ganz normale ungefährliche Menschen", sagt Jad A. über Geflüchtete.

Entscheidung über Unterkunft noch offen

Was aus der Gastwirtschaft in Burladingen-Killer wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Landrat Pauli gibt sich aber optimistisch, dass bald eine Alternative für Geflüchtete gefunden werde. "Ich war heute Morgen im Gespräch mit der Stadtspitze von Burladingen und ich bin auch im Dialog mit den Gemeinderäten. Und da kommt es drauf an, was wir an Angeboten aus Burladingen noch erhalten werden."

Solange die Kommune selbst keine alternative Unterkunft vorschlägt, bleibt der leere Gasthof weiter eine Option - auch wenn der Landrat die Menschen vor Ort nicht übergehen will. Er sagte es schon bei der aufgeheizten Bürgerversammlung im Juli: "Wir streben nicht an, Sie zu überfordern!"

Die Grüne Petersen versucht weiter optimistisch zu denken und hofft auf die Toleranz der Menschen im Zollernalbkreis. "Wir haben ja nur die Aufgabe, ihnen zu helfen, eine neue Heimat zu finden. Wir haben unsere eigene ja nicht verloren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR 4, SWR4 BW am Morgend am 08. August 2023 um 06:00 Uhr.