
Integrationskurse Die Qualität schwankt
Nachdem Flüchtlinge in großer Zahl nach Deutschland kamen, mussten schnell mehr Plätze für Integrationskurse her. Nicht immer wurde dabei genügend auf die Qualität geachtet. Bildungsakteure fordern jetzt höhere Standards.
Mehr als eine Million Menschen haben in den Jahren 2015 und 2016 in Deutschland Zuflucht gesucht. Ein Großteil von ihnen wird wohl für viele Jahre bleiben - oder für immer. Um sie in die Gesellschaft integrieren zu können, müssen sie so rasch wie möglich die deutsche Sprache lernen - da sind sich alle einig.
Doch als im Herbst und Winter 2015 in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen auf einmal kamen, herrschte zunächst Chaos. Es gab nicht genügend Plätze in den Integrationskursen, es mangelte an Trägern, die solche Kurse durchführen können und an geeigneten Lehrkräften. Der Bund versuchte, schnell Abhilfe zu schaffen. Durch ein Sonderprogramm der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden rasch Einstiegskurse für Geflüchtete ins Leben gerufen. Die Anforderungen an die Träger waren sehr gering. Es kam zu Missbrauch, falschen Abrechnungen, miserablen Lernbedingungen, wie der Bundesrechnungshof Anfang der Woche feststellte.
20 Prozent mehr Integrationskurse
Dieses Chaos ist inzwischen behoben. Es kommen längst nicht mehr so viele Menschen nach Deutschland wie noch 2015. Die Einstiegskurse, die ja ohnehin nur als Überbrückung gedacht waren, sind ausgelaufen. Für die regulären Integrationskurse wurden mehr Plätze geschaffen: Laut dem in dieser Woche in den Ruhestand verabschiedeten BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise wurden 20 Prozent mehr Träger zugelassen, die Zahl der Lehrer sei sogar um 100 Prozent gestiegen. Die Wartezeiten für einen Kursplatz konnten so laut BAMF deutlich verringert werden. Alles in allem eine gute Bilanz.
Kritik gibt es jedoch daran, dass nicht alle Zugezogenen in Deutschland einen solchen, vom Bundesamt für Migration (BAMF) geförderten, Integrationskurs bewilligt bekommen. Nur Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis - beispielsweise als Arbeitnehmer, als anerkannte Flüchtlinge oder als Ausländer, die über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen sind - sind berechtigt. Geduldete, die häufig jahrelang in Deutschland leben, müssten den Kurs in der Regel vollständig selbst zahlen. Leisten kann sich das kaum jemand.
Pro Asyl: "Bewusste Integrationsverhinderung"
"Dieser Filter nach angeblicher Bleibeperspektive ist eine bewusste Integrationsverhinderung seitens der Behörden", sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl im Gespräch mit tagesschau.de. Er fordert Integrationskurse für alle zum frühestmöglichen Zeitpunkt. "Menschen, die abgeschoben werden sollen, erhalten häufig am Ende doch ein Bleiberecht, weil sie aus verschiedensten Gründen nicht abgeschoben werden können." Daran werde sich auch mit den neuen, schärferen Abschieberegeln nicht viel ändern. "Für diese Menschen und ihre Integration ist das verlorene Zeit, wenn sie nicht zügig einen Deutschkurs machen können."

Nicht alle Zuwanderer können einen Integrationskurs besuchen.
600 Unterrichtsstunden Sprachkurs und weitere 100 Stunden Orientierungskurs, mit Wissen zu Geschichte, Rechtsordnung und Werten in Deutschland umfasst ein Integrationskurs. Am Ende sollen die Teilnehmer mindestens das Sprachniveau B1 erreichen. Gemeint ist damit die selbstständige Sprachverwendung in den wichtigsten Lebensbereichen. Doch die Qualität der Kurse scheint nicht überall gleich gut zu sein.
Viele Lehrer nicht ausreichend qualifiziert
In der Kürze der Zeit sind viele Lehrer nachqualifiziert worden, die nie Deutsch als Fremdsprache (DaF) studiert haben. Ihre Qualifikation ist nicht gleichwertig: Beispielweise bei einem deutschen Soziologen, der zum Lehrer umgeschult wurde und jetzt durch eine Zusatzqualifizierung Integrationskurse unterrichtet. "Der musste in wenigen Wochen lernen, was andere in jahrelangem Studium lernen. Da fehlt es oft an methodisch-didaktischem Wissen, an Reflexion über die eigene Sprache, die man ja als Muttersprachler in der Regel nicht hat", sagt Ingo Schöningh vom Goethe-Institut Mannheim.
Nur 51 Prozent der aktuell etwa 19.500 Integrationskurslehrer haben ein DaF-Studium absolviert, teilt das BAMF auf Anfrage mit. Rund 37 Prozent haben vor ihrer Zulassung eine Qualifizierung durchlaufen. 12 Prozent unterrichten bereits und holen die Zusatzqualifizierung parallel nach. Die - je nach Vorbildung - 70 oder 140 Unterrichtsstunden Zusatzqualifizierung sind nach BAMF ausreichend. Akteure im Bildungssektor bezweifeln das jedoch.
Flüchtlinge ohne Schulbildung neben Akademikern
Ein weiteres Problem ist die Gruppengröße: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bemängelt, dass die Teilnehmerzahl von 20 auf 25 erhöht wurde: "Die Gruppen sind viel zu groß, angesichts der pädagogischen Herausforderung", sagt Ansgar Klinger zu tagesschau.de. "Da sitzen mitunter Menschen mit Bürgerkriegserfahrung, die vielleicht nie eine Schule besucht haben, neben EU-Bürgern, die hier arbeiten wollen und ein abgeschlossenes Studium haben."
Und selbst diese Gruppengröße werde nicht bei allen Trägern eingehalten, erzählt die Berliner Lehrerin Maria Nicolei. "Ich weiß von Kursen privater Träger, in denen 30 Leute sitzen. 25 davon sind Integrationskursteilnehmer, die anderen fünf sind Selbstzahler." Da formal die Teilnehmerzahl des Integrationskurses nicht überschritten wird, werde das offenbar nicht weiter kontrolliert.
Geringe Bezahlung für Lehrer
Nicolei unterrichtet Integrationskurse an einer Volkshochschule. Zusätzlich gibt sie ehrenamtlich Deutschunterricht für Migranten, die einen solchen Kurs nicht bewilligt bekommen. Sie selbst hat DaF studiert und viele Jahre Berufserfahrung. Ihre Arbeit macht ihr großen Spaß: Vor allem, weil ihre Schüler in aller Regel hoch motiviert seien und schnell lernen wollten. Zudem sei insbesondere an den Volkshochschulen die Qualität der Kurse sehr hoch.
Kritik übt sie jedoch an der schlechten Bezahlung der Lehrer. 35 Euro pro Unterrichtsstunde erhält eine Honorarkraft für den Integrationskurs. "Wenn man bedenkt, welche Ausbildung wir brauchen und welche gesellschaftliche Verantwortung wir haben, ist das viel zu wenig", sagt Nicolei im Gespräch mit tagesschau.de.
Gerademal Mindestlohn
Die GEW sieht das genauso. Zwar sei dieses Stundenhonorar vor kurzem von 23 auf 35 Euro angehoben worden, sagt Ansgar Klinger. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die 35 Euro sind ja der Bruttolohn, von dem noch jede Menge abgeht." Umgerechnet in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung käme man laut GEW gerademal auf den Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche, der auch für Nicht-Akademiker gilt.
Die GEW fordert deshalb nicht nur eine bessere Bezahlung der Lehrer, sondern auch eine Rückkehr zu höheren Qualitätsstandards. "Es sind wegen des großen Bedarfs in den vergangenen zwei Jahren nämlich auch Träger zugelassen worden, die gar nicht genügend Erfahrung mit solchen Sprachkursen haben", sagt eine Volkshochschullehrerin aus Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit tagesschau.de. Ihren Namen will sie lieber nicht nennen. "Als die BA 2015 die Einstiegskurse ins Leben rief, haben im Ruhrgebiet sogar Fahrschulen solche Kurse angeboten. Da haben Leute 300 Stunden Kurs gemacht und hinterher kaum ein Wort Deutsch verstanden."
GEW: Manchen Trägern fehlt Qualifikation
Die Qualitätskriterien des BAMF für die regulären Integrationskurse sind zwar höher. Doch auch hier wurden nach Ansicht der GEW Träger zugelassen, die nicht genügend qualifiziert sind. "Anbieter, die damals ohne jede Qualifikation die Einstiegskurse der BA durchgeführt haben, können das beim BAMF heute als Erfahrungsnachweis vorbringen und so eine vorläufige Zulassung als Träger erhalten", sagt Ansgar Klinger. Diese Erfahrung sage aber nichts über deren tatsächliche Qualifikation aus.
Die Integrationskurse für Zuwanderer sind eine gute Sache, das bestreitet niemand. Dass durch den sprunghaft erhöhten Bedarf schnell neue Plätze geschaffen wurden, war notwendig. Dies darf nach Meinung zahlreicher Bildungsakteure jedoch nicht dazu führen, dass die Standards der Kurse dauerhaft gesenkt werden.