Interview

Politikwissenschaftler Langguth im Interview "Eine Wahl mit Ohrfeigencharakter'"

Stand: 30.06.2010 22:36 Uhr

Eine Wahl mit drei Durchgängen - das sei zwar keine Staatskrise, sagt der Politikwissenschaftler Langguth im Interview mit tagesschau.de. Der Verlauf der Bundespräsidentenwahl sei dennoch ein deutliches Signal an Bundeskanzlerin Merkel und ihre Koalitionspartner: "So nicht weiter!"

tagesschau.de: Wie bewerten Sie es, dass die Wahl des Bundespräsidenten erst im dritten Durchgang entschieden war?

Gerd Langguth: Die Tatsache, dass Christian Wulff dann sogar noch die absolute Mehrheit erhielt, ist eine kleine Aussöhnung. Dass dies erst im dritten Durchgang geschah, ist allerdings ein drastisches Ausrufezeichen, ein "So nicht weiter!" an Merkel und ihre Koalitionspartner Westerwelle und Seehofer. Und es ging bei der Wahl auch um einen Ohrfeigencharakter.

tagesschau.de: Was bedeutet der Verlauf der Wahl denn jetzt für den Zustand der Koalition?

Gerd Langguth: Der Zustand ist verbesserungswürdig. Aber nun haben wir ja bald die Sommerpause. Ich bin gespannt, ob der Unfrieden darüber hinaus anhält.

Zur Person

Gerd Langguth ist politischer Publizist und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn. Er beschäftigt sich mit den politischen Parteien und analysiert politische Entscheidungsprozesse. Langguth war lange im Bundesvorstand der CDU und ist Biograph von Bundeskanzlerin Merkel.

tagesschau.de: Waren die fehlenden Stimmen für Wulff also nur kleine Denkzettel?

Langguth: Das war sicher keine organisierte Ablehnung. Es waren einzelne Leute - aber eine enorme Zahl. Im zweiten Wahlgang waren einige vielleicht erschreckt, da bei einer Nichtwahl von Wulff die Autorität von Angela Merkel und Guido Westerwelle schwer erschüttert worden wäre. Wulff fehlten viele Stimmen aus dem Regierungslager. Joachim Gauck bekam hingegen deutlich mehr Stimmen als Rot-Grün hatte. Er hat eine große charismatische Ausstrahlung, damit konnte er auch im konservativen Lager punkten.

tagesschau.de: Ist die Autorität der Regierung nicht schon durch das Ergebnis im ersten und zweiten Wahlgang schwer erschüttert?

Langguth: Doch. Aber die Wahl wird langsam vergessen, jetzt da Wulff sich durchgesetzt hat. Dennoch ist es eine erhebliche Äußerung von Unmut in der Regierungskoalition.

tagesschau.de: Warum gab es im Vorfeld der Wahl so hitzige Debatten?

Langguth: Wir leben in einer Zeit, in der die Politik keine Versprechungen machen kann. Es muss gespart werden. Die Schuldenbremse und die Euro-Krise haben nicht zur Beliebtheit der Politiker beigetragen. Und nun noch der Rücktritt von Horst Köhler. Das hat zu einer politischen Atmosphäre geführt, wie wir sie in der Bundesrepublik noch nicht hatten.

tagesschau.de: Wird das Amt des Bundespräsidenten dadurch beschädigt?

Langguth: Wulff wird als künftiger Bundespräsident sehr schnell eine Integrationsfunktion einnehmen. Die Deutschen lieben den Bundespräsidenten in der Funktion eines Ersatzmonarchen. Es war schon immer so, dass die Bundespräsidenten schnell Sympathien gewinnen konnten. Und auch der dritte Wahlgang ist keine Staatskrise. Es gehört zu einer Demokratie dazu, dass auch gerungen wird.

tagesschau.de: SPD und Grüne haben die Wahl des Bundespräsidenten strategisch genutzt, um die Regierung weiter unter Druck zu setzen. Dennoch wurde das Vorgehen gelobt, während Schwarz-Gelb kritisiert wurde, weil sie parteipolitisch gehandelt hätten. Ist das nicht paradox?

Langguth: Das ist immer auch ein Machtspiel. Ich hoffe, viele Bürger werden ein langes Gedächtnis haben. Denn es kann durchaus passieren, dass Rot-Grün wieder die Mehrheit in der Bundesversammlung haben wird. Und dann wird es spannend zu sehen, ob sie einen überparteilichen Kandidaten auftstellen.

tagesschau.de: In den vergangenen Tagen wurde viel über eine Direktwahl des Bundespräsidenten diskutiert. Was spricht dafür, was dagegen?

Langguth: Dafür spricht eine stärkere Identifizierung der Bevölkerung mit der Wahl. Doch vieles spricht dagegen. Das bisherige Verfahren hat sich bewährt. Und bei einer Direktwahl würde ein Präsident aus einem echten Parteienstreit hervorgehen - und nicht wie bislang aus einem "gebremsten". Es würde einen monatelangen Wahlkampf geben - und möglicherweise sogar einen zweiten Wahlgang mit Volksabstimmung. All dies würde die Integrationswirkung des Bundespräsidenten mindern.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de