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Bertelsmann-Studie Wie populistisch sind die Deutschen?

Stand: 25.07.2017 05:00 Uhr

Fast jeder dritte Deutsche stimmt populistischen Aussagen zu. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Trotzdem warnen die Forscher vor falschen Schlüssen: Von einem Durchbruch seien Populisten in Deutschland "meilenweit entfernt".

Von Robin Schäfer, WDR

Der Sieg der Brexit-Befürworter, der Wahlsieg von Donald Trump in den USA: Es wirkte fast so, als sei das Jahr 2016 das Jahr der Populisten weltweit. Und auch das Umfragehoch der AfD schien diese These zu bestätigen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat jetzt untersucht, wie verbreitet populistische Einstellungen in Deutschland sind.

Von Stunde der Populisten meilenweit entfernt

Bertelsmann-Studie

Infratest dimap befragte zwischen Juli 2015 und März 2017 dreimal jeweils mehr als 1600 Wahlberechtigte. Als populistisch wurden in der Untersuchung Menschen eingestuft, die sich auf Grundlage eines Fragebogen vollständig oder überwiegend zu insgesamt acht verschiedenen "antipluralistischen, Anti-Establishment- und Pro-Volkssouveränität-Aussagen" bekannten.

Demnach stimmen etwa 29 Prozent der Befragten populistischen Aussagen grundsätzlich zu. Unter den befragten Nichtwählern liegt der Anteil mit 36 Prozent deutlich höher. Dennoch sagt Robert Vehrkamp, einer der Autoren der Studie: "Von einer Stunde der Populisten sind wir in Deutschland meilenweit entfernt."

Um die Populismus-Neigung zu erfassen, haben die Forscher drei repräsentative Onlinebefragungen durchgeführt. Dabei mussten die Befragten bei acht Aussagen angeben, ob sie ihnen eher zustimmen oder sie ablehnen.

Ein Beispiel: "Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht." Die Zustimmung zu einer Aussage genügt aber nicht um als "Populist" zu gelten, denn "nur wer allen acht Aussagen vollständig oder eher zustimmt, gehört zu den 29 Prozent der Wahlberechtigten mit populistischen Einstellungen", sagt Vehrkamp.

Was ist Populismus?

Populismus steht für eine Politik, die mit Hilfe von Zuspitzungen und Dramatisierungen das Ziel verfolgt, möglichst große Teile der Bevölkerung zu erreichen und für die eigenen Ansichten zu gewinnen. "Populisten suggerieren, es gäbe so etwas wie einen allgemeinen Volkswillen und sie würden dafür stehen. Eigentlich arbeitet der Populist mit der Fiktion, dass er das Versprechen der Demokratie erst wirklich umsetzt. In Wirklichkeit tut er das Gegenteil, weil er einen Pluralismus der Meinungen unterdrückt", sagt Vehrkamp.

Laut der Studie eint Menschen mit populistischen Einstellungen ihre Kritik am Establishment, insbesondere an etablierten Parteien, Parlamenten und Politikern, aber auch an Medien und dem Rechtsstaat.

Die Studie hat auch untersucht, in welchen Bevölkerungsgruppen populistisches Denken stärker verbreitet ist. Offensichtlich spielen Einkommen und Schulbildung eine zentrale Rolle: Je geringer der Bildungsstand und je geringer das Einkommen, desto verbreiteter sind populistische Einstellungen, zeigt die Studie.

"Enttäuschte Demokraten"

Ein weiteres Ergebnis: Populistisch eingestellte Menschen in Deutschland vertreten eher moderate und weniger radikale Ansichten. "Populisten in Deutschland sind enttäuschte Demokraten, aber keine radikalen Feinde der Demokratie. 85 Prozent von ihnen unterstützen die Demokratie als politisches System", betont Vehrkamp.

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel bestätigt, dass Populismus in Deutschland eher moderat ausgeprägt ist. Schroeder beschäftigt sich unter anderem mit der AfD. Er lobt die Studie, weil sie "Alarmismus" abbaue. Dennoch dürfe Populismus nicht verharmlost werden: Im rechten Spektrum sieht er eine mögliche "Gefährdung für die Anerkennung von Demokratie".

Der Populismus in Deutschland sei nicht generell ungefährlich, insbesondere wenn er die Leistungsfähigkeit der Demokratie in Frage stellt, so Schroeder. Er empfiehlt deshalb: "Man kann nicht einfach nur mit der Faschismus-Keule vorgehen, sondern man muss sich auch mit den Argumenten auseinandersetzen. Das war bisher weniger notwendig gegenüber den anderen Parteien, die dem rechten Spektrum zuzuordnen waren. Das ist bei der AfD eine neue Qualität und eine neue Herausforderung".

Die Fragen der Studie

Der Grad populistischer Einstellungen wird in der Studie anhand der Zustimmung zu den folgenden acht typisch populistischen Einstellungen gemessen:

- "Die Bürger sind sich oft einig, aber die Politiker verfolgen ganz andere Ziele."
- "Mir wäre es lieber, von einem einfachen Bürger politisch vertreten zu werden als von einem Politiker."
- "Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht."
- "Die politischen Differenzen zwischen den Bürgern und Politikern sind größer als die Differenzen der Bürger untereinander."
- "Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden."
- "Die Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen."
- "Die Bürger in Deutschland sind sich im Prinzip einig darüber, was politisch passieren muss."
- "Was man in der Politik 'Kompromiss' nennt, ist in Wirklichkeit nichts Anderes als ein Verrat der eigenen Prinzipien."

Populismus lohnt im Wahlkampf nicht - mit einer Ausnahme

Demokratieforscher Vehrkamp hat eine klare Empfehlung an die großen Parteien: "Sie sollten populistischen Ideen nicht hinterherlaufen. Ein deutliches Bekenntnis zur EU ist in Deutschland massentauglicher als die Forderung nach einer Entmachtung des Establishments. Auch eine moderate Einstellung zur Flüchtlingspolitik wird eher honoriert als der Ruf nach Massenabschiebungen."

Die populistischen Einstellungen in der Bevölkerung hat bisher nur die AfD nutzen können und auch sie nicht in der ganzen Bevölkerung. "Der Wahlerfolg der AfD speist sich aus einem relativ kleinen Wählerspektrum", fasst Vehrkamp zusammen. Und dabei gehe es fast ausschließlich um das Thema Flüchtlinge. "Wenn wir die Flüchtlingsproblematik nicht gehabt hätten, würden wir über die AfD und Populismus in Deutschland überhaupt nicht diskutieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. Juli 2017 um 07:30 Uhr in den Nachrichten.