Parteichef Christian Lindner hält eine Rede zum FDP-Dreikönigstreffen auf der Bühne der Stuttgarter Oper.
Analyse

Dreikönigstreffen der FDP Mit eigenen Akzenten erkennbar bleiben

Stand: 06.01.2022 18:32 Uhr

Jedes Jahr an Dreikönig trifft sich die FDP zur politischen Kursbestimmung. Erstmals seit 2013 ist sie nun wieder in Regierungsverantwortung. Parteichef Lindner bemüht sich um Abgrenzung zu den Ampel-Partnern.

Eine Analyse von Frank Jahn, ARD Berlin

"Auf ins Neue", so lautet das Motto beim Dreikönigstreffen der FDP im Jahr 2022 - auch, wenn es auf den ersten Blick ganz wie im alten Jahr wirkt. Wieder müssen Christian Lindner und die anderen Redner in der Oper in Stuttgart ohne Saalpublikum auskommen; wieder ist das Dreikönigstreffen pandemiebedingt eine virtuelle Kundgebung.

Doch vieles ist neu, sagt Parteichef Lindner in seiner fast einstündigen, weitgehend frei gehaltenen Rede. Zuallererst steht er selbst in neuer Rolle auf der Bühne - als Parteichef einer Koalitionspartei im Bund. Das sah vor einem Jahr wirklich nicht jeder kommen. Da lag die FDP in Umfragen bei sieben Prozent. Aber im September holte Lindners Partei dann 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl - und schmiedete die Ampel.

Die FDP ist im Bund zurück an der Macht und das mache bereits einen Unterschied, versichert Lindner. Zu sehen ist dies seiner Meinung nach schon beim drängendsten Thema der Ampel: Corona. Die Krise spricht er zuerst an und lobt das Management. Die FDP habe mit dafür gesorgt, dass nun Entscheidungen über Corona-Maßnahmen wieder im Parlament getroffen würden. Es gebe - dank FDP - keine pauschalen Lockdowns.

Impfpflicht-Debatte als Beitrag zur Versöhnung

Einen Schatten wirft allerdings die Tatsache, dass die Liberalen in der Frage der allgemeinen Impfpflicht gespalten sind. Lindner macht aus der Not eine Tugend. Die Impfpflicht bezeichnet er als empfindlichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen, über das zu Recht ohne Parteilinien entschieden werden müsse.

Während manche kritisieren, dass die FDP in der Krise mit der unklaren Haltung nicht überzeuge, sieht Lindner in der Debatte um die Impfpflicht einen Beitrag zur Versöhnung in der Gesellschaft. Der Streit der Meinungen ist für ihn gar ein Dienst an der Demokratie. Lindner versichert, die FDP nehme die Pandemie ernst. Den Freien Demokraten, so der Parteichef, gehe es darum, "den konsequenten Gesundheitsschutz einerseits mit möglichst viel gesellschaftlicher Freiheit andererseits zu erhalten".

Freiheit in Verantwortung

Freiheit bleibt das Leitmotiv der Liberalen. Für die FDP heißt das nicht die Freiheit von Verantwortung, sondern Freiheit in Verantwortung. Dem Parteichef liegt offenkundig an der klaren Botschaft zu Dreikönig: Die FDP soll mit eigenen liberalen Akzenten erkennbar bleiben - auch in neuer Regierungsverantwortung.

In seiner Rede zeigt sich Lindner zuerst als Parteichef, der das Profil der FDP über Kernthemen hinaus bewirbt. Bevor der neue Finanzminister über Geld und Steuern redet, spricht er über die Erneuerung der Gesellschaft, über Vielfalt, Einwanderung, den sozialen Aufstieg und Klimaschutz.

Dass das Klima in den Fokus rückt, ist für Lindner sogar die erste große sichtbare Transformation seit der Bundestagswahl. Man rede dabei kaum noch übers Tempolimit, sondern über Milliardeninvestitionen. "Mehr denn je bin ich davon überzeugt", sagt Lindner, "dass der Klimaschutz kein Nischenthema ist, sondern ein Wohlstands- und Wachstumsthema". Ein Thema, "das nicht in die Nische gehört, sondern ins Zentrum unserer Anstrengungen". Der Klimaschutz entscheide über Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand.

"Erst kommt das Erwirtschaften, danach das Verteilen"

Und dabei geht es dann natürlich auch ums Geld. Lindner verteidigt, dass er ungenutzte Corona-Schulden für den Klimafonds nutzen will. Die Opposition wirft ihm Taschenspielertricks und ein Umfallen vor. Für Lindner beweist die Umwidmung der Gelder im Nachtragshaushalt indes die Handlungsfähigkeit in Krisen.

Doch er lässt keinen Zweifel daran, dass er so bald wie möglich zur Schuldenbremse zurückkehren möchte. Solide Finanzen bleiben ihm eine Herzensangelegenheit. "Es ist und es bleibt eine Realität", sagt Lindner: "Erst kommt das Erwirtschaften, danach das Verteilen. Wir müssen uns daran wieder erinnern und dorthin zurückkehren."

Lindner hält sich alle Koalitionen offen

"Auf ins Neue" - doch die alte FDP soll dabei sichtbar bleiben. Das ist wichtig für die anstehenden Wahlkämpfe. Im März möchte die FDP im Saarland ins Parlament einziehen. Danach will sie ihre Regierungsbeteiligungen - mit Jamaika in Schleswig-Holstein und Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen - verteidigen. Auch in Niedersachsen wählen die Menschen noch in diesem Jahr.

Die Liberalen müssen die Balance hinbekommen: Die Ampel in Berlin soll funktionieren und strahlen. Zugleich will sich die FDP Optionen für andere Koalitionen in den Ländern offenhalten. Die FDP sei nicht Teil eines Lagers, sondern eine unabhängige Kraft, sagt Lindner. Das heißt, sie sei auch weiter offen für Bündnisse mit der Union, mit der sie "ein echtes Zukunftsgespräch" führen möchte. "Wir haben kein Interesse daran, als Freie Demokraten uns von CDU und CSU zu entfremden", sagt Lindner. "Ganz im Gegenteil."

Geradezu diplomatisch klingt der FDP-Chef nun, der im Bundestagswahlkampf nicht mit verbalen Angriffen auf die politische Konkurrenz sparte. Lindner gibt sich staatsmännisch. Das ist Aufgabenteilung.

Djir-Sarai: "Abteilung Attacke wird dazugehören"

Schärfere Töne kündigt der künftige Generalsekretär Bijan Djir-Sarai an, der ebenfalls in Stuttgart auf der Bühne steht: "Selbstverständlich werden wir uns als Partei weiterentwickeln müssen, noch attraktiver werden", sagt er. "Aber auch die Abteilung Attacke wird dazugehören. Zugespitzte Debatten sind gelegentlich notwendig."

Man sei Teil einer Koalition. Aber eine Koalition sei keine Fusion, sagt Djir-Sarai. Die FDP sei nicht mit der SPD und den Grünen in einem Lager. Aber auch nicht mit CDU und CSU. "Ich will und werde nicht ein zusätzlicher Regierungssprecher sein. Meine Mission lautet FDP: eine erfolgreiche FDP."

Landtagswahlen als Maßstab für Erfolg der FDP-Mission

Die Landtagswahlen werden ein erster Gradmesser für den Erfolg der Mission sein. Dann muss die FDP liefern. Zum Jahresanfang jedenfalls stehen die Liberalen so erfolgreich da wie lange nicht. Sie regieren in vier Bundesländern und im Bund mit. Ihr Vorsitzender hat die FDP aus der außerparlamentarischen Opposition 2017 erst wieder in den Bundestag und 2021 wieder in die Regierung geführt.

Dafür gäbe es sicher tosenden Applaus von der Partei. Doch der ist im Opernhaus in Stuttgart wegen Corona nicht möglich. Lindner feiert sich mit seiner FDP erzwungenermaßen stiller als gewünscht - aber doch sehr selbstbewusst. "Auf ins Neue" geht es für ihn am Tag nach Dreikönig dann auch persönlich. Dann wird er 43 Jahre alt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 06. Januar 2022 um 18:00 Uhr sowie Deutschlandfunk um 18:00 Uhr.