Nach dem Anschlag wurde der Tatort rund um den Weihnachtsmarkt weiträumig abgesperrt.

Nach Anschlag in Straßburg Verschwörungstheorien wegen eines Tweets

Stand: 13.12.2018 12:45 Uhr

Die Regierung stecke hinter dem Anschlag in Straßburg, um die Proteste der "Gelbwesten" zu unterbinden. Solche Verschwörungstheorien verbreiten sich in Frankreich. Belege gibt es keine.

Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder, und Sabine Wachs, ARD-Studio Paris

Auch nach dem Terroranschlag in Straßburg blühen im Netz die Verschwörungstheorien. Nach Recherchen von französischen Journalisten verbreiten sich diese besonders stark in Facebook-Gruppen der "Gelbwesten". Viele Internetnutzer vermuten, dass Regierung oder Geheimdienste hinter der Attacke am Dienstagabend stecken. Das vermeintliche Motiv: Die Regierung brauchte einen Vorwand, um einen Ausnahmezustand zu verhängen. Dadurch sollen dann die Proteste der "Gelbwesten" unterbunden werden.

Um diese Behauptung zu unterfüttern, würden in Facebook-Gruppen einiger "Gelbwesten" diverse Theorien entwickelt, berichtet der Sender France Info. So bezweifelte ein Administrator der Gruppe "Fly Rider infos blocage", die mehr als 130.000 Mitglieder hat, in einem Video, dass es sich um einen echten Angriff gehandelt habe. Sonst hätte der Täter nicht in Straßburg auf drei Leute gewartet, sondern einen Sprengsatz zwischen Millionen Menschen mitten auf dem Champs-Elysées gezündet. Das sei ein echter Angriff, so "Fly Rider", der als ein bekannter Sprecher der "Gelbwesten" gilt.

Zeitstempel als vermeintlicher Beweis

"Gelbwesten" führen zudem als vermeintlichen Beweis für eine Verschwörung den Screenshot eines Tweets an. Darin hatte die Präfektur Bas-Rhin mitgeteilt, dass es in Straßburg eine außergewöhnliche Lage gäbe, dass man keinen Gerüchten glauben und den Einsatzbereich der Polizei meiden sollte.

Dieser Tweet stammt von Dienstagabend, 20:47 Uhr; zu dieser Zeit wurden die ersten Eilmeldungen über Schüsse in Straßburg veröffentlicht. Auf einem Screenshot, der im Netz kursiert, ist aber zu sehen, dass dieser Tweet bereits um 11:47 Uhr abgesetzt worden sei - also genau neun Stunden früher. Daraus schließen Internet-Nutzer, die Behörden hätten vorab von dem Anschlag gewusst.

Einstellung der Zeitzone entscheidend

Tatsächlich ist die Erklärung wenig spektakulär: Der Zeitstempel bei Twitter zeigt normalerweise die Zeitzone des Betrachters - nicht des Erstellers - an. Ist die Zeitzone des Betrachters nicht weiter definiert - beispielsweise wenn er nicht bei Twitter eingeloggt ist - dann wird die Zeitzone der US-Westküste angezeigt: Dort, in San Francisco, befindet sich das Twitter-Hauptquartier. Die Differenz zur Zeit in Frankreich beträgt minus neun Stunden.

Der Twitter-Zeitstempel sorgte bereits mehrfach für Verwirrung oder wurde als vermeintlicher Beleg für falsche Behauptungen angeführt - beispielsweise nach einem Anschlag in Manchester. Der ARD-faktenfinder hat daher erklärt, wie man genau bestimmen kann, wann ein Tweet veröffentlicht wurde.

Kontroversen bei den "Gelbwesten"

Die Verschwörungstheorien stoßen in der Bewegung der "Gelbwesten" allerdings nicht nur auf Zustimmung. Viele widersprachen den Behauptungen. Nach AFP-Angaben wurden zahlreiche Beiträge mit kruden Inhalten in Facebook-Gruppen mittlerweile gelöscht.

Dennoch sorgten die Behauptungen landesweit für Aufsehen: "Wie kann man nur so etwas behaupten?", kritisierte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. "Jedes Mal, wenn etwas Schreckliches passiert, wird etwas Schreckliches zu dem Schrecklichen hinzugefügt."

Proteste wurden nicht verboten

Falsch sind auch die Behauptungen, durch die nach dem Anschlag ausgerufene höchste Terrorwarnstufe würden landesweit alle Demonstrationen verboten. Tatsächlich können nun Personenkontrollen einfacher durchgeführt werden, mehr Militär ist im Einsatz. Ein Versammlungsverbot gilt aber lediglich in und um Straßburg - nicht landesweit.

Daher sind die für Samstag angekündigten Proteste der "Gelbwesten" auch weiter erlaubt. Die Regierung forderte allerdings erneut, dass die Demonstrationen angemeldet würden. Und unter den "Gelbwesten" wird diskutiert, ob das kommende Wochenende der richtige Zeitpunkt für weitere Proteste sei. Eine Diskussion, die weiteren Stoff für Verschwörungstheorien liefern dürfte.