Hände in Handschellen

Fragen und Antworten Sind Zuwanderer wirklich krimineller?

Stand: 17.12.2021 15:05 Uhr

Zuwanderer und Kriminalität - ein vor allem emotional diskutiertes Thema. Aber was sagt die Polizeiliche Kriminalstatistik dazu wirklich aus? Und was umfasst sie überhaupt?

Von Von Andrej Reisin, NDR

Welche Straftaten werden von der PKS erfasst?

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erfasst alle von der Polizei bearbeiteten Straftaten, sowohl vollendete wie auch solche, bei denen es lediglich beim strafrechtlich relevanten Versuch geblieben ist. In der PKS finden sich die absoluten Zahlen aller Straftaten und Tatverdächtigen, als auch die relativen Zahlen, die über die Häufigkeit von Straftaten in Bezug zur Anzahl der Einwohner oder Angehöriger bestimmter Gruppen (Altersgruppen, Geschlecht, Nationalität) Aufschluss geben. Letzteres ist besonders wichtig, um die Vergleichbarkeit der Zahlen über Jahre hinweg zu gewährleisten. Die absolute Anzahl an Straftaten hängt natürlich auch von äußeren Faktoren wie zum Beispiel dem Anstieg oder der Abnahme der Gesamtbevölkerung zusammen. Gerade im Zusammenhang mit starker Zuwanderung sind Zahlen, die Aufschluss über die Häufigkeit von Straftaten geben, besonders relevant. Denn zwangsläufig begehen mehr Menschen insgesamt auch mehr Straftaten.

Welche Kriminalitätsbereiche fehlen in der PKS?

Folgende wesentliche Gruppen von Straftaten sind nicht in der PKS enthalten: Verkehrsdelikte, Staatsschutzdelikte sowie Zoll- und Steuerstraftaten. Im Hinblick auf Verkehrsdelikte fehlt damit bereits ein großer Teil (rund 50 Prozent) aller Straftaten. Vermieden werden soll damit eine zu starke Abhängigkeit der PKS allein von möglichen Schwankungen bei Verkehrsdelikten. Zoll- und Steuerstraftaten, die in der Regel nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören und unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und bearbeitet werden, fehlen aus diesem Grunde ebenfalls in der PKS. Staatsschutzdelikte werden gesondert erfasst - und teilweise in einem Sonderbericht zur "Politisch Motivierten Kriminalität" (PMK) ausgewiesen.

Was bedeutet "Ausgangs-Statistik" im Hinblick auf die PKS?

Die PKS enthält alle angezeigten Straftaten, die der Polizei bekannt geworden sind und durch sie "endbearbeitet" wurden. Das bedeutet, dass die Fälle erst dann in die PKS Eingang finden, wenn die Polizei eine Straftat ermittelt und an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Auch eine Straftat, die nicht aufgeklärt werden konnte, weil kein Täter ermittelt wurde, die aber an die Staatsanwaltschaft übergeben wurde, findet Eingang in die PKS. Stellt sich dagegen im Laufe der polizeilichen Ermittlungen heraus, dass sich ein Tatverdacht nicht erhärten lässt, also gar keine Straftat vorliegt, so findet die Anzeige auch keinen Eingang in die PKS.

Welchen Zeitraum umfasst die PKS?

Aus der Definition einer Ausgangs-Statistik ergibt sich, dass die PKS nicht die Anzahl der in einem Jahr begangenen, sondern polizeilich ausermittelten Straftaten widerspiegelt. Das heißt, dass die PKS eines jeden Jahres zahlreiche Fälle enthält, die sich bereits im Jahr zuvor oder noch früher zugetragen haben können. So enthält die PKS 2016 wegen der langen Ermittlungsdauer zum Beispiel die Opfer der Germanwings-Maschine, die der Co-Pilot bereits 2015 mutmaßlich zum Absturz brachte. Nicht enthalten ist dagegen der Ende Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz verübte Terroranschlag. Insgesamt wurden knapp ein Viertel (24%) der in der PKS 2016 erfassten Straftaten bereits im Jahr 2015 oder früher verübt.

Was sind die Unterschiede zwischen PKS und anderen Kriminalstatistiken?

Regelmäßig unterscheidet sich die PKS erheblich von anderen Kriminalitätsstatistiken wie zum Beispiel der Strafverfolgungsstatisik des Statistischen Bundesamtes. Dabei gilt die Faustregel: Nicht alles Angezeigte wird aufgeklärt, nicht alles Aufgeklärte wird angeklagt und nicht alles Angeklagte wird verurteilt. Oftmals kommen Staatsanwaltschaften zu anderen Einschätzungen als die Polizei, im Hinblick darauf, ob der vorliegende Tatverdacht für eine Anklagerhebung und Verurteilung ausreicht. Verfahren können eingestellt werden oder in deren Verlauf entpuppt sich der Tatverdächtige als unschuldig oder wird wegen anderer Delikte verurteilt als die Polizei ermittelt hat. Insgesamt werden nur ungefähr 30 Prozent aller Tatverdächtigen auch verurteilt. All diese Ergebnisse finden aber keinen Eingang mehr in die PKS. Sie lässt sich daher nicht mit den Statistiken der Justiz abgleichen.

Was ist mit Hell- und Dunkelfeld gemeint?

Die PKS beschäftigt sich ausschließlich mit dem sogenannten "Hellfeld" der polizeilich bekanntgewordenen Kriminalität. Sie erfasst in keiner Weise das "Dunkelfeld" der Straftaten im Verborgenen, die gewissermaßen "erfolgreich" verübt wurden - ohne von der Polizei entdeckt oder bei ihr angezeigt zu werden. In einigen Deliktsgruppen wie zum Beispiel sexuelle Belästigung oder Kindesmissbrauch, gilt ein großes Dunkelfeld in der kriminologischen Forschung als sehr wahrscheinlich, da Straftaten von den Opfern zum Beispiel aus Scham oder aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen entweder gar nicht oder erst Jahre später zur Anzeige gebracht werden. Auch sogenannte Kontrolldelikte, die im Wesentlichen erst durch polizeiliches Handeln Eingang in die Statistik finden, können eine hohe Dunkelziffer aufweisen. Dazu gehören Rauschgiftdelikte, Schwarzfahren, Ladendiebstahl oder das Erschleichen von Leistungen.

Gibt die PKS verlässlich Auskunft über die Kriminalitätsentwicklung?

Die PKS beruht auf dem Erkenntnisstand bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen. Sie unterliegt zahlreichen Einflüssen, die ihre Aussagekraft begrenzen. Dazu gehören zum Beispiel das Anzeigeverhalten der Bevölkerung. Dieses kann je nach gesellschaftlichen Entwicklungen stark variieren. Gehörte eine "ordentliche Keilerei" unter Männern auf manchem Volksfest früher noch zum gesellschaftlich akzeptierten "guten Ton", wird heute auch bei einfachen Körperverletzungen oftmals die Polizei eingeschaltet. Auch Versicherungsaspekte können Auswirkungen auf das Anzeigeverhalten haben.

Auch die Kontrollintensität der Polizei hat maßgeblichen Einfluss auf die Statistik. Eine hohe Polizeipräsenz führt in aller Regel auch zu mehr aufgedeckten und angezeigten Straftaten. Dies gibt aber keine Auskunft darüber, ob die tatsächliche Zahl der Straftaten gestiegen ist - oder lediglich die Zahl der polizeilich bekannten (siehe "Hell-/Dunkelfeld). Laut Bundeskriminalamt bietet die PKS "somit kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität."

Wer ist in der PKS mit der Gruppe der "Zuwanderer" gemeint?

Das Bundeskriminalamt (BKA) versteht unter "Zuwanderer" in der PKS Asylbewerber im laufenden Verfahren, abgelehnte Asylberwerber, die eigentlich ausreisepflichtig sind, aufgrund von einer Duldung aber zunächst nicht abgeschoben werden können, Kontingent-/Bürgerkriegsflüchtlinge und Menschen, die sich unerlaubt, also illegal in Deutschland aufhalten. Kritiker bemängeln, dass diese Definition von "Zuwanderer" erheblich vom alltäglichen Verständnis und Sprachgebrauch abweicht. Gastarbeiter, anerkannte Asylbewerber oder Arbeitsmigranten aus der EU, die viele Menschen ebenfalls aus "Zuwanderer" wahrnehmen, sind in der PKS ausdrücklich nicht gemeint. Tatverdächtige anerkannte Asylbewerber werden in der PKS unter dem Sammelbegriff "sonstiger erlaubter Aufenthalt" subsumiert. Über deren Anteil an der Gruppe der "Sonstigen" liegen dem BKA aber keine Erkenntnisse vor. Das bedeutet, dass sich über die Kriminalitätsbelastung anerkannter Asylbewerber in der PKS keine genaue Aussage treffen lässt.

Welche Straftaten werden von dieser Gruppe besonders häufig begangen?

Unter den tatverdächtigen Zuwanderern befinden sich besonders viele Personen, gegen die wegen Diebstahl (58.400 Fälle), insbesondere Ladendiebstahl (44.036) ermittelt wird. Da Diebstahl ohnehin zu den häufigsten Delikten der PKS zählt, ist dies auch nicht verwunderlich. Ebenfalls häufig wird gegen Verdächtige wegen Betrug (45.183), darunter allerdings insbesondere wegen "Beförderungserschleichung" (=Schwarzfahren) ermittelt (30.155 Tatverdächtige). Sogenannte "Rohheitsdelikte" (61.676), darunter insbesondere Körperverletzung (52.078) spielen ebenfalls eine große Rolle.

In welchem Verhältnis stehen diese Straftaten zur Gesamtzahl der Delikte?

Auffällig ist, dass die Gruppe der Zuwanderer überdurchschnittlich häufig an der Begehung von Straftaten beteiligt ist. Zwar kann niemand genau sagen, wie groß die Gesamtzahl derjenigen ist, die theoretisch in die Kategorie "Zuwanderer" fallen, so wie die PKS sie definiert (siehe oben) hat, aber selbst wenn man von einer sehr hohen Schätzzahl ausgeht, dürfte ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung kaum mehr als zwei Prozent betragen. Demgegenüber stellen sie laut PKS aber 8,6 Prozent aller Tatverdächtigen. In einigen Deliktsgruppen ist ihr Anteil sogar noch deutlich höher. Darunter sind: Straftaten gegen das Leben (12,0%), Vergewaltigung und sexuelle Nötigung (14,9%), Raubdelikte (14,3%), Gefährliche und schwere Körperverletzung (14,9%), Diebstahl (13,1%) und Urkundenfälschung (21,5%). Besonders auffällig ist der Wert auch beim Taschendiebstahl, bei dem laut PKS zu 35,1% Zuwanderer tatverdächtig sind.

Wer sind die Opfer dieser Straftaten?

Nicht bei allen Straftaten erfasst die PKS ein "Opfer" (zum Beispiel bei Schwarzfahren oder Ladendiebstahl). Unter den Straftaten mit Opfererfassung befinden sich Straftaten gegen das Leben, Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Die PKS selbst gibt über das Täter-Opfer-Verhältnis nur sehr eingeschränkt Auskunft. Das BKA veröffentlicht jedoch auch ein sogenanntes "Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung". In der aktuellen Version für das Jahr 2016 wird darin festgestellt, dass in 79 Prozent der Fälle, in denen ein Flüchtling Opfer einer Straftat wurde, der Täter ebenfalls ein Zuwanderer war.

Demgegenüber war nur bei 4,6 Prozent der deutschen Opfer ein Zuwanderer tatverdächtig. Das heißt, dass sich insbesondere die Gewaltkriminalität von Zuwanderern in erheblichem Maße gegen andere Zuwanderer richtet. Experten vermuten den Grund hierfür in der beengten und entbehrungsreichen Wohnsituation in den Flüchtlingsunterkünften, insbesondere während der Einrichtung der zum Teil überfüllten Notunterkünfte im Herbst/Winter/Frühjahr 2015/16.

Allerdings sollten auch die absoluten Zahlen nicht unerwähnt bleiben: So wurden insgesamt 2.496 Deutsche - weit überwiegend Frauen - Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei denen ein Zuwanderer tatverdächtig war. Obwohl diese Zahl verglichen mit der Gesamtzahl der Sexualstraftaten (47.401) immer noch recht klein wirkt, sind Zuwanderer laut Kriminologen dennoch weit überwiegend für den insgesamten Anstieg um 2,9 Prozent in diesem Bereich verantwortlich.

Warum ist der Vergleich Deutsche/Nichtdeutsche Täter kompliziert?

Es gibt in der kriminologischen Forschung sehr konstante und belastbare Indikatoren für eine erhöhte Kriminalität: Erstens gibt es einen Kriminalitätsschwerpunkt in jüngeren Altersgruppen, zweitens sind rund 75 Prozent aller Tatverdächtigen männlich. Bei Gewaltkriminalität sind sogar 86 Prozent und bei Vergewaltigung fast 99 Prozent der Tatverdächtigen männlich. Drittens spielt die soziale Lage der Täter eine entscheidende Rolle: Je prekärer die soziale Lage, desto höher ist die Anfälligkeit für Kriminalität.

Nimmt man daher die Gesamtbevölkerung und vergleicht diese zum Beispiel mit der Gruppe der Zuwanderer, stellt man fest, dass letztere Gruppierung im Schnitt jünger, männlicher und sozial schlechter gestellt ist. Insbesondere die in der PKS definierte Gruppe hat in den meisten Fällen gar keine Möglichkeit zum legalen Gelderwerb, was eine entsprechende Kriminalitätsbelastung nach sich zieht. Insgesamt treffen die Hauptindikatoren für erhöhte Kriminalität in hohem Maße auf diese Gruppe zu. Der Vergleich zur einheimischen Bevölkerung, der einen weitaus höheren Frauenanteil, mehr ältere Menschen und Kleinkinder umfasst, und zusätzlich im Durchschnitt sozial deutlich besser gestellt ist, gestaltet sich daher schwierig. Vergleicht man dagegen zum Beispiel nur junge Männer aus prekären sozialen Verhältnissen mit Gewalterfahrung, so gleicht sich auch die Kriminalitätsbelastung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen stark an.

Auf diesen Umstand weist das BKA in der PKS sogar selbst hin: Die Daten dürften "nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden. Sie lassen auch keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu. Einem wertenden Vergleich zwischen der deutschen Wohnbevölkerung und den sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit stehen (auch) das doppelte Dunkelfeld in der Bevölkerungs- und in der Kriminalstatistik sowie der hohe Anteil ausländerspezifischer Delikte und die Unterschiede in der Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur entgegen."

Sind Ausländer krimineller als Deutsche?

Diese immer wieder gestellte Frage kann auf Basis der PKS nicht seriös beantwortet werden, wie aus der Darstellung aller Faktoren deutlich wird. Die Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ), die die Anzahl der Tatverdächtigen auf 100.000 Einwohner wiedergibt, kann für die Gruppe nichtdeutscher Tatverdächtiger nicht seriös berechnet werden, "da die Bevölkerungsstatistik bestimmte Ausländergruppen, die in der PKS als nichtdeutsche Tatverdächtige gezählt werden, wie beispielsweise Personen ohne Aufenthaltserlaubnis, Touristen/Durchreisende, Besucher, Grenzpendler und Stationierungsstreitkräfte, nicht enthält", wie es dazu in der PKS heißt.

Das bedeutet, die Gesamtzahl derjenigen, die in der PKS als "Nichtdeutsche" auftauchen, kann immens höher sein als die tatsächlich ansässige Wohnbevölkerung an einem Ort. So hat allein die vermeintliche "Kriminalitätshauptstadt" Berlin jährlich mehr als 30 Millionen Übernachtungen, davon 13,6 Millionen ausländische Gäste. Natürlich begehen diese nicht alle Straftaten, aber jeder Tourist, der wegen eines Vergehens auffällig wird, findet Eingang in die PKS, obwohl er nicht in Berlin und oftmals nicht mal in Deutschland ansässig ist. Die Kriminalitätsbelastung pro 100.000 Einwohner erscheint dann höher, als sie im Hinblick auf die tatsächlichen Einwohner Berlins wirklich ist. Wer allein auf Basis des Anteils der Nichtdeutschen oder der Zuwanderer an den Tatverdächtigen argumentiert, diese seien krimineller als Deutsche, und dafür möglicherweise auch noch deren "Herkunft" verantwortlich macht, begeht also gleich mehrere statistische Fehler auf einmal.

Dennoch kann man feststellen, dass bestimmte Nationalitäten oder Zuwanderergruppen überproportional häufig in der PKS auftauchen. Diesem Phänomen kann auf mehreren Ebenen begegnet werden. Dominic Kudlacek vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen erklärte der tagesschau dazu: "Erstens muss massiv in Bildung investiert werden. Zweitens müssen klare Grenzen gesetzt werden. Drittens müssen Anreize geschaffen werden, zurückgehen zu können - und damit meine ich Geld."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 24. April 2017 die tagesschau um 20:00 Uhr und die tagesthemen um 22:15 Uhr.