Eine beschädigte Rakete liegt auf einem Tisch

Bericht zu MH17-Abschuss Russische Zweifel

Stand: 25.05.2018 13:31 Uhr

Russland hat mit Skepsis auf den Bericht des internationalen Ermittlerteams zu MH17 reagiert. In Staatsmedien wird die Arbeit angezweifelt.

Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder, und Demian von Osten, ARD-Studio Moskau

Vier Jahre nach dem Abschuss des Passagierflugs MH17 über der Ostukraine konzentrieren sich die Ermittlungen auf das russische Militär. Die Rakete, mit der die Boeing abgeschossen worden war, stammte nach Angaben des internationalen Ermittlerteams JIT von der russischen Armee.

"Das Flugabwehrsystem vom Typ Buk gehörte zu Beständen der 53. Flugabwehr-Brigade der Russischen Föderation, stationiert in Kursk", sagte der niederländische Chefermittler. Fotos, Videos und Zeugenaussagen würden das belegen. Der Kreis der Verdächtigen habe sich von ursprünglich etwa 100 auf ein paar Dutzend reduziert, sagte der leitende Staatsanwalt Fred Westerbeke.

Die Recherche-Plattform "Bellingcat" präsentierte zudem Hinweise, wonach ein hoher russischer Geheimdienstler an der Operation beteiligt gewesen sein soll.

Augenzeugen nicht berücksichtigt?

In russischen Staatsmedien werden die Ergebnisse der Untersuchungen hingegen bezweifelt. RT Deutsch behauptet, das Ermittlerteam hätte Berichte von Augenzeugen nicht berücksichtigt. Diese Zeugen hätten ausgesagt, dass die Rakete aus einem von der Ukraine kontrollierten Gebiet abgefeuert worden sei.

Bereits für seinen Zwischenbericht am 28. September 2016 hatte das JIT nach eigenen Angaben verschiedene mögliche Abschussstellen der Buk-Rakete untersucht. Darunter waren zwei Orte in der Nähe des ukrainischen Dorfes Zaroshchenskoye, die von Moskau als mögliche Abschussorte genannt wurden und zu dieser Zeit unter Kontrolle des ukrainischen Militärs gewesen sein sollen.

Allerdings habe sich durch Analysen von Audio-, Video- und Fotomaterial, Bodenproben und Zeugenaussagen für die Ermittler herausgestellt, dass dies nicht der Abschussort gewesen sein könne. Zudem befanden sich demnach diese Orte zu dem betreffenden Zeitpunkt unter Kontrolle von prorussischen Kämpfern.

RT beklagt Ungenauigkeit

Zudem, so schreibt RT Deutsch, hätten sich die Ermittler unter anderem auf Recherchen von "Bellingcat" bezogen. Dabei hätten "‘Anti-Bellingcat’-Aktivisten, darunter Luftfahrtexperten, russische Blogger, Journalisten und Freiwillige auf erhebliche Mängel und Ungenauigkeiten in der Bellingcat-Version der Tragödie hingewiesen".

Eine solche Ungenauigkeit beziehe sich auf die Behauptung, dass das Buk-Raketensystem über die russisch-ukrainische Grenze zu dem Ort transportiert worden sei, an dem die Rakete angeblich abgefeuert worden sei. Der Bellingcat-Bericht verwendet laut RT Deutsch Bilder und Daten von Buk-Systemen auf beiden Seiten der Grenze und behauptet, es handele sich jeweils um dasselbe. Allerdings hätten die Aktivisten bemerkt, dass die in Russland entdeckte Ausführung eine andere Variante darstellte.

Dem widerspricht das Joint Investigation Team in einem detaillierten Video: Darin kommen die Ermittler zu dem Schluss, dass zahlreiche Merkmale auf beiden Seiten des Buk-Raketenwerfers eine Art "Fingerabdruck" erzeugten, der diesen Buk-Raketenwerfer eindeutig unterscheidbar mache von anderen, darunter ein Kreuz, ein Kreis, eine Transportmarkierung, ein weißer Fleck und die Reste einer abgeblätterten Fahrzeugnummer.

Die Ermittler argumentieren, dass der Nachweis aller dieser Elemente auf den Fotos und Videos sowohl aus Russland als auch aus der Ostukraine belege, dass es sich um ein und dasselbe Buk-System handeln müsse. Die Ermittler seien sich sicher, dass diese Argumentation vor Gericht bestand habe.

Moskau verweist auf Radardaten

RT Deutsch weist zudem auf Aussagen des russischen Außenministers Sergej Lawrow hin. Dieser hatte im vergangenen Monat Radar-Standortdaten angeführt, "die nicht gefälscht oder verändert werden können" und die "deutlich" zeigen, dass die Rakete nicht aus der von den Ermittlern behaupteten Richtung kommen konnte. Die angebotenen Daten habe das multinationale Ermittlerteam jedoch nur selektiv akzeptiert, sagte Lawrow.

Das Joint Investigation Team bestätigte bereits im September 2016, dass es Radardaten auch von der Russischen Föderation erhalten habe. Das JIT betonte damals, es habe "ausreichende und wichtige Radarbilder" ausgewertet, die sowohl von der Ukraine als auch von Russland zur Verfügung gestellt worden waren. Durch intensive Recherchen habe man eine weitere Videodatei mit relevanten Primärradardaten des Gebietes gefunden, die von einem mobilen Radar in der Ukraine aufgezeichnet worden waren. Das Material sei "mehr als ausreichend", um Schlussfolgerungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen zu ziehen. Zusätzlich bestätigten Fluglotsen, die damals gearbeitet hatten, demnach die Ergebnisse: Das JIT habe eine Audiodatei der Gespräche zwischen den ukrainischen Fluglotsen und den Flugzeugen, die am 17. Juli 2014 den ukrainischen Luftraum passierten, einschließlich des Fluges MH17.

Im April 2018 teilte das JIT darüber hinaus mit, dass es zwei unabhängige Experten beauftragt habe, die von Russland zur Verfügung gestellten Radardaten zu untersuchen. Demnach muss die Buk-Rakete auf den Radardaten nicht zu sehen sein. Laut den vom JIT befragten Experten könne dies unter anderem an der hohen Geschwindigkeit liegen, mit der Buk-Raketen fliegen. Zivile Radarsysteme seien so eingestellt, dass "solche schnell fliegenden Objekte auf Radarbildern generell nicht sichtbar seien".

Ein "Bellingcat"-Reporter wies auf Twitter zudem darauf hin, dass Russland im Laufe der Zeit sich widersprechende Daten präsentiert habe. So seien auf den Radardaten unterschiedliche Flugbahnen von MH17 ausgewiesen gewesen.

Ermittler konnten US-Daten einsehen

Der russische staatliche Fernsehkanal "Rossija 1" verbreitete am Donnerstag in einem Bericht erneut den Vorwurf, dass die USA Satellitenbilder vom Tag des Abschusses nicht veröffentlichen würden. Laut dem "Rossija 1"-Reporter lässt dies nur den Schluss zu, dass die USA eindeutige Beweise dafür hätten, dass die Ukraine hinter der Katastrophe stecke.

Tatsächlich haben die USA keine Satellitenbilder veröffentlicht. Zur Begründung sagte der damalige US-Botschafter in Kiew, Geoffrey R. Pyatt, 2015 in einem ARD-Interview: "Es handelt sich um Geheimdienstinformationen und die USA veröffentlichen niemals Geheimdienstinformationen."

Der niederländische Chefermittler Fred Westerbeke bestätigte 2017 in einem Interview mit der russischen Zeitung "Nowaya Gaseta", dass das Ermittlerteam über diese Daten verfüge. "Ein Mitarbeiter meiner Abteilung, der die Genehmigung für die Bearbeitung von Geheimdienstpapieren mit den Stempeln 'Streng geheim' und 'Nationale Sicherheit' besitzt, hat Satellitendaten im Besitz der USA gesehen und untersucht."

Trauernde Angehörige vor den auf dem Gelände des MH17-Mahnmals in den Niederlanden

Trauernde Angehörige vor dem Gelände des MH17-Mahnmals

Niederlande machen Moskau verantwortlich

Neben den Zweifeln an den Ermittlungen erhob das russische Außenministerium den Vorwurf, Russland solle international diskreditiert werden. Präsident Wladimir Putin kündigte an, man werde die Ergebnisse der Ermittler analysieren.

Die Niederlande und Australien machten unterdessen Russland offiziell für den Abschuss verantwortlich. Der niederländische Außenminister Stef Blok sagte, Moskau sei von seinem Land und Australien gebeten worden, Gespräche über eine Lösung der Situation aufzunehmen.