Handschellen

Debatte nach Kandel Einzelfälle oder klarer Trend?

Stand: 22.01.2018 10:57 Uhr

Die Gewalttaten von Freiburg und Kandel haben eine Debatte über die Kriminalität von jungen Flüchtlingen ausgelöst. Sind diese besonders gewalttätig? Statistiken geben nur bedingt Auskunft.

Von Nick Schader, SWR

In Freiburg steht der Flüchtling Hussein K. wegen eines Sexual-Mordes vor Gericht. Im südpfälzischen Kandel wurde Abdul D. verhaftet, weil er seine Ex-Freundin erstochen haben soll. Die beiden Fälle verbindet, dass die mutmaßlichen Täter junge Flüchtlinge sind - und dass sie für bundesweite Schlagzeilen gesorgt haben. Der Tatverdächtige Afghane im Kandeler Fall war nach offiziellen Angaben erst 15 Jahre alt - genau wie sein Opfer.

Die Gewalttaten lösten eine Debatte über die Kriminalität von jungen Flüchtlingen aus. Handelt es sich um Einzelfälle oder steigt die Gewaltkriminalität generell?

Vorliegende Statistiken geben darüber bislang nur bedingt Auskunft. Das Bundeskriminalamt (BKA) verzeichnete in dem Phänomenbereich Mord und Totschlag - ungeachtet der Herkunft - im Jahr 2014 genau 117 Tatverdächtige, die zwischen 14 und 18 Jahren alt waren. 2015 waren es 129 Tatverdächtige, ein Jahr später 132. Die meisten der Tatverdächtigen in den Jahren 2014 (80) und 2015 (73) waren Deutsche. 2016 waren allerdings 78 Tatverdächtige Ausländer. Allerdings unterscheidet das BKA in diesen Statistiken nicht zwischen Ausländern und Flüchtlingen.

Für die Jahre 2015 und 2016 liegen beim BKA allerdings Zahlen auch speziell zu Flüchtlingen vor. Hier zeigt sich ein Trend: 2015 waren es 14 Personen zwischen 14 und 18 Jahren, die wegen Mord oder Totschlag unter Verdacht standen. 2016 waren es 38. Hier ist also ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Allerdings handelt es sich um Verdächtige - also mutmaßliche Täter.

Die meisten Opfer sind selbst Ausländer

Anders als bei der Tat in Kandel sind die meisten Opfer der ausländischen Täter laut Statistik selbst Ausländer. In einer Zusammenfassung des BKA für 2016 heißt es, dass bei zwei Dritteln aller Mord- und Totschlagsdelikte ausschließlich Zuwanderer - also als Opfer und Täter - beteiligt waren. Ein Drittel dieser Taten passierte in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften.

Für Aufsehen sorgte eine Untersuchung des Kriminologen Christian Pfeiffer. Er hatte festgestellt, dass es eine steigende Zahl an Straftaten durch Ausländer bzw. Zuwanderer gebe. Er hatte bei der Veröffentlichung der Studie aber unter anderem betont, dass ausländische Täter eher angezeigt würden als Deutsche.

Zudem hätten viele Flüchtlinge zum Beispiel aus Afghanistan traumatische Dinge in ihrer Heimat oder während der Flucht erlebt. Das könne die Gewaltbereitschaft erhöhen. Für Pfeiffer sind das mögliche Erklärungsansätze - keine Entschuldigungen.

Zentrale Aussagen der Studie

Aufenthaltsperspektive: Vor allem Flüchtlinge aus Algerien, Tunesien und Marokko begehen häufig Straftaten. Sie haben selten Chance, in Deutschland zu bleiben. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak werden seltener straffällig. Sie sind bemüht, ihre Chancen für einen Aufenthalt in Deutschland nicht zu gefährden.

Altersstruktur: Die Gruppe der 14- bis 30-Jährigen ist bei Gewalt- und Sexualdelikten weltweit überrepräsentiert. Viele Flüchtlinge sind junge Männer. Allein in Niedersachsen gehörten 2016 knapp 27 Prozent der registrierten Flüchtlinge dazu. Fast zwei Drittel der aufgeklärten Gewalttaten von Flüchtlingen gingen auf ihr Konto.

Verzerrungsfaktor: Die Anzeigebereitschaft ist den Forschern zufolge etwa doppelt so hoch, wenn Opfer und Täter sich vorher nicht kannten oder unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören. Sie gehen deshalb davon aus, dass Gewaltdelikte von Flüchtlingen entsprechend häufiger angezeigt werden.

Quelle: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

Christian Pfeiffer, Kriminologe, mit Details zur Studie über Flüchtlingskriminalität

tagesschau24 15:30 Uhr

Hinweise auf die Entwicklung der Kriminalität könnte die Zahl der Verurteilten geben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hatte es zwischen 2014 und 2016 nur sehr wenige Flüchtlinge gegeben, die wegen Mord oder Totschlag verurteilt wurden. Das kann verschiedene Gründe haben: Möglicherweise werden Urteile erst längere Zeit nach der Tat rechtskräftig und sind noch nicht statistisch erfasst worden, oder die Ermittlungen haben ergeben, dass ein Tatverdächtiger nicht schuldig ist.

In Zahlen heißt das: 2014 gab es neun Ausländer (inklusive Zuwanderer) zwischen 14 und 18 Jahren, die wegen Mord oder Totschlag verurteilt wurden. 2015 war es einer, 2016 waren es zwei. Zahlen für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor. Das BKA veröffentlicht die Kriminalitätsstatistik für 2017 im Mai.