Interview

Interview mit Fake-News-Verbreiter "Journalisten müssten zuerst verifizieren"

Stand: 23.04.2018 09:41 Uhr

Fake News zu verbreiten sei das einfachste der Welt, sagt Tommaso Debenedetti im Interview mit dem ARD-faktenfinder. Er postet seit Jahren Fake-News bei Twitter: Dabei müssten Journalisten zuerst verifizieren, ob ein Account echt ist.

Fake News zu verbreiten sei das einfachste der Welt, sagt Tommaso Debenedetti im Interview mit dem ARD-faktenfinder. Er postet seit Jahren Fake-News bei Twitter: Dabei müssten Journalisten zuerst verifizieren, ob ein Account echt ist.

ARD-faktenfinder: Herr Debenedetti, ist es wirklich so einfach, Falschmeldungen zu verbreiten?

Tommaso Debenedetti: Leider ist es total einfach. Ich hätte das auch nicht gedacht, aber ich habe schon mit den ersten falschen Twitter-Accounts, die ich angelegt habe - die Accounts von fünf Ministern der ersten Regierung von Mariano Rajoy – dass es unglaublich leicht ist. Vielleicht, weil es diesen Hunger gibt, schnelle Nachrichten zu bekommen, als erster die News zu haben, vielleicht, weil es eine gewisse Arglosigkeit gibt,  die man auch bei manchen wichtigsten Journalisten und Tageszeitungen findet. Fake News zu verbreiten, das habe ich mit meiner täglichen Arbeit als Hoaxer begriffen, ist das einfachste der Welt.

"Der Betrug fliegt wenig später auf"

ARD-faktenfinder: Wie funktioniert das denn genau?

Debenedetti: Man legt einen Twitter-Account an. Dieser Twitter-Account bekommt die Identität einer bekannten Person, einer wichtigen Persönlichkeit – eines Ministers, eines berühmten Schriftstellers oder sogar eines Präsidenten. Es gibt dann sofort unglaublich viele Followers. Klar, der Betrug fliegt wenig später auf, aber zwischen dem Zeitpunkt des Anlegens und dem des Auffliegens, gibt es die Zeit eine Falschmeldung zu verbreiten.

ARD-faktenfinder: Was waren denn ihre größten "Erfolge"?

Debenedetti: Ende Juni 2016 habe ich von dem falschen Account eines amerikanischen Verlegers den Tod von Cormac McCarthy verkündet, eines berühmten Schriftstellers aus den USA. Die Nachricht wurde sogar von USA Today übernommen, einer der größten Zeitungen der Vereinigten Staaten. Sie lief über alle möglichen News-Webseiten und wurde mehr oder weniger von allen amerikanischen Zeitungen gebracht. Das dauerte ungefähr 20 Minuten, aber das war genug Zeit für eine regelrechte Explosion von Falschmeldungen.

Ein anderer Fall: Vor etwa zwei Monaten habe ich den falschen Account des Erzbischofs von Salzburg erstellt. Darüber habe ich die Fake News über das Ableben von Papst Benedikt XVI., des Papstes emeritus, verbreitet. Diese Nachricht wurde allerdings nicht in Österreich und nicht in Deutschland aufgegriffen, obwohl der Erzbischof aus Salzburg war und ich die Nachricht auf Deutsch geschrieben hatte, sondern in Polen über die Webseite eines großen polnischen Fernsehsenders.

In Polen war der arme Benedikt für etwa 20 Minuten für tot erklärt, aber nur in Polen. Dann gab es mein Dementi, denn ich schrieb auf meinem Account, dass sie ein Fake war. Damit kam wieder alles ins Gleis und ging nicht über die Grenzen Polens hinaus. Komischerweise erreichen die Nachrichten manchmal nur ein einziges Land und zwar nicht zwingend das Land, aus dem die Nachricht losgegangen ist.

"Amüsement und Kampfansage"

ARD-faktenfinder: Warum machen Sie das eigentlich?

Debenedetti: Einerseits ist das ein Spiel, ein Amüsement. Eine Art, über Jahre in der Welt der Nachrichten zu bleiben. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine Kampfansage. Die Dinge, die im internationalen Journalismus nicht funktionieren, sollen ans Licht gebracht werden. Es ist auch ein Mittel, um die Presse, die Journalisten auf ihre Verantwortung aufmerksam zu machen und vor den Risiken ihres Berufes zu warnen.

ARD-faktenfinder: Würden Sie sagen, dass die sozialen Medien generell eine unzuverlässige Quelle sind?

Debenedetti: Das Problem ist: Sie werden heute fast wie eine Presseagentur gesehen. Die Journalisten beziehen sich, ich weiß nicht warum, auf Nachrichten, die bei Twitter gepostet werden, als wäre Twitter eine Presseagentur. In Wirklichkeit sind die Social Media die unzuverlässigste, die unsicherste aller Presseagenturen, die es auf der Welt gibt. Wenn eine Nachricht auf Twitter oder Facebook erscheint, dann müssten, so denke ich, Journalisten als erstes verifizieren, ob es ein echter Account ist oder nicht.

"Ein Alarmsignal für den Journalismus"

ARD-faktenfinder: Warum fallen Medien trotzdem immer wieder darauf rein?

Debenedetti: Das Problem heute ist die Eile, diese absolute Eile, mit der die Zeitungen und vor allen Dingen die Webseiten und das Fernsehen, den großen Nachrichten hinterherjagen, die ersten sein wollen, die eine Nachricht melden. Das ist zum Teil auch gut, denn es gehört zur journalistischen Arbeit und es ist für den Journalisten befriedigend, wenn er der Erste ist. Doch diese Schnelligkeit von heute, dieses ständige Aktualisieren, immer noch ein Update, noch eine Breaking News - dadurch entstehen kolossale Fehler. Sogar lächerliche Fehler.

Wie kann man glauben, dass eine Persönlichkeit wie Ashton Carter, seine Ernennung zum amerikanischen Verteidigungsminister übers Internet bekannt gibt, über Twitter? Das ist unmöglich und trotzdem haben viele Menschen das geglaubt. Und dieser falsche Account von mir wurde sogar von Präsident Barack Obama wahrgenommen. Er sagte im Oval Office: "Ashton Carter ist in der Tat zum Verteidigungsminister ernannt worden, aber ich habe das bestimmt nicht über einen falschen Twitter-Account gemeldet." Das zeigt, wie viel Naivität hinter all dem steckt.

Wie kann man glauben, dass die Nachricht von dem Tod eines emeritierten Papstes, bedeutend wie Benedikt XVI., nicht direkt von der vatikanischen Pressestelle kommt, nicht vom Kardinalstaatsekretär, sondern über Twitter? Und dennoch glauben die Leute das immer noch. Das sollte ein Alarmsignal für den Journalismus von heute sein.

ARD-faktenfinder: Wie kann man denn die Flut der Fake News bekämpfen?

Debenedetti: Solange die sozialen Medien so organisiert sind, wie sie organisiert sind, also solange Twitter und Facebook es erlauben, dass jeder mitmachen kann, ohne dass ein Ausweis verlangt wird, solange die Zeitungen und die Journalisten den Nachrichten nachjagen und die ersten sein wollen - solange das passiert, wird es Fake News geben. Da nützen auch keine Task Forces, die Fake News aufdecken oder ein Trump, der jeden Tag dagegen anwettert. Das nützt gar nichts - solange wir keine Regeln haben, die natürlich die Meinungsfreiheit respektieren.

Aber es muss Kontrollen der sozialen Medien geben, darüber, wie Accounts eröffnet werden, wie Nachrichten verbreitet werden. Aber: Auch die Konsumenten haben eine Verantwortung.

Trollfabriken? Geldverschwendung

ARD-faktenfinder: Sie sind ja, wenn Sie erlauben, eher auf einem privaten Level aktiv. Tatsächlich haben wir es heutzutage aber mit regelrechten Troll-Fabriken, zum Beispiel in Russland zu tun, die Falschmeldungen in industriellem Ausmaß produzieren.

Debenedetti: Wenn ich von Trollfabriken höre, frage ich mich: Ist es nötig, eine Trollfabrik aufzubauen, die viel kostet? Wo doch jeder Fake News mithilfe der sozialen Medien, mithilfe des Internets generieren und Gehör finden kann? Vielleicht gibt es diese Trollfabriken ja wirklich, doch für mich sind sie eine große Verschwendung von Zeit und Geld.

Das Interview führte Jan-Christoph Kitzler, ARD-Studio Rom