Internationer Gerichtshof

Eilantrag der Ukraine am IGH Worte statt Waffen

Stand: 07.03.2022 07:29 Uhr

Die Ukraine verteidigt sich auch vor den internationalen Gerichten gegen Russland. Über einen Eilantrag aus Kiew verhandelt nun der Internationale Gerichtshof.

Die internationale Gerichtsbarkeit bleibt gefragt. Obwohl sie sich immer wieder als "zahnloser Tiger" verspotten lassen muss - die Ukraine und ihre Partner begegnen dem militärischen Angriff Russlands auch mit juristischen Mitteln.

So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland auf Antrag von Kiew in einer dringlichen Eilentscheidung aufgefordert, militärische Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung zu unterlassen. Mehrere Staaten - darunter Deutschland - haben den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs offiziell mit Ermittlungen betraut.

Zwei internationale Gerichtshöfe in Den Haag

Auch der Internationale Gerichtshof (IGH) der Vereinten Nationen hat kurzfristig eine mündliche Verhandlung über einen Eilantrag der Ukraine anberaumt. Sie soll heute und am Dienstag in Den Haag stattfinden.

Der Internationale Gerichtshof ist - anders als der Internationale Strafgerichtshof - ein Organ der Vereinten Nationen. Er wurde 1945 durch die Charta der Vereinten Nationen eingerichtet. Dort werden nicht Einzelpersonen strafrechtlich verfolgt - wie vor dem Internationalen Strafgerichtshof -, sondern Staaten verklagen Staaten.

Beide Gerichtshöfe haben ihren Sitz in Den Haag. Und bei beiden Gerichtshöfen ist es nicht ganz einfach, eine Zuständigkeit für die Geschehnisse im Ukraine-Krieg zu begründen. Russland erkennt die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs nicht generell an. Das heißt, es hat keine allgemeine Unterwerfungserklärung nach Artikel 36 Nr. 2 des IGH-Statuts abgegeben.

Weg über die Völkermord-Konvention

Es gibt aber noch weitere Möglichkeiten, um eine Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs zu begründen. So kann ein Land die Verletzung eines internationalen Vertrags durch ein anderes Land rügen, wenn sich beide Staaten dem Vertrag verpflichtet haben und darin für Streitigkeiten auf den Internationalen Gerichtshof verwiesen wird.

Genau diesen Weg hat die Ukraine gewählt. Der relevante völkerrechtliche Vertrag ist in dem Fall die Völkermord-Konvention, die sowohl Russland als auch die Ukraine ratifiziert haben. Artikel IX bestimmt, dass der Internationale Gerichtshof für Streitigkeiten über die Auslegung, Anwendung oder Durchführung der Konvention zuständig ist – einschließlich der Verantwortlichkeit eines Staates für Völkermord.

Gericht soll russische Rechtfertigung überprüfen

In dem Verfahren trägt die Ukraine nun vor: Russland rechtfertige seinen Angriff damit, dass es behaupte, in der Ostukraine begehe die Ukraine einen Völkermord. Und - so Moskaus Lesart - vor diesem Völkermord beschütze Russland die dortige Bevölkerung mit seinem Angriff. Russland beziehe sich damit auf Artikel I der Völkermord-Konvention: "Die Vertragsparteien bestätigen, dass Völkermord, ob im Frieden oder im Krieg begangen, ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist, zu dessen Verhütung und Bestrafung sie sich verpflichten."

Die Ukraine beantragt deshalb, dass der Internationale Gerichtshof unter anderem feststellt, dass in der Ostukraine kein Völkermord begangen wird - anders als es Russland darstellt. Und dass Russland weder seinen Angriff auf die Ukraine noch die Anerkennung der Separatistengebiete damit rechtfertigen kann, es "verhüte und bestrafe" einen Völkermord.

Urteile bindend - aber durchsetzbar?

Die Ukraine hat zeitgleich einen Eilantrag gestellt mit dem Ziel, dass der Internationale Gerichtshof vorläufige Maßnahmen trifft. Und dafür unter anderem anordnet, dass Russland sofort alle seine militärischen Operationen in der Ukraine einstellt. Über diesen Eilantrag soll nun als erstes entschieden werden. Egal wie die Entscheidung ausgeht, sie wird keine russischen Panzer stoppen.

Die Urteile sind zwar bindend, doch viele Möglichkeiten, die Entscheidung durchzusetzen, hat der Gerichtshof nicht. Kommt eine Streitpartei ihren Verpflichtungen aus einem Urteil des Gerichtshofs nicht nach, kann die andere Partei zwar den UN-Sicherheitsrat einschalten. Der wiederum kann Empfehlungen abgeben oder Maßnahmen beschließen, um dem Urteil Wirksamkeit zu verschaffen. Doch im UN-Sicherheitsrat hat Russland ein Veto-Recht.

Ludger Kazmierczak, Ludger Kazmierczak, ARD Den Haag, 07.03.2022 13:30 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 07. März 2022 um 06:49 Uhr.