Übergangsregierung unter Druck Hunderte Tunesier trotzen der Ausgangssperre

Stand: 24.01.2011 03:40 Uhr

Hunderte auf den Straßen, ein Zeltlager vor dem Sitz des Ministerpräsidenten - und das Ganze trotz einer nächtlichen Ausgangssperre. Die Menschen in Tunesien lassen sich nicht mehr einschüchtern. Unterdessen geht die Polizei gegen Verbündete des gestürzten Präsidenten Ben Ali vor.

In der tunesischen Hauptstadt Tunis haben die Nacht hindurch Hunderte der nächtlichen Ausgangssperre getrotzt und den Rücktritt der Übergangsregierung gefordert.

Vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi bauten sie Zelte auf und rollten Schlafsäcke aus. Obwohl sowohl ein Ausnahmezustand als auch eine nächtliche Ausgangssperre galten, griff die Polizei nicht ein - im Gegensatz zu dem gewaltsamen Vorgehen in den letzten Herrschaftstagen des gestürzten Präsidenten Zine al Abidine Ben Ali.

Viele der Demonstranten waren mit einem Protestmarsch unter dem Titel "Karawane der Freiheit" aus den armen Regionen Zentraltunesiens gekommen, wo die Proteste gegen Ben Ali begonnen hatten. Sie wollten nach eigenen Angaben, dass die so genannte Jasmin-Revolution weitergeht und verlangten den Rücktritt der Übergangsregierung.

Polizei geht gegen Gefolgsleute Ben Alis vor

Unterdessen geht die Polizei gegen Verbündete des gestürzten Präsidenten Ben Ali vor. Einem Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur TAP zufolge wurde der frühere Senatspräsident Abdallah Kallel ebenso unter Hausarrest gesetzt wie Ben Alis Berater Abdelaziz Ben Dhia. Nach einem dritten Gefolgsmann werde noch gesucht. Außerdem wurde berichtet, dass der Eigentümer eines der größten Privatsender festgenommen wurde. Larbi Nasra werde "Landesverrat und Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates" vorgeworfen. Nasra gehört der einflussreiche Fernsehsender Hannibal. Er soll versucht haben, die Stimmung in einer Weise zu beeinflussen, die eine Rückkehr Ben Alis ermöglichen könnte. Mit der Festnahme wurde der Fernsehsender abgeschaltet.

Unabhängige Kommission untersucht Übergriffe

Eine unabhängige Untersuchungskommission wurde am Wochenende damit beauftragt, die Rolle der Sicherheitskräfte bei den gewaltsamen Übergriffen auf Demonstranten zu untersuchen, bei denen zahlreiche Menschen getötet wurden.

"Wir werden der Frage nachgehen, wer die Erlaubnis für den Einsatz der Schusswaffen gab", sagte der Chef der Untersuchungskommission, Taoufik Bouderbala. In einzelnen Fällen sei offenbar gezielt auf Köpfe und Oberkörper der Menschen geschossen worden. Es gehe jetzt darum zu prüfen, warum mit Waffen gegen Menschen vorgegangen worden sei, die unbewaffnet Brot und Freiheit gefordert hätten.

Nach Angaben der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, wurden bei dem Aufstand 117 Menschen getötet, 70 durch Schüsse mit scharfer Munition. Tunesiens Innenminister Ahmed Friaa gab die Zahl der Toten mit 78 an.

Medienzensur abgeschafft

Die Behörden in Tunesien gaben zudem bekannt, dass künftig auf eine Zensur importierter Bücher, Filme und anderer Publikationen verzichtet werde. Für die Einfuhr von Büchern, Zeitschriften, Filmen, CD-Roms und anderer elektronischer Medien sei keine vorherige Erlaubnis mehr nötig, teilte die Zollbehörde nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur TAP mit.

Nach dem Sturz von Ben Ali vor gut einer Woche hatte die daraufhin gebildete Übergangsregierung den Tunesiern vollständige Informationsfreiheit zugesagt. Das Kommunikationsministerium, das unter Ben Ali für Medienzensur und Propaganda zuständig war, wurde abgeschafft.