Putin und Erdogan

Türkei und Russland Zwei Rivalen auf Tuchfühlung

Stand: 01.08.2020 02:10 Uhr

Die Türkei hält mit Aserbaidschan Militärübungen ab. Das erhöht die Spannungen mit dem Nachbarn Armenien und dessen Schutzmacht Russland - ein weiterer Konflikt zwischen Moskau und Ankara.

Von der Welt fast vergessen, fernab der Zentren Europas und Asiens befindet sich Nachitschewan. Die Exklave gehört zu Aserbaidschan und liegt isoliert zwischen Armenien und dem Iran. Nur selten finden Besucher ihren Weg in die Region, die überwiegend karg und die doppelt so groß wie das Saarland ist.

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Entsprechend zurückhaltend sind die 400.000 Einwohner, zumal sie mit diktatorischer Strenge regiert werden. Neugierige Fragen treffen zumeist auf Argwohn. Schließlich sei Nachitschewan eine geopolitisch hochwichtige Region, bekommt man zur Antwort. In der Tat war Nachitschewan zu Sowjetzeiten schwer bewachtes Grenzgebiet.

Nachitschewan

Die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan liegt isoliert zwischen Armenien und dem Iran. (Foto: S. Stöber)

Manöver inmitten massiver Spannungen

Auch heute ist die Exklave von militärstrategischer Bedeutung. Denn Nachitschewan verbindet eine 17 Kilometer lange Grenze mit der Türkei, dem Bruderland und strategischem Partner Aserbaidschans. Noch bis zum 10. August halten Streitkräfte beider Länder gemeinsam Militärübungen ab. Einer der Schauplätze ist Nachitschewan. Am Dienstag landeten dort Flugzeuge der türkischen Luftwaffe.

Die Übungen finden im Rahmen militärischer Vereinbarungen statt, die seit langem bestehen und immer wieder erweitert wurden. Doch in diesen Wochen sind sie von besonderer Brisanz. Denn Mitte Juli brachen zwischen Aserbaidschan und Armenien Kämpfe aus, bei denen beide Seiten schwere Geschütze und Drohnen einsetzten. Es waren die heftigsten Auseinandersetzungen seit 2016 zwischen beiden Staaten. Im Zentrum steht der Konflikt um die Region Berg-Karabach, der zu Beginn der 1990er-Jahre von einem Krieg in einen nur brüchigen Waffenstillstand überging. Doch nun weitete sich der Konflikt über Berg-Karabach hinaus.

Zwar lieferten sich die Gegner in den vergangenen Tagen keine Gefechte mit Artillerie mehr. Aber es wird weiter geschossen - beide Regierungen melden fast täglich, die andere Seite habe den Waffenstillstand gebrochen und sie präsentieren abgeschossene Drohnen. Auch im Grenzgebiet des weit entfernt liegenden Nachitschewan kommt es immer häufiger zu Zwischenfällen.

Tausende russische Soldaten in Armenien

Außerdem demonstrieren auch die armenischen Streitkräfte Einsatzbereitschaft. Gerade besichtigte Verteidigungsminister Davit Tonoyan einen neu errichteten Militärstützpunkt an der südwestlichen Grenze Armeniens.

Bereits am 23. Juli begannen die armenischen Streitkräfte - ebenfalls geplante - Militärübungen, und zwar mit Russland. Es ist Schutzmacht Armeniens und hat Tausende Soldaten in einer Militärbasis an der Grenze zur Türkei stationiert. Geübt wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Jerewan Luftverteidigung - die Bekämpfung feindlicher Drohnen und der Einsatz eigener Drohnen zur Aufklärung.

Zudem gab es kürzlich Berichte darüber, dass russische Kampfhubschrauber an der armenisch-türkischen Grenze gesichtet wurden.

Interessenkonflikt zwischen der Türkei und Russland

Deutlich wird somit die Rivalität der Türkei und Russlands. Letzterer beansprucht die Region südlich seiner Grenzen als vorgelagerte Sicherheitszone und bemüht sich um eine Balance zwischen den Konfliktparteien, um Einfluss auf beide zu wahren: Russland ist nicht nur Schutzmacht Armeniens. Es verkauft auch Waffen an Aserbaidschan. Nach Ausbruch der Kämpfe Mitte Juli forderte die russische Regierung zur Mäßigung auf.

Eine weitere Eskalation kann nicht im Interesse Moskaus sein: Dann müsste es sich auf allein Seiten Armeniens positionieren, während die Türkei und weitere Mächte stärker in den Konflikt in seinem Einflussgebiet hineingezogen würden.

Die türkische Führung hingegen trat in den vergangenen Wochen aggressiv auf: Präsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte Armenien und sagte Aserbaidschan Unterstützung zu. Der Chef der türkischen Verteidigungsindustrie bot Hilfe beim Ausbau der aserbaidschanischen Streitkräfte an.

Die Regierung in Ankara will in diesem Konflikt zumindest verbal beweisen, dass es das Motto "Ein Volk, zwei Länder" ernst meint und damit nicht nur Aserbaidschan, sondern auch anderen turksprachigen Ländern in der Region seine Verbundenheit zeigen und seine Führungsrolle belegen. Dieses Vorgehen reiht sich ein in eine insgesamt rücksichtsloser gewordene Außenpolitik der Regierung in Ankara.

Auch mit Russland gibt es Konflikte - in Syrien und Libyen zum Beispiel befinden sich beide bereits auf gegnerischen Seiten. Vor allem in Syrien gelang es nur mit Mühe, größere Eskalationen zu verhindern. Über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan sprachen Erdogan und Putin nun ebenfalls und erklärten, sie seien an einer friedlichen Beilegung interessiert.

Doch muss es dazu gelingen, die enorm aufgeheizte Stimmung unter Armeniern und Aserbaidschanern zu beruhigen und eine schleichende Eskalation auch im strategisch wichtigen Nachitschewan zu verhindern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk in "Europa heute" am 31. Juli 2020 um 09:10 Uhr.