Türkisches Militär in der Nähe der syrischen Stadt Afrin (Archivbild Ende Januar 2018)
FAQ

Kampf gegen die Kurden Was hat Erdogan in Syrien vor?

Stand: 10.01.2019 21:03 Uhr

US-Präsident Trump will die in Syrien stationierten US-Soldaten abziehen. Der türkische Staatschef Erdogan sieht dadurch den Weg frei, gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG vorzugehen.

Warum beharrt die türkische Führung auf einen Feldzug gegen die YPG?

Aus Sicht der türkischen Führung ist die YPG ein Ableger der türkischen PKK und damit eine Terrororganisation. Aus Sicht Washingtons ist die YPG ein zuverlässiger Partner im Kampf gegen die IS-Terrormiliz. Ankara gibt an, die YPG bedrohe die nationale Sicherheit der Türkei. Deshalb hat die Türkei auch unter Beteiligung islamistischer Hilfstruppen vor einem Jahr den kurdischen Kanton Afrin im Nordwesten Syriens besetzt.

Laut wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestags fehlen aber die Beweise für das behauptete Selbstverteidigungsrecht. Die Türkei agiert demnach in Syrien völkerrechtswidrig als Besatzungsmacht.

Worin besteht für Ankara die Gefährlichkeit der YPG?

Zu Beginn des Afrin-Feldzugs vor einem Jahr erklärte ein Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die YPG habe die Türkei binnen Jahresfrist 700 Mal mit Raketen beschossen. Von einem derart intensiven Beschuss hatten vorher nicht einmal die Erdogan-nahen Medien berichtet. Die Zahl war offensichtlich eine Luftnummer, um den Angriff auf Afrin zu rechtfertigen.

SDF-Kämpfer in Nordsyrien (Archivbild)

SDF-Kämpfer gehen in Nordsyrien zusammen mit US-Einheiten gegen den IS vor.

Die wirkliche Bedrohung ist weniger militärisch, sondern ideologisch. Die linksorientierte YPG und die islamisch-konservative AKP stehen sich politisch und weltanschaulich diametral entgegen. Die YPG mit ihrem politischen Arm PYD strebt nach kultureller Selbstbestimmung und mehr politischer Autonomie in Syrien.

Hätten die syrischen Kurden damit Erfolg, könnte das auf die große kurdische Minderheit in der Türkei ermutigend wirken. Ankara will das mit allen Mitteln verhin­dern.

Wie hält es Präsident Erdogan mit islamistischen Gruppen in Syrien?

Die Türkei hat in den vergangenen Jahren islamistische und dschihadistische Gruppen in Syrien unterstützt. Unter türkischer Schirmherrschaft ist die Provinz Idlib im Nordwesten des Landes zu einem Sammelbecken islamistischer und dschihadistischer Extremisten geworden.

Unter türkischer Vermittlung schloss sich gut ein Dutzend Gruppierungen zur sogenannten Nationalen Befreiungsfront NFL zusammen. Darunter sind unter anderem die beiden Al-Kaida-Ableger Ahrar ash-Sham und die Nour ud-Din Zinki-Brigade. Auch einige Tausend Dschihadisten aus dem Kaukasus, aus der westchinesischen Provinz Xinjiang und aus Usbekistan sollen dabei sein.

Wie steht die Türkei zur Terrormiliz "Islamischer Staat"?

Im Sommer 2014 war die IS-Terrormiliz kurz davor, die syrisch-kurdische Stadt Kobane einzunehmen. Kobane liegt direkt an der türkischen Grenze. Die Türkei, so konnte der Verfasser dieses Textes mit eigenen Augen sehen, hatte Panzer und schwere Artillerie aufgeboten. Sie hätte die IS-Kämpfer beschießen und Kobane helfen können.

Sie tat es nicht. Stattdessen wurden Medienberichten zufolge Waffen über die syrische Grenze ins Einflussgebiet des IS verschoben. Verwundete IS-Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt und Rekruten für den IS in Syrien und dem Irak wurden an der türkischen Grenze durchgelassen.

Es gibt viele glaubwürdige Berichte türkischer und internationaler Medien sowie Aussagen von Augenzeugen und türkischen (Oppositions-)Politikern, die deutlich machen, dass die türkische Führung der IS-Terrormiliz eher wohlwollend begegnete. Ankara wollte den Sturz von Syriens Präsident Assad. Jedes Mittel schien recht. Nachdem sich die kurdischen Verteidiger Kobanes dank amerikanischer Luftunterstützung gegen den IS behaupten konnten, hat dieses Wohlwollen sichtlich zugenommen.

Könnte die Türkei den IS in Syrien endgültig besiegen, wie Erdogan beteuert?

Das ist sehr unwahrscheinlich. Die letzten IS-Widerstandsnester sind weit von der türkischen Grenze entfernt. Türkische Einheiten müssten tief nach Syrien vordringen. Dafür fehlen grünes Licht aus Damaskus und die militärischen Kapazitäten.

Ankaras Hauptinteresse an Syrien besteht darin, die YPG zu eliminieren. Vielleicht würde die Türkei auch irgendwann den IS massiv bekämpfen, wenn die YPG ausgeschaltet wäre. Um diese auszuschalten, will Ankara Dschihadisten und Islamisten benutzen. Das war in Afrin so, und es würde sich in ganz Nordsyrien wiederholen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Januar 2019 um 19:15 Uhr in der Sendung "Zur Diskussion".