FAQ

Sicherungsverwahrung Worüber verhandelte der EGMR?

Stand: 04.12.2018 16:50 Uhr

Die deutsche Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung beschäftigte schon oft die Gerichte. In einem Fall aus Bayern hat der EGMR jetzt eine endgültige Entscheidung gefällt.

Von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Um welchen Fall geht es?

Es geht um einen Mann, der 1999 wegen Mordes an einer Joggerin verurteilt wurde. Der Täter hatte die Frau stranguliert und sich anschließend sexuell an ihr vergangen. Zum Zeitpunkt der Tat war er 19 Jahre alt und wurde als "Heranwachsender" nach Jugendstrafrecht verurteilt. Zehn Jahre Gefängnis lautete das Urteil.

2009, kurz vor seiner Entlassung, verhängte das Landgericht Regensburg die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Die Richter hielten den Mann wegen seiner anhaltenden sadistischen Sex-Fantasien für gefährlich. Es war die erste nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung bei einem Straftäter, der nach Jugendstrafrecht verurteilt worden war. Gegen die Sicherungsverwahrung klagt der Mann seit Jahren. Heute nun hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte seine Beschwerde endgültig abgewiesen.

Was ist die Sicherungsverwahrung?

Die Sicherungsverwahrung ist das schärfste Schwert, das es im deutschen Strafrecht gibt. Aber: Es soll gerade keine Strafe für die begangene Tat sein. Die Schuld ist also verbüßt und trotzdem bleibt der Täter hinter Gittern. Die Allgemeinheit soll in Extremfällen vor bestimmten Tätern geschützt werden. Und zwar immer dann, wenn von ihnen eine besonders hohe Gefahr ausgeht, dass sie schwere Straftaten erneut begehen könnten. Es handelt sich also um eine präventive Maßregel.

Wo liegt das Problem bei der Sicherungsverwahrung?

Grundsätzlich hat jeder Mensch das Recht auf Freiheit. Das ergibt sich sowohl aus dem Grundgesetz als auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Für die Haftstrafe darf dieses Freiheitsrecht eingeschränkt werden. Haben die Täter die verhängte Strafe aber im Gefängnis abgesessen, dürfen sie nicht weiter bestraft werden. Es geht dann nicht mehr um den Ausgleich für Schuld. Die Sicherungsverwahrung darf deshalb nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verhängt werden.

2009 erklärte der europäische Menschenrechtsgerichtshof die Regeln zur nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland für rechtswidrig. Es ging also vor allem um die Fälle, bei welchen die Sicherungsverwahrung nicht bereits im Urteil angeordnet wurde, sondern erst kurz vor der Entlassung des Täters. Die Richter in Straßburg bemängelten aber auch allgemein, dass die Sicherungsverwahrung sich in Deutschland überhaupt nicht von der "normalen" Strafhaft im Gefängnis unterschied und damit wie eine zweite Strafe wirke. Auch das Bundesverfassungsgericht erklärte 2011 die deutsche Regelung insgesamt für verfassungswidrig. Viele Sicherungsverwahrte kamen frei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Schon 2009 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil zur nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland.

Was passierte mit den besonders gefährlichen Altfällen?

2013 trat ein neues Gesetz zur Sicherungsverwahrung in Kraft. Für alle Taten, die vorher begangen wurden, galten und gelten die strengen Übergangsregeln, die das Bundesverfassungsgericht 2011 aufstellte. "Drinbleiben" mussten nur Menschen, von denen eine hochgradige Gefahr für schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht. Diese Gefahr muss sich aus konkreten Umständen ergeben.

Jedes Jahr muss überprüft werden, ob der Sicherungsverwahrte tatsächlich noch gefährlich ist. Und vor allem: Die Unterbringung muss sich deutlich von der Strafhaft unterscheiden. Dazu zählen auch bessere Therapieangebote.

Auch die Neuregelung von 2013 gestattet unter besonders strengen Voraussetzungen die nachträgliche Sicherungsverwahrung.

Wie hat der Menschenrechtsgerichtshof jetzt entschieden?

Die Neuregelung in Deutschland hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon 2016 grundsätzlich gebilligt. Heute nun bestätigte sich diese Linie des Gerichts. Und auch an dem konkreten Umgang mit dem 1999 verurteilten Sexualmörder, der die Joggerin getötet hatte, haben die Richterinnen und Richter in Straßburg nichts auszusetzen.

2012 hatte das Landgericht Regensburg erneut die Sicherungsverwahrung gegen den Mann verhängt. Diesmal unter Anwendung der strengeren Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hatte.

Darin liege kein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention, so hatte es im Februar 2017 bereits die Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs geurteilt. Heute nun bestätigte dies auch die Große Kammer, eine Art Berufungsinstanz. Weder das Freiheitsrecht, noch der Grundsatz, dass ohne ein entsprechendes Gesetz keine Strafe verhängt werden darf, seien verletzt. Die Sicherungsverwahrung unterscheide inzwischen ausreichend von der Strafhaft.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Dezember 2018 um 17:00 Uhr.