Siemens-Manager mit Briefkastenfirmen Señor K. und die zwei Millionen

Stand: 13.04.2016 12:09 Uhr

Siemens parkte jahrelang Schwarzgeld in Übersee. "Die PanamaPapers" zeigen: Als dies aufflog, griffen einige Manager offenbar in die Kasse, statt das Geld zurückzugeben. "Mossack Fonseca" half dabei über ein Netz von Briefkastenfirmen.

Von Jan Lukas Strozyk, NDR

Der deutsche Siemens-Manager in Mexiko hatte viele Namen. Mal unterschrieb er mit seinen Initialen "HJK", mal nutzte er den Namen seiner Mutter, "Bruni", oft hieß er in den "Mossack Fonseca"-Unterlagen einfach nur "Señor K". Sicher ist, dass Hans-Joachim K., bis 2009 Mexiko-Chef für den deutschen Industrieriesen, sehr darauf bedacht war, dass sein Name möglichst nirgendwo auftauchte. Man kann das verstehen. Schließlich waren die Geschäfte zwischen K. und "Mossack Fonseca" brisant. Die panamaische Anwaltskanzlei half K. dabei, über ein Netz von Konten und Briefkastenfirmen viele Millionen Euro Schwarzgeld für den Siemens-Konzern zu verwalten.

Wie schwarze Kassen aufgelöst wurden

Die Tatsache, dass Siemens schwarze Kassen auch in Panama hatte, überrascht heute kaum noch. Anfang 2007 flog bei Siemens einer der größten Korruptionsskandale der Geschichte auf. Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer erklärte seinen Rücktritt, der neue Konzernchef Peter Löscher musste verkünden, dass bei internen Untersuchungen zweifelhafte Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro entdeckt worden seien.

Mit Hilfe der "PanamaPaper"-Unterlagen lässt sich erstmals im Detail nachzeichnen, wie ein Teil dieser Schwarzgeldkassen verwaltet und letztlich aufgelöst wurde. Und die Unterlagen legen den Verdacht nahe, dass Manager, darunter K., dabei die Staatsanwälte und den eigenen Konzern massiv getäuscht haben.

Eine der Briefkastenfirmen, die dabei eine besondere Rolle spielte, hieß "Gillard Management". Sie war K.s Firma. Zwar hatte er im März 2007 den pensionierten Siemens-Mitarbeiter Lutz L. vorgeschickt, sie bei "Mossack Fonseca" zu gründen. Aber die Unterlagen lassen keinen Zweifel daran, dass K. die Kommandos gab. Die "Gillard Management" sollte von einer anderen Firma im Siemens-Netz mit Geld ausgestattet werden. "Es sind ungefähr zwei Millionen, die möglicherweise aus Luxemburg, Deutschland oder der Schweiz herkommen", schrieb eine Mitarbeiterin von "Mossack Fonseca" in einer internen Mail. "Der Kunde will keine Informationen erhalten, es muss alles hier in der Firma bleiben."

Falsche Legende für Siemens-Manager

Einige Wochen später hatte "Mossack Fonseca" der "Gillard Management" ein Konto bei "Berenberg"-Bank eingerichtet - mit einer falschen Legende: Obwohl klar war, dass das Geld von einer anderen Firma kam, schrieb man der Bank, das Konto sei für die "lebenslangen Ersparnisse aus seinem Berufsleben und einer Erbschaft seiner Eltern". Die Berenberg führte das Konto in ihrer Filiale in Zürich, in der Schweiz können wissentlich falsche Angaben bei einer Kontoeröffnung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Noch zwei weitere Konten eröffnete "Mossack Fonseca" im Namen der Firma.

Statt der ursprünglich angekündigten zwei Millionen wurden es - das belegen Kontounterlagen - am Ende mehr als sechs Millionen US-Dollar aus unterschiedlichen Überweisungen, die auf den verschiedenen Konten der "Gillard Management" geparkt wurden. Alles in allem, so legen es die Papiere nahe, verfügten K. und seine Siemens-Kollegen damals über rund 40 Millionen US-Dollar abseits der regulären Buchführung.

Das Geld floss dabei in der Regel nicht direkt. "Mossack Fonseca" nutzte eine Art hausinterne Geldwaschmaschine - eine eigens eingerichtete Abteilung, deren Zweck darin besteht, Überweisungen zu verschleiern. Sie sammelt das Geld auf eigenen Bankkonten und schickt es in neuer Stückelung weiter. So kennt die Empfängerbank den Absender nicht und umgekehrt. "Mossack Fonseca" behält dafür einen Teil des Geldes ein. Nicht nur die Siemens-Manager nutzten diesen Service, in den Unterlagen finden sich Dutzende solcher Verträge.

Die Konten müssen weg

Eigentlich hätte die Geschichte der "Gillard Management" damit enden können. Die Gelder wären, wie schon in den Jahren zuvor, in die Taschen von "Beratern" oder anderen Geschäftspartnern geflossen, und die Firma wäre irgendwann geschlossen, entsorgt und von einer neuen Briefkastenfirma ersetzt worden.

Dass es anders kam, lag unter anderem an der Staatsanwaltschaft München. Die war den Schmiergeld-Netzen von Siemens schon lange auf der Spur. Es gab erste Festnahmen, bis hoch in den Vorstand. Im Sommer 2008 merkte wohl auch K., dass sich die Schlinge zuzog. Er stellte sich am 10. Juni 2008 bei den Behörden in München.

Die "PanamaPapers" dokumentieren das Chaos, dass danach bei "Mossack Fonseca" ausbrach. Die "Gillard Management" wurde ja gerade erst eingerichtet - nun, da K. sich gestellt hatte, musste sie natürlich verschwinden. "Wir verlieren die Gelder und die Firma", schrieb ein Mitarbeiter an Kollegen. "Anscheinend ist Siemens mit der Staatsanwaltschaft zu einer inoffiziellen Übereinkunft gekommen", schreibt er in einer anderen Mail. Diese Übereinkunft beinhaltete offenbar eine Art Amnestie für die Schwarzgeldkonten bei "Mossack Fonseca". Die deutschen Behörden erlaubten, die schwarzen Kassen dicht zu machen und Gelder wieder in die Konzernbilanzen zu überführen, ohne dass sie eingefroren wurden, wie es bei anderen Siemens-Konten zu jener Zeit passierte.

Scheinverträge mit Siemens

In den "PanamaPapers" findet sich der Vermerk eines "Mossack-Fonseca"-Mitarbeiters zu einem Mittagessen mit Manager K. und dem Pensionär L., bei dem demnach die Rückführung besprochen wurde. Beide bestreiten auf Anfrage, dass es dieses Treffen gab. Der Mitarbeiter schrieb danach an seine Kollegen: "Es sind insgesamt 32,4 Millionen US-Dollar, die zurück müssen. (…) Es müssen kleine Summen sein, damit die Banken keine Probleme machen."

Der Plan: Erfundene Verträge sollten belegen, dass "Gillard Management" und die anderen Briefkastenfirmen der deutschen Siemens-Zentrale Geld schuldeten. In den Verträgen hieß es jeweils, dass diese Briefkastenfirmen und die Siemens AG gemeinsam "verschiedene Geschäfte" gemacht hätten, "mit Bezug auf Lateinamerika". Daraus resultiere eine Restschuld. Rund ein Dutzend solcher Scheinverträge entwarf "Mossack Fonseca" daraufhin: Mal waren es 2,7 Millionen US-Dollar, mal eine Million. Mal sollte die "Gillard Management" das Geld geschuldet haben, mal eine der anderen Briefkastenfirmen.

Mit Hilfe dieser Verträge begannen die "Mossack Fonseca"-Mitarbeiter, die Konten zu leeren - erneut über den hauseigenen Verschleierungs-Service. Dafür kassierte "Mossack Fonseca" 1,8 Prozent der transferierten Summe, insgesamt also rund 600.000 US-Dollar. Moralische Bedenken schien niemand zu haben. Man sorgte sich allenfalls, dass die Siemens-Männer zu günstig wegkommen: "Ich denke, es ist ziemlich billig, wenn man bedenkt, was für ein Risiko wir eingehen. Es ist ein sensibles Geschäft und der Name "Mossack Fonseca" wird Teil der delikaten Transaktionen", schrieb ein leitender Mitarbeiter an sein Team. Der Trick funktionierte: Die beteiligten Banken schlugen nicht Alarm. Am 24. September 2008 ging auch die erste große Überweisung von einem der "Gillard"-Konten ab. 4,1 Millionen US-Dollar zunächst an "Mossack Fonsecas" Verschleierungskonto und dann an die Siemens AG.

Die fehlenden zwei Millionen

Nachdem K. sich gestellt hatte, wurde er offenbar vergesslich. Protokolle seiner Aussagen bei den deutschen Behörden zeigen, dass ihm bei seinen Befragungen - zum Teil nur Tage nachdem er mit seinem Kontakt bei "Mossack Fonseca" gesprochen hatte - viele Namen und Fakten entfallen zu sein schienen. Zum Beispiel der Name "Gillard Management", von dem die Ermittler bis heute nichts erfahren haben. Auch auf Anfrage von NDR und SZ sagt K., er habe von dieser Firma noch nie gehört. Allerdings findet sich in den Akten der Münchner Staatsanwaltschaft ein Hinweis auf jenes Konto, von dem die 4,1 Millionen abgingen. Demnach sollen darauf am 30. Juni 2008 darauf genau 4.189.696,17 US-Dollar Guthaben verfügbar gewesen sein sollen - das passte gut zu der Überweisung. Die Information stammte offenbar aus einem Papier, das K. mitgebracht hatte. In Wahrheit jedoch, das beweisen die "PanamaPapers", waren fast zwei Millionen US-Dollar mehr auf dem Konto. Ein Bankauszug von Anfang September belegt, dass es fast 6,1 Millionen US-Dollar aufwies.

Warum wissen die deutschen Ermittler von den zwei Millionen US-Dollar Unterschied nichts? Es sollte ein paar Jahre dauern, bis bei "Mossack Fonseca" die E-Mail eintraf, die diese Frage möglicherweise beantwortet. Die E-Mail ist datiert auf den 21. September 2012. Die Rückführung der Gelder war längst abgeschlossen, das bestätigt Siemens auf Anfrage von NDR und SZ. Sie wurde abgeschickt unter dem Pseudonym "Azkaban". Das ist der Name eines geheimnisvollen Gefängnisses in der Welt von "Harry Potter". Mutmaßlich ein weiterer Name von K.

Die Anweisungen von "Azkaban" waren knapp und präzise: "Elektronische Überweisung in US-Dollar", dazu die Kontonummer 0206-863762.80k - ein Nummernkonto der UBS Zürich. Dazu als Kontakt ein UBS-Banker, der laut Ermittlungsakten in der Vergangenheit schon mit K. und den Siemens-Geldern zu tun hatte. Die zwei Millionen US-Dollar der "Gillard Management" sollten auf dieses Konto wandern.

Mysteriöses Konto bei der UBS

Eine Quelle aus dem Umfeld der UBS, die vorgibt, mit dem Vorgang vertraut gewesen zu sein, sagt, dass das Nummernkonto dem Ex-Siemens-Mann K. gehöre. Nachprüfen lässt sich das nicht, aber die Quelle kann die Details der Überweisung nennen, den genauen Betrag und das Absenderkonto zum Beispiel. Die UBS erklärte auf Anfrage, sie mache zu möglichen Kundenbeziehungen keine Angaben.

Auf Anfrage erklärte K. zunächst, dass sein E-Mail-Konto gehackt worden sei. Die Hacker hätten dann versucht, Geldgeschäfte in seinem Namen durchzuführen. Reporter von NDR, WDR und SZ überprüften diese Aussage: Tatsächlich gibt es ein entsprechendes Aktenzeichen bei der Münchner Polizei. Die Anzeige allerdings ist erst Jahre nach der Zwei-Millionen-Überweisung gestellt worden und betrifft offenbar ein anderes E-Mail-Konto. Einige E-Mails und Telefonate später sprachen die Reporter K. unmittelbar auf das Nummernkonto bei der UBS und das mutmaßlich veruntreutet Siemens-Geld an, woraufhin K. den Kontakt abbrach.

Endsaldo zu Gunsten eines Freundes

Auch Lutz L., der Pensionär auf dessen Namen die "Gillard Management" lief, bekam noch einmal Geld: Kurz vor der Auflösung der Firma im Frühjahr 2013 gingen 20.000 US-Dollar auf L.s Konto. Er bestritt am Telefon, nach seinem Ausscheiden bei Siemens je wieder mit der Firma oder einem der ehemaligen Kollegen Kontakt gehabt zu haben. Er blieb auch bei dieser Darstellung, nachdem Reporter von NDR und SZ ihn mit einer Kopie seines Reisepasses aus den "PanamaPapers" und einer Reihe von Dokumenten, die seine Unterschrift tragen, konfrontiert hatten.

Den Endsaldo, der nach L.s Bezahlung noch verblieb, sollte die Bank "zu Gunsten eines Freundes" auszahlen, wie "Mossack Fonseca" mitteilte. Der Freund war wiederum der Manager K. Am 7. März 2013 gingen 47.971,51 US-Dollar auf dessen privaten Konto bei der "Société Générale" ein. Betreff: "Transfer von Gillard Management". Der Betrag entsprach ungefähr der Strafzahlung, die K. für seine Verwicklung in die Schmiergeldaffäre in Deutschland zahlen musste.

Wollte Siemens nicht aufklären?

Hätte "Mossack Fonseca" nicht genauer hinschauen müssen, bei der Abwicklung von Dutzenden Millionen? Es gibt Vorschriften, die viele der Vorgänge verboten hätten. Daran gehalten hat sich die Abteilung nicht. Der zuständige Abteilungsleiter, ein Deutscher der früher im Dienste der Dresdner Bank Lateinamerika stand, kannte die Siemens-Männer seit Jahren, man duzt sich. Doch die Rückführung der Gelder war kein Freundschaftsdienst. "Mossack Fonseca" verdiente gut an den schwarzen Siemens-Kassen. Zu rund 600.000 Dollar an Gebühren allein für den Treuhand-Service kam der Unterhalt für zahlreiche Briefkastenfirmen - tausende Dollar pro Jahr, über Jahrzehnte. Zu den Vorgängen äußerte sich "Mossack Fonseca" nicht. In einer allgemeinen Stellungnahme sagten die Anwälte, dass sie Kunden streng prüften und sich von Kriminellen oder Betrügern unmittelbar trennten.

Auch die beteiligten Banken beließen es bei allgemeinen Antworten, nach denen sie stets alle Gesetze achten und hohe Vorkehrungen in Sachen Geldwäsche treffen. Das Umschichten von Millionenbeträgen innerhalb von wenigen Tagen muss einer Bank jedoch auffallen, daran besteht kein Zweifel. Eine Millionenüberweisung von einer Briefkastenfirma - mutmaßlich zu Gunsten eines in einem riesigen Schmiergeldskandal verwickelten Managers - muss auch stutzig machen. Handlungsbedarf sah aber offenbar niemand.

Siemens hat nichts mitbekommen

Und Siemens? Hat von alledem offenbar nichts mitbekommen. Der Konzern hat den Aussagen seiner Ex-Manager einfach geglaubt - offenbar nahezu ohne jeden Beweis, ohne Unterlagen, ohne Kontoauszüge. Zum Abschied bekam K. von Siemens eine Abfindung in Höhe von einer Million US-Dollar und eine Bescheinigung, dass er eine "überdurchschnittlich engagierte, kreative, äußerst zuverlässige und eigenverantwortliche Führungskraft" sei, die "immer für die Interessen des Unternehmens eintrat".

Es drängt sich der Verdacht auf, dass Siemens damals gar kein ernstes Interesse an einer Aufklärung hatte, sondern darauf bedacht war, die Sache möglichst schnell abhaken zu können. Der Schmiergeldskandal kostete Siemens weltweit insgesamt fast drei Milliarden Euro. Da ist es denkbar, dass man sich entschied, nicht jede Kontobewegung genau nachzurechnen, solange alle Beteiligten den Anschein der Aufklärung und Kooperation wahrten. Bestätigen möchte das indes bei Siemens niemand. Mit den Recherchen konfrontiert, sagte ein Sprecher die "genannten Vorgänge wurden außerhalb der Wissens- und Einflusssphäre von Siemens abgewickelt".