Der britische Premierminister Boris Johnson.

Szenario für No-Deal-Brexit Johnson in Erklärungsnot

Stand: 12.09.2019 14:27 Uhr

Die Opposition sieht sich durch die Unterlagen zu den dramatischen Folgen eines Brexits ohne Abkommen bestätigt. Premierminister Johnson versucht zu beschwichtigen. Doch dann ist da noch der Vorwurf, die Queen belogen zu haben.

Nach der Veröffentlichung von britischen Regierungsdokumenten zu den möglicherweise dramatischen Folgen eines EU-Austritts ohne Abkommen erhöht die Opposition den Druck auf die Regierung von Premierminister Boris Johnson. Die Zwangspause des Parlaments müsse sofort beendet werden. 

"Krieg oder Naturkatastrophe"

"Die Dokumente bestätigen die schweren Risiken eines Brexits ohne Abkommen", sagte der Brexit-Sprecher der Labour-Partei, Keir Starmer. Sein Parteikollege Andy McDonald forderte, dass Premierminister Boris Johnson umgehend zu den Dokumenten Stellung nehmen müsste. Die Planungen erinnerten an einen "Krieg oder an eine Naturkatastrophe". Nach Ansicht des Sprechers der pro-europäischen Liberaldemokraten, Tom Brake, zeigen die Dokumente nur die "Spitze des Eisbergs".

Alles nicht so schlimm, sagt Johnson

Premierminister Johnson versuchte, die Wogen zu glätten. Es handele sich um eine Prognose für den schlimmstmöglichen Fall. Er gehe aber davon aus, dass es nicht so kommen werde und die Wirtschaft vorbereitet sei. Johnson bekräftigte, er wolle sein Land am 31. Oktober auch ohne eine Vereinbarung über die künftigen Beziehungen aus der EU führen.

Ein solcher harter Brexit könnte dem Regierungsdokument zufolge die Versorgung mit frischen Waren und Medikamenten einschränken. Die britische Regierung hatte ihre Dokumente zu den möglichen Folgen eines EU-Austritts ohne Abkommen auf Druck des Parlaments offenlegen müssen. Darin kommt selbst die Regierung von Brexit-Hardliner Johnson zu dem Schluss, dass die Folgen dramatisch wären: Staus an den Ärmelkanal-Häfen könnten demnach zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln führen, es drohten "Unruhen" in der Bevölkerung.

Risiko von Panikkäufen

Das sogenannte "Worst-Case-Szenario" beschreibt, was im Fall eines ungeregelten Brexit im schlimmsten Fall eintreten könnte: Störungen der Versorgung seien vor allem auf den Handelsrouten über den Ärmelkanal möglich. Lkw könnten zunächst bis zu zweieinhalb Tage am Kanal warten müssen. "Es gibt ein Risiko von Panikkäufen, die Versorgungsengpässe noch verschärfen können." Proteste von Brexit-Befürwortern und -Gegnern seien möglich. Auch internationale Finanzgeschäfte und der Informationsaustausch von Polizei und Sicherheitsbehörden könnten beeinträchtigt werden.

Der mehrseitige Bericht mit dem Code-Namen "Operation Yellowhammer" (Goldammer) wurde bereits am 2. August verfasst, neun Tage nachdem Johnson Premierminister wurde. Er bildet die Grundlage seiner "No-Deal"-Planung, wird aber nach Angaben der Regierung überarbeitet. Auszüge aus dem Bericht wurden erstmals am 18. August in der "Sunday Times" veröffentlicht.

Die genossenschaftlich organisierte Supermarktkette co-op bestätigte indirekt das Szenario. Man habe zusätzliche Lager vorbereitet, um Vorräte beispielsweise an Toilettenpapier und Wasser anzulegen. Bei Frischwaren könne es zu Engpässen kommen, und Früchte könnten teurer werden. Britische Einzelhändler müssten Obst verstärkt per Flugzeug importieren, so die sechstgrößte Supermarktkette.

Labour erhöht den Druck

Die oppositionelle Labour-Partei sieht sich in der Annahme bestätigt, dass der Brexit ohne Abkommen mit zu hohen Risiken einhergeht. Die Abgeordneten müssten ins Parlament zurückkehren können, um den Bericht zu prüfen und einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Rückenwind gibt ihnen das jüngste Urteil des schottischen Berufungsgerichts. Die Richter hatten die Zwangspause des Parlaments als rechtswidrig eingestuft. Mehr noch: Johnsons Ratschlag an die Königin sei mit der Absicht erfolgt, die Parlamentarier im Brexit-Streit kaltzustellen, begründeten die Richter in Edinburgh ihre Entscheidung. Die Zwangspause sei daher "null und nichtig".

Die Queen belogen? Johnson verneint

Hat Johnson also die Königin für seine politischen Zwecke belogen? Das sei absolut nicht der Fall, sagte er und wies entsprechende Vorwürfe entschieden zurück. Johnson wollte - so seine Darstellung - die Sitzungsperiode des Parlaments bis Mitte Oktober unterbrechen, um sein neues Regierungsprogramm vorzustellen. Anschuldigungen, er wolle damit die Abgeordneten daran hindern, einen Brexit ohne Abkommen abzuwenden, hatte er schon zuvor als "vollkommen unwahr" bezeichnet.

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Die Zwangspause des Parlaments war in der Nacht zum Dienstag wirksam geworden. Bei einer Zeremonie im Unterhaus war es zu tumultartigen Szenen gekommen. Bleibt es bei Johnsons Plan, nehmen die Parlamentarier erst am 14. Oktober wieder ihre Arbeit auf. Gegen das Urteil der schottischen Richter will die Regierung Berufung vor dem obersten britischen Gericht, dem Supreme Court in London, einlegen. Dort wird am kommenden Dienstag über die Angelegenheit verhandelt.

Jens-Peter Marquardt, Jens-Peter Marquardt, ARD London, 12.09.2019 06:47 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 12. September 2019 um 06:05 Uhr.