Migranten werden von US-Grenzschutzbeamten festgenommen, nachdem sie den Rio Bravo überquert haben.
Reportage

Grenze Mexiko/USA Unterwegs mit den Grenzschützern von El Paso

Stand: 04.04.2023 08:56 Uhr

Tausende Menschen versuchen täglich, von Mexiko aus über die Grenze in die USA zu gelangen. Zuletzt gab es innerhalb eines Jahres mehr als zwei Millionen Festnahmen - die meisten rund um El Paso in Texas.

Der Grenzpolizist Orlando Marrero gibt Gas. Und er schaltet kurz das Blaulicht ein. "Es geht los. Da will einer wegrennen", sagt der Grenzpolizist. Der Mann, dem das gilt, rennt noch ein Stück - und sieht dann ein: Es gibt kein Entkommen. Marrero bremst den Geländewagen ab, springt mit zwei Kollegen aus dem Auto und ruft auf spanisch: "Auf den Boden. Auf den Boden."

Die Grenzpolizisten tasten den Mann ab, ob er eine Waffe trägt. Sie erklären ihm, dass er Handy, Geldbörse und alles andere, was er bei sich hat, in einen durchsichtigen Plastiksack stecken muss, auch seinen Gürtel und die Schuhbänder - aus Sicherheitsgründen. Selbst mit Schuhbändern sollen Migranten schon versucht haben, Grenzbeamte zu attackieren oder sich selbst etwas anzutun.

"Ich will arbeiten - damit ich leben kann"

Dieser Mann aber, Ende 30, ist sehr friedlich: "Ich komme aus Oaxaca, Mexiko. Ich heiße Epifanio. Ich war drei Tage von Oaxaca aus unterwegs, vor allem mit dem Bus, dann zu Fuß über die Grenze. Es ist das zweite Mal, dass ich es versuche - und dass sie mich erwischen."

Einmal hat ihn die Grenzpolizei also schon zurück nach Mexiko abgeschoben. Und was ist sein Ziel? "Ich will arbeiten", erklärt der Mann. "Wo auch immer in den USA, egal in welchem Bundesstaat. Damit ich leben kann. Und damit meine Familie leben kann. Wir sind arm in Oaxaca, es ist schwer dort. Aber es ist auch hier nicht leicht."

Es ist ein ganz normaler Morgen an der Grenze der USA zu Mexiko, wenige Kilometer westlich der Stadt El Paso in Texas. Der Grenzzaun aus rostbraunen, massiven Metallstäben ist hier bis zu neun Meter hoch.

Polizist: "Jeder Fall wird einzeln bewertet"

Auf der Weiterfahrt durch die wüstenähnliche Landschaft sagt Marrero zum Fall Epifanio: "Jeder Fall wird einzeln bewertet. Wir müssen erst seine Daten in unser Computersystem eingeben. Erst nach dem Abgleich wissen wir: Ist er schon einmal, vielleicht sogar mehrfach, aufgegriffen worden? Hat er einen kriminellen Hintergrund? Gibt es einen Asylantrag? Erst danach können wir ihn in das richtige Immigrationsverfahren einordnen."

Täglich versuchen allein in der Gegend um El Paso, bis zu zweitausend Migranten über die Grenze zu kommen. Viele haben einen monatelangen Fußmarsch aus Ländern wie Venezuela hinter sich, oft haben sie Menschenhändlern umgerechnet mehrere tausend Euro bezahlt.

Die US-Grenzschützer schieben die meisten Migranten umgehend wieder nach Mexiko ab - derzeit noch aufgrund einer Regelung aus der Zeit der Corona-Pandemie, von dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump eingeführt, von Joe Biden zunächst beibehalten. Im Mai soll die Regelung auslaufen, dann will US-Präsident Biden das Asylrecht anderweitig verschärfen. Dennoch werfen die Republikaner Biden vor, nicht hart genug vorzugehen und damit für Chaos an der Grenze zu sorgen.

"Natürlich habe ich Mitgefühl"

Über Funk erhalten die Grenzpolizisten den Hinweis auf eine mögliche neue Gruppe illegaler Migranten. Die Besatzung eines Hubschraubers will in der Morgendämmerung etwa sechs Verdächtige erkannt haben.

Vermutlich hat die Gruppe eine der vielen Lücken im Grenzzaun genutzt oder hat den Zaun mit improvisierten Leitern überwunden, sagt Grenzpolizist Richard Barragan. Dennoch biete der Zaun einen gewissen Schutz, meint er, auch gegenüber den brutal agierenden Menschenhändler-Kartellen. 

Und was denkt er über die Migranten, die sie täglich aufgreifen? Hat er Mitgefühl? "Oh, absolut! Ich bin ein Bürger dieser Gegend. Ich mag von Beruf Grenzpolizist sein, aber natürlich habe ich Mitgefühl. Ich könnte selbst in einem anderen Land geboren sein und nicht in den Vereinigten Staaten. Es gibt eine Menge Grenzpolizisten, die mit zwei oder drei Lunchpaketen zum Dienst kommen, mit literweise Wasserflaschen auf dem Rücksitz, weil sie wissen, dass sie auf diese Menschen treffen. Es könnte Dein Bruder, Deine Schwester, Deine Mutter, Dein Onkel sein oder wer auch immer. Und das ist der tragische Teil unserer Arbeit - tagein, tagaus."

Noch einmal fliegt der Hubschrauber über die Grenzschützer hinweg, die wissen: Auch morgen und übermorgen werden sie auf illegale Migranten treffen, die hoch emotionale Debatte über Einwanderung in den USA wird weitergehen.

Ralf Borchard, Ralf Borchard, ARD Washington, zzt. El Paso, 04.04.2023 08:21 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 08. Januar 2023 um 23:20 Uhr.