Merkel vor EU-Gipfel mit der Türkei Mahnen, erinnern, Druck machen

Stand: 06.03.2016 08:39 Uhr

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Beschlüsse müssen umgesetzt werden. In der Flüchtlingspolitik macht aber derzeit jeder EU-Staat, was er will. Vor dem Gipfel mit der Türkei pocht Kanzlerin Merkel nun noch einmal eindringlich darauf, Beschlossenes endlich auch umzusetzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will beim EU-Gipfel am Montag in Brüssel Fortschritte in der Flüchtlingskrise erzielen. "Ich erwarte, dass wir Schritt für Schritt das praktisch umsetzen, worauf wir uns beim letzten Europäischen Rat im Februar mit allen 28 Mitgliedsstaaten geeinigt haben. Wir können diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen", sagte die CDU-Chefin der "Bild am Sonntag". Damals war unter anderem beschlossen worden, Flüchtlinge nicht mehr "durchzuwinken" und das Schengen-System ohne Grenzkontrollen im Inneren der EU schrittweise wiederherzustellen.

Drei Dinge dürften am Montag im Vordergrund stehen, so Merkel: "Erstens die EU/Türkei-Agenda, zum Beispiel die Frage, für welche Projekte die drei Milliarden Euro Unterstützung für Flüchtlinge in der Türkei eingesetzt werden. Zweitens die Frage, wie wir die EU-Außengrenze schützen können. Und drittens, wie wir Griechenland in dieser schwierigen Situation helfen können, das mit der Last nicht alleingelassen werden darf."

Scheitern? Nicht ausgeschlossen

Die Erwartungen an diesen Doppelgipfel sind hoch. Die Gefahr des Scheiterns ist real, denn die Flüchtlingskrise hat Europa tief gespalten. Bei dem Sondertreffen mit der Türkei geht es nun um die Umsetzung eines gemeinsamen Aktionsplans von November. Brüssel sagte Ankara darin unter anderem Finanzhilfen in Höhe von drei Milliarden Euro zu. Die Türkei verpflichtete sich im Gegenzug, Flüchtlinge an der Weiterreise in die EU zu hindern. Einen deutlichen Rückgang der Flüchtlingszahlen gab es bislang aber nicht.

Die Bundeskanzlerin steht unter Druck - auf europäischer Ebene, aber auch innenpolitisch . Sie braucht dringend Erfolge in ihrer Flüchtlingspolitik - und das heißt: eine spürbare Reduzierung der Flüchtlingszahlen. In einer Woche wird in drei Bundesländern gewählt. Ein schlechtes Abschneiden der CDU dürfte ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik angelastet werden.

Nationale Maßnahmen statt Solidarität

Auf europäischer Ebene steht sie zunehmend allein da, ihre "Koalition der Willigen" hat sich spätestens seit dem Ausscheren Österreichs aufgelöst. Immer mehr Länder greifen zu nationalen Maßnahmen, schotten sich ab und deckeln die Zahl der ankommenden Flüchtlinge durch feste Kontingente. Von einer gesamteuropäischen Lösung der Flüchtlingskrise, wie Merkel sie fordert, ist Europa weit entfernt.

Die Folge der nationalen Abschottung: Tausende Menschen sitzen unter unwürdigen Bedingungen in Griechenland an der geschlossenen Grenze zu Mazedonien fest. Nach Angaben der Vereinten Nationen stammt jeder zweite der in Griechenland auf eine Weiterreise nach Norden wartenden Flüchtlinge aus Syrien. Aus Afghanistan seien es 26 Prozent, aus dem Irak 17 Prozent, sagte Vincent Cochetel, Europa-Direktor des UNHCR. "48 Prozent der ankommenden Menschen sind Syrer. Sie geben sich nicht als Syrer aus, sie sind Syrer", sagte er. Die Staaten auf der Balkanroute lassen seit fast zwei Wochen nur noch kleine Gruppen von Syrern und Irakern weiter. Alle anderen stufen sie als Menschen ein, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa wollen.

Griechenland ist mit der Situation überfordert. Die EU-Kommission schlug daher einen Nothilfefonds in Höhe von 700 Millionen Euro für die kommenden drei Jahre vor. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz plädierte im "Tagesspiegel am Sonntag" dafür, dem Land mehr Zeit für die geforderten Spar- und Reformmaßnahmen zu geben. Griechenland sei während seiner tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise vom Flüchtlingsandrang stärker betroffen als jeder andere EU-Staat.