Interview "Ein Wiederaufbau, der völlig neue Ansprüche stellt"

Stand: 27.08.2007 14:32 Uhr

Nach zwei Jahren soll "Ground Zero", der Ort an dem einst das World Trade Center stand, wieder bebaut werden. In einem öffentlichen Wettbewerb konkurrierten die wichtigsten Architekten der Welt um den Auftrag. Gewinner wurde Daniel Libeskind. Ein Interview mit dem Star-Architekten von Thomas Hausner.

Ground Zero. Zwei Jahre nach dem Anschlag ist aus dem Ort der Trauer und der Tragödie ein Ort für Touristen aus aller Welt geworden. Der Wiederaufbau des World Trade Center wurde wie kein anderes Bauprojekt zu einer öffentlichen Angelegenheit. In einem Wettbewerb konkurrierten die bekanntesten Architekten der Welt um den Auftrag. Mit ihren unterschiedlichen Modellen und Visionen verfolgten sie ein Ziel: den New Yorkern ihr Selbstbewusstsein und Manhattan eine Skyline zurückzugeben. Gewinner dieses Wettbewerbs wurde der Architekt Daniel Libeskind.

Für den Dokumentarfilm "Blumenthal, Libeskind & Manhattan – Ground Zero" von Thomas Hausner trafen sich Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums Berlin und Daniel Libeskind in New York und Berlin.

Ort: New York, Libeskind Büro

Michael Blumenthal: Ich brauche das wohl nicht zu fragen, aber ist Ground Zero das Schwierigste was Sie jemals gemacht haben werden?

DanielLibeskind: Absolut, so etwas ist noch nie in Angriff genommen worden. Es gibt sozusagen keinen Präzedenzfall für ein Projekt dieser Größe, mitten in einer lebendigen Stadt, mitten in Manhattan, im Epizentrum der Welt! Ein Wiederaufbau, der völlig neue Ansprüche stellt. Und man darf natürlich nicht vergessen, dass wir nicht ganz einfach nur das wieder aufbauen, was schon da gewesen ist: Wir erschaffen eine völlig neue Stadt für das 21. Jahrhundert. Wir bringen neue Arbeitsplätze nach Manhattan, neue Bilder, neue Arten zu leben. Es geht hier also nicht nur um einen bloßen Wiederaufbau. Es geht um mehr: um New York und Amerika.

Blumenthal: Wie war das Leben vorher, wie ist es jetzt? Das Büro in New York wimmelt von Menschen. Sie müssen eine lange Liste von Gehältern bezahlen.

Libeskind: Es hat vieles verändert. Als wir damals nach Berlin kamen, war ich der einzige Architekt, nur ein junger deutscher Student namens Harry arbeitete für uns. Es ist wirklich fantastisch, ohne es zu bemerken, sind wir stetig gewachsen. Es sind jetzt mehr als 120 Architekten, die weltweit an verschiedenen Projekten für uns arbeiten. Hier in New York sind es rund 35, aber auch das wird noch wachsen. Es ist schon komisch. Neulich saß ich mit einigen Geschäftsleuten bei Tisch und jemand sprach über ein Unternehmen. Und ich fragte ihn: "Von welchem Unternehmen sprechen Sie?" Und er antwortete: "Von Ihrem Unternehmen, Herr Libeskind" Und da wurde mir schlagartig klar, dass ich es zwar nie als Unternehmen betrachtet hatte, dass es aber tatsächlich eines ist.

Blumenthal: Lassen Sie uns ein wenig auf den Menschen Daniel Libeskind zu sprechen kommen. Wir möchten etwas über die Person hinter dem Werk wissen, um es besser zu verstehen. Sie sind nach dem Krieg in Polen geboren. Haben Sie irgendwelche Erinnerungen an Polen?

Libeskind: Natürlich. Ich spreche polnisch, ich ging dort bis zur vierten Klasse in die Grundschule. Ich schreibe und lese noch immer polnisch und wenn ich zähle, mache ich das auf polnisch.

Blumenthal: Sprachen Ihre Eltern jiddisch oder polnisch mit Ihnen?

Libeskind: Sowohl als auch. Wir sprachen polnisch und jiddisch. Meine Eltern schämten sich nicht Juden zu sein und sie waren keine Parteimitglieder.

Blumenthal: In welcher Stadt lebten Sie?

Libeskind: In Lodz. Unser Leben war nicht leicht, weil wir als Juden schikaniert wurden. Als ich in Polen aufwuchs, herrschte ein enormer Antisemitismus.

Blumenthal: Sogar noch nach dem Krieg?

Libeskind: Es war unglaublich. Der Staat unterstützte das auch noch, kleine Schulkinder litten darunter. Meine Schwester und ich hatte eine sehr schwere Schulzeit.

Blumenthal: Hatten Ihre Eltern irgendwelche Pläne für Sie? Sagten sie: "Daniel wird einmal Architekt."?

Libeskind: Nein, meine Eltern gehörten ihr Leben lang zur arbeitenden Bevölkerung. Aber sie waren auch Intellektuelle, Juden, die traditionell viele Bücher lasen. Für sie ging es nie darum, dies oder jenes zu sein - es ging darum, etwas anzustreben. Es hieß also nie ausdrücklich: "Werde dies! Mach das!" Sicher sie mochten Musik, Kunst und Literatur.

Blumenthal: Fingen Sie schon früh an zu musizieren?

Libeskind: Sehr früh! Ich glaube, ich spielte schon mit fünf oder sechs Jahren Akkordeon.

Blumenthal: War das Akkordeon das Instrument Ihrer Wahl?

Libeskind: Nein. Wenn ich so zurückdenke, ist das eine lustige Geschichte, und es schwingt sogar ein bisschen Ironie mit: Als Kind wollte ich immer Klavier spielen - das war mein Traum - meine Eltern wussten das zu schätzen und hätten sicher die finanziellen Mittel gehabt, mirein Klavier zu kaufen. Aber sie hatten Angst das Klavier ins Haus zu bringen. Wir wohnten in einem mehrstöckigen Hinterhaus mit Innenhof und vielen Nachbarn, die in den Hof hinuntersehen konnten.

Blumenthal: Angst vor Neid?

Libeskind: Vor Neid und Hassgefühlen. Sie wollten nicht das Klischee bestätigen, dass Juden immer Geld haben. Deshalb sagten sie: "Wir werden dir ein hübsches, kleines Klavier kaufen, das man in einem Koffer verstecken und bequemins Haus bringen kann, ohne dass es jemand bemerkt." So fing ich an, Akkordeon zu spielen.

Blumenthal: Als Sie elf waren emigrierten Sie nach Israel.

Libeskind: Ja, es war das einzige Land, in das Juden wirklich auswandern durften. Die Ausreise wurde in Polen zum ersten Mal wieder Ende der 50er Jahre gestattet und nach diesem Herbst gingen wir nach Israel.

Blumenthal: Wie lange blieben Sie?

Libeskind: Dreieinhalb Jahre.

Blumenthal: Jemand hat mir erzählt, dass Sie dort eine Art von Musikwettbewerb gewonnen haben.

Libeskind: Es war ein Israelisch-Amerikanischer-Wettbewerb für Musiker. Ich meldete mich an und trat mit meinem Akkordeon auf, wahrscheinlich dem bizarrsten Instrument. Die anderen spielten Cello oder Violine aber ich glaube, dass sie noch nie zuvor jemanden Akkordeon spielen gesehen hatten. Ich bot auch einen grotesken Anblick: ich war ziemlich klein und hatte ein riesiges Akkordeon.

Blumenthal: Ein kleiner Junge mit einem großen Akkordeon.

Libeskind: Man sah nur Füße, ein bisschen Kopf und ein riesiges Instrument - aber ich war wirklich gut - technisch und musikalisch. Für Akkordeon ist nicht viel Musik geschrieben worden, und so musste ich mir meine Noten selbst transkribieren, denn ich spielte im Wesentlichen klassische Musik, nicht den Csardas und auch keine Volksmusik.

Blumenthal: Spielen Sie heute noch?

Libeskind: Nein.

Blumenthal: Sie haben es wirklich völlig aufgegeben?

Libeskind: Nein, ich habe es in andere Formen umgewandelt. Hätte ich überhaupt kein Instrument gespielt, hätte ich mich nie der Architektur zugewandt.

Lesen Sie hier den zweiten Teil des Interviews

Berlin - New York