tagesschau.de-Interview "Es gibt eine ideologische Verbindung zur Al Kaida"

Stand: 27.08.2007 10:30 Uhr

In Russland vergeht fast kein Tag ohne neue Gewalt: Anschläge auf Flugzeuge, auf U-Bahn-Stationen, nun die Geiselnahme in einer Schule in Nord-Ossetien. Die Handschrift der Terroristen in Russland unterscheidet sich dabei kaum von der, die Al-Kaida-Attentäter im Irak, in Spanien oder den USA hinterlassen. Welche Verbindung besteht zwischen den einzelnen Gruppen? Was eint sie? Was unterscheidet sie? tagesschau.de sprach darüber mit Rolf Tophoven. Er ist Leiter des Essener Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik und beschäftigt sich seit Jahren mit den Entwicklungen des nationalen und internationalen Terrorismus.

tagesschau.de: Zu den Anschlägen auf die beiden Passagiermaschinen in der vergangenen Woche und auf die Moskauer U-Bahn-Station am Dienstag hat sich eine Gruppe namens "Islambuli-Brigaden" bekannt. Was wissen Sie über diese Gruppe?

Rolf Tophoven: Die Gruppe hat sich nach dem Mörder des früheren ägyptischen Präsidenten Anwar al Sadat benannt. Der Attentäter Islambuli war Mitglied der Moslembruderschaft, also Islamist. Das ist der ideologische Zusammenhang zwischen den Islamisten und Tschetschenien. Wir müssen davon ausgehen, dass alle diese Anschläge Operationen von Kämpfern sind, die gegen die russische Tschetschenien-Politik Front machen. Entscheidend ist dabei nicht, ob diese Gruppen "Islambuli-Brigaden" heißen oder "Schwarze Witwen". Terroristische Namen, Etiketten und Logos können sich ändern. Entscheidend ist meiner Ansicht nach, dass hier auf breiter Front gegen die russische Tschetschenien-Politik operiert wird. Interessant am taktischen Vorgehen der Terroristen ist, dass sie zu bekannten Methoden greifen – denken wir nur an die Flugzeugentführung. Das erinnert an den 11. September, auch wenn ich hier nicht vom "russischen 11. September" sprechen würde. Auch der Anschlag gegen die U-Bahn in Moskau zeigt, dass die Terroristen immer noch auf das klassische Instrumentarium zurückgreifen: Kalaschnikows, Bomben und Selbstmordanschläge. Ich glaube auch nicht daran, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Anschläge mit nuklearen, biologischen und chemischen Waffen sind in meinen Augen heute und morgen keine terroristische Option.

tagesschau.de: Gibt es eine Verbindung zwischen dem Terrornetz Al Kaida und den tschetschenischen Tätern?

Tophoven: Man nimmt bei diesen Tätern an, das es sich um Tschetschenen handelt. Man muss aber natürlich fragen, vom wem sie beeinflusst sind oder wie sie ausgebildet sind. Sie sind beeinflusst vom Aufruf der Al Kaida zum Heiligen Krieg – das ist die Verbindung zwischen den Gruppen. Man muss davon ausgehen, dass einige der Täter in Tschetschenien vielleicht auch in den früheren Trainingscamps in Afghanistan geschult worden sind.

tagesschau.de: Worin besteht der Kern der Ideologie, die diese Gruppen verbindet?

Tophoven: Was wir jetzt in Russland erleben, ist zunächst einmal ein innerrussisches Problem. Über eine perfekte terroristische Medienstrategie nach dem 11. September sind diese Gruppen aber sicherlich ideologisch beeinflusst von Osama Bin Laden. Wir haben es hier mit der politischen Ideologie vom Heiligen Krieg tun - mit dem Kampf gegen die Ungläubigen. Auf dieser Basis bekämpfte ja schon ein geeinter afghanischer Widerstand in den siebziger und achtziger Jahren die Russen. Ein ideologischer Einfluss durch Al Kaida besteht also sicherlich. Dabei muss man aber immer beachten, dass Al Kaida heute keine Einheit mehr ist. Al Kaida ist zu einer politischen Bewegung mutiert – und genau das macht es so schwer, sie zu bekämpfen. Es handelt sich eben nicht um eine Organisation mit festem Sitz und klaren Strukturen.

tagesschau.de: Kann man davon ausgehen, dass es zwischen den einzelnen Teilen dieser Bewegung Kontakte gibt?

Tophoven: Eine Zusammenarbeit besteht vor allem im politisch-ideologischen Bereich– in der Inspiration. Die besteht im Fall Tschetschenien im Kampf gegen die Ungläubigen und die verhassten Russen. Man kann davon ausgehen, dass die verschiedenen tschetschenischen Gruppen – wie immer sie auch heißen mögen – untereinander kommunizieren. Die Gruppe, die heute die Schule überfallen hat, ist sicher eine andere als die "Schwarzen Witwen", die vor zwei Jahren das Musical-Theater "Nord-Ost" in Moskau überfallen haben. Ideologische Verbindungen bestehen aber sicher. Und sicher gibt es auch einen Austausch terroristischen Know Hows. Terroristen lernen ja voneinander: beim Bomben bauen zum Beispiel. Wir wissen, dass palästinensische Terroristen in Israel in der Vergangenheit Bomben mit Mobilfunk-Geräten gezündet haben. Und nun waren auch bei den Anschlägen in Madrid die Zünder in Handys versteckt. Hier findet also durchaus eine Adaption statt. Was sicher alle Gruppen eint: Sie setzen auf die Schockwirkung der Bilder im Internet und im Fernsehen. Das ist perfide, leider aber auch sehr wirkungsvoll.

tagesschau.de: Müssen sich die Medien den Vorwurf gefallen lassen, dass sie durch das Ausstrahlen dieser Bilder den Terroristen in die Hände spielen?

Tophoven: Ich glaube schon, dass zumindest in den deutschen Redaktionsstuben durchaus abgewogen wird, was man zeigt und was nicht. Das Problem ist aber der ungeheure Konkurrenzdruck. Wenn der eine die Bilder nicht bringt, dann bringt sie morgen eben CNN. Es ist sicherlich zu einfach zu sagen, die Medien seien Schuld. Unbestritten ist allerdings, dass die Terroristen die Medien in ihre Strategie einbinden. Ohne die Medien könnte die terroristische Botschaft ja auch kaum übertragen werden. Hier ist Verantwortung gefordert, ich glaube aber nicht, dass die Medien sich vollständig ausblenden könnten. Und sie sollten das auch nicht.

Das Interview führte Andrea Krüger, tagesschau.de