Schutz vor den Fluten New Orleans lernt niederländisch

Stand: 26.08.2007 08:12 Uhr

Seit Jahrtausendenschützen Menschen ihr Land gegen Überschwemmungen. Der Inbegriff des erfolgreichen Kampfes sind die Niederlande. Aber auch andere Länder haben ihre Erfahrungen mit den Fluten gemacht. Ein neues New Orleans soll von ihrem Wissen profitieren.

Von Ruth Helmling, tagesschau.de

Es kommt die Zeit, in der das Wasser wieder steigt. Die Niederländer wissen das und sie haben vorgesorgt. Der Grund dafür findet sich schon im Namen des Staates: Nieder-Lande. Ein Großteil des Gebiets liegt unter dem Meeresspiegel, ganze Regionen wie Flevoland haben die Holländer der See abgerungen. 16 Millionen Menschen wohnen im Land der Windmühlen und Tulpen. "Wenn hier etwas schiefgeht", sagte Tjalle de Haan von der Reichswasserbehörde in einem Interview, "dann sind zehn Millionen Menschen bedroht".

Erfolgsgeschichte begann mit einer Katastrophe

Nach der Katastrophe in New Orleans will die US-Stadt sich den niederländischen Kampf gegen das Wasser zum Vorbild nehmen. "Wir können etwas davon lernen", sagte George Voyiadjis von der Louisiana State University der "New York Times". Sollte New Orleans jemals wieder aufgebaut werden, wolle man das Wissen der anderen nutzen, "um hier eine Zukunft aufzubauen".

Seinen Anfang nahm die niederländische Erfolgsgeschichte vor mehr als 50 Jahren. Es war im Februar 1953, als eine Sturmflut über das Land hereinbrach und die alten Deiche unter sich begrub. Das Wasser tötete fast 2000 Menschen und 200.000 Kühe ertranken auf ihren Weiden. 20 Tage nach der Katastrophe beschloss die niederländische Regierung den Deltaplan. Er sah ein gigantisches Netzwerk aus Deichen und Dämmen vor, die innerhalb von 25 Jahren entstehen sollten. Und seither ist nichts mehr schiefgegangen. 900 Millionen Gulden (rund 400 Millionen Euro) hatte die Regierung für das Projekt eingeplant - mehrere Milliarden Euro sind es geworden.

Niederländer nahmen Natur als Vorbild

Beim Deichbau zum Vorbild nahmen sich die Niederländer die Natur. Denn sie macht ihren Job der Flutkontrolle gut. Vorgelagerte Inseln bremsten gefährliche Stürme ab, lange bevor Menschen Dämme und Wälle errichteten. "Man wird niemals die Natur kontrollieren können", sagt heute auch Rafael Bras, Umweltingenieur am Massachusetts Institute of Technology (MIT). "Der beste Weg ist, nachzuvollziehen wie die Natur funktioniert und das zum eigenen Vorteil auszunutzen."

Die Reaktion der Niederländer auf das Desaster von 1953 war weitreichend und konsequent. Sie verbanden die vorgelagerten Inseln mit Dämmen und verkürzten so die anfällige Küstenlinie um 700 Kilometer. Auch für ein neues New Orleans ist die offensive Flutkontrolle eine Option. Damit könnte man den See Pontchartrain vom Golf von Mexiko trennen und Hurrikans hätten nicht mehr die Gelegenheit, über den Kanal Flutwellen bis an die Stadtmauern zu treiben - oder darüber hinweg.

Deiche alleine reichen nicht aus

Die Deiche der Niederländer sind zudem höher als die Wälle in New Orleans waren. Doch diese Maßnahme allein würde die US-Region nicht ausreichend schützen. Die beste Flutsicherung von Louisiana ist das Marschland - da sind Experten sich einig. Jede Meile Marsch zwischen Hurrikan und Louisiana wirkt wie ein Schwamm und bremst Wind wie Flut. Die so genannten "wetlands" aber verschwinden.

Im Laufe der Jahre passten die Niederländer ihren Deltaplan neuen Erkenntnissen der Forschung an und sahen davon ab, dem Wasser einfach eine Wand vorzusetzen. Eigentlich war geplant gewesen, die Oosterschelde komplett vom Meer abzudeichen - wie 20 Jahre zuvor das Ijsselmeer. Aus umwelt- und wirtschaftspolitischen Gründe realisierte die Regierung schließlich jedoch ein komplexes System mit Fluttoren, die sich bei stürmischen Wetter schließen, sonst aber das Salzwasser durchfließen lassen.

Auch andere Länder bieten Ideen

Das niederländische Ringen mit dem Wasser ist beispiellos, das Problem jedoch ist weit verbreitet. So ist auch rund ein Viertel von Schleswig-Holstein potenziell hochwassergefährdet. Seit der großen Flut von 1962 hat das Land 1,5 Milliarden Euro in Deiche, Überläufe und Sandaufschüttungen investiert. In Schleswig-Holstein gelten als Maß beim Deichbau Sturmfluten, wie sie statistisch gesehen einmal in 100 Jahren vorkommen. In den Niederlanden werden hingegen Wasserhöhen zugrunde gelegt, die einmal in 10.000 Jahren auftreten.

In Großbritannien entwarfen Ingenieure eine Barriere, die das Zusammenwirken von der Strömung der Gezeiten und der Themse reguliert. Normalerweise liegen die Tore auf einer Ebene mit dem Flussbett, ohne den Schiffsverkehr zu behindern. Bei Bedarf schwenken sie hoch wie ein fünfstöckiges Haus und blockieren so das steigende Wasser. Mehr als 80 Mal kamen die Themsen-Blocker bereits zum Einsatz.

In Kalifornien entwickelte man unterdessen ein System ähnlich dem Radar, das mithilfe des Echos Lecks im Deich ortet. Ob eine solche Warnung die Katastrophe in New Orleans hätte verhindern können, ist bei Experten jedoch umstritten.

"Die Natur kann uns immer übertrumpfen"

"Wir müssen lernen, dass die Dinge kontrolliert, geprüft, gewartet und repariert werden müssen, wenn es nötig ist", sagte US-Umweltingenieur Bras der "New York Times". "Eine Stadt wie New Orleans eine solche Verwüstung erleiden zu sehen - einiges davon hätte man verhindern können." Wie ehrgeizig aber auch Ingenieure, wie innovativ die Deichsysteme auch wären: "Die Natur wird uns immer mal wieder große Brocken vorsetzen. Sie kann uns immer übertrumpfen."