Mit dem Jeep in die Taiga Auf der Spur des Amur-Tigers

Stand: 28.08.2007 22:32 Uhr

Von Hermann Krause, ARD-Hörfunkstudio Moskau

Anatoli Belowo ist kräftig, kugelrund, mit einem eisernen Händedruck. Ein 40jähriger mit Humor und ein paar Kilos zu viel, wie er lachend sagt. In seiner grünen Militäruniform, wirkt er eher wie ein Soldat auf Außenposten, nicht wie ein Waldhüter. Ein Vierzigjähriger mit Humor und ein paar Schrammen im Gesicht.

Mit vier anderen Männern kontrolliert der Waldaufseher ein Gebiet von 17.000 Hektar Größe. Außer den Tigern gibt es in diesem Dschungel noch Leoparden, Wildschweine und immer wieder Bären. "Ich habe mich mal mit einem Bären getroffen und gestritten, das wir vor sieben Jahren", erinnert sich Anatoli. Der Braunbär habe ihn zerkratzt, am Kopf, an der Stirn, an der Brust könne man die Narben sehen: "Ich habe ihn geküsst, er hat mich geküsst. Am Ende musste ich ihn erschießen."

Spuren...

Der Wald hier oben ist  fast Dschungel, undurchdringbar, die Heimat der Amur-Tiger, jener großen, schönen Raubkatzen, zu deren Schutz Anatoli Streife geht. Von den berühmten Amur-Tieren haben sie im Augenblick viele hier, sagt er. Fünf Erwachsene und ein paar Junge. Er kenne sie alle, meint Anatoli. Am Abdruck der Tatzen könne man sie unterscheiden. Eine zeitlang war der Amur-Tiger vom Aussterben bedroht, zur Zeit aber gilt ihr Gesamtbestand, der liegt bei etwa 400 Tieren, als gesichert. 

Nach einem anstrengenden Tag sitzen wir am Fluss bei Speck und Wodka. Am nächsten Morgen geht es in Richtung chinesische Grenze. Ein Stück noch mit dem Jeep, dann nur noch zu Fuß. Anatoli entdeckt hier eine deutliche Spur. Es ist der Weg des Leoparden, dies ist sein Jagdgebiet. Wenn er satt sei, mein Anatoli, komme er ein oder zweimal im Monat. Wenn er hungrig sei, öfter. Und auch die Tiger gingen hier entlang. Wenn der Tiger komme, dann flöhen alle vor ihm. Die Bären, die Wildschweine. Denn die fresse er gerne. "Nur Leoparden fürchten ihn nicht."

Wilderer und Drogen

Die russisch-chinesische Grenze ist hier oben offen, sagt Anatoli. Taifune haben die Grenzanlage weggefegt, deshalb kommen chinesische Wilderer ohne Schwierigkeiten rüber. Obwohl die Jagd in diesem Gebiet streng verboten ist. Da die Chinesen keine Waffen haben, stellen sie Fallen auf, in denen Tiger und Leoparden qualvoll verenden.

An einem Fluss plötzlich das Geräusch eines Motorrades. Anatoli springt auf, stellt sich mit dem Gewehr zwei Männern entgegen, die auf einer alten Maschine einen Hügel runterdonnern und vor Schreck stürzen. Ein kurzer Wortwechsel, dann können sie weiter. Haschischbauern, meint Anatoli verächtlich. Hier oben gibt es viele Cannabisfelder, verkauft wird an Chinesen genauso wie an Russen. Alle wissen davon, aber alle schweigen sie. Mit der Rauschgiftmafia will sich niemand anlegen - das Leben hier ist alles andere als friedlich.

Kampf ums Überleben

Im Dorf habe keiner Arbeit, erklärt Anatoli. Es gebe kein Geld, da versuche jeder durchzukommen. Mit unerlaubtem Fischen, mit Wildern. Die Wildhüter aber bestrafen sie hart. "Das ist ein stiller Krieg, der hier tobt", meint Anatoli. Vor den Wildkatzen brauche man keine Angst zu haben, aber vor den Menschen. Vielleicht haben sich deshalb seit Tagen Tiger und Leoparden rar gemacht, in diesem Teil des Waldes. Nach langem Suchen finden wir endlich eine Spur - doch es ist eine alte Fährte, stellt Anatoli fest. Vor zwei Tagen sei sie noch frisch gewesen, jetzt aber hat es geregnet. "Hier sieht man die Tatzen und dann die Krallen", erklärt er: "Der Regen hat alles weggewischt..."

Anatoli lädt plötzlich sein Gewehr durch, es könnten Bären in der Nähe sein. Regungslos verharren wir minutenlang. Jedes Geräusch ist jetzt wichtig, Anatoli hat die Ohren eines Luchses: "Hier war ein Bär", erkennt er. Der habe hier gegraben, nach Ameisen gesucht und sie gefressen. Anatoli weiß: "Er ist der kleinste, mit einer weißen Brust, aber auch der böseste unter den Bären.."

Willkommene Enttäuschung

Vorsichtig gehen wir weiter, die chinesische Grenze ist nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Russischer Dschungel, der Wald so dicht, dass kaum Sonne durchdringt. Trotz aller Mühe und Zeckenbisse finden wir an diesem Tag aber keine frische Tigerspur. Irgendwann geben wir auf, einen Tiger in diesem riesigen Gebiet zu sehen, hatte ich sowie nicht erhofft - und vielleicht ist es auch besser so.